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Ein Mitarbeiter des UN-Inspektorenteams bei Untersuchungen in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Der Einsatz von Giftgasangriffen des syrischen Regimes konnte nun bestätigt werden.

© afp

Update

Giftgasattacke in Syrien: Alle gegen Assad

Nur Assad besäße die Fähigkeit, einen Anschlag in dieser Form auszuführen, sagt US-Sicherheitsberaterin Susan Rice nach dem UN-Bericht über die Giftgasattacke. So rückt auch ein Militärschlag wieder in Reichweite - diesmal stimme auch Russland zu, sagt US-Außenminister John Kerry.

Die Sprache des 38-Seiten-Dokuments ist demonstrativ technisch-neutral, die implizite Botschaft jedoch eindeutig. Es waren die Streitkräfte des syrischen Regimes, die am 21. August durch „einem relativ massiven Einsatz“ von Chemiewaffen in zwei Vororten von Damaskus ein Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet haben. Die von den UN-Experten erhobenen Befunde „lassen uns in tiefster Sorge“, schreibt Teamchef Ake Sellström in seinem Bericht an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.

In Blut, Urin und Haaren von 34 der 36 untersuchten Opfer wurde das Giftgas Sarin nachgewiesen, ebenfalls in der Mehrheit der Bodenproben und Raketenfragmente. Die auf dem Schlachtfeld gefundenen Geschosse lassen sich zwei Raketentypen zuordnen, die nicht in Untergrundwerkstätten der Rebellen gefertigt sein können. Zum einen handelt es sich um M14 Artillerieraketen russischer Herkunft, die nach Erkenntnissen der UN-Inspektoren von einem Multiraketenwerfer abgefeuert wurden und eine kyrillische Kennung tragen. Zum anderen fanden die UN-Experten 134 Zentimeter lange Raketen, auf denen drei rote Zahlen aufgesprüht waren und deren Gefechtsköpfe nach ihren Berechnungen eine Kapazität von rund 50 Litern haben.

„Die Fakten sind überwältigend und unwiderlegbar, sie sprechen für sich“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, als er die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates über den Abschlussbericht informierte. Anschließend begann das Weltgremium, über eine neue Syrien-Resolution zu beraten, welche den am Wochenende zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow erzielten Fahrplan zur Vernichtung des syrischen Giftgasarsenals festschreiben soll. Nach dieser Übereinkunft hat Damaskus eine Woche Zeit, eine komplette Liste seiner Chemiewaffenanlagen und –depots vorzulegen. Bis November sollen UN-Inspekteure diese Angaben überprüfen, bis Mitte 2014 soll das gesamte Arsenal sichergestellt und vernichtet sein. Mit einer „starken und bindenden“ Resolution wollen die USA, Frankreich und Großbritannien deshalb im UN-Sicherheitsrat den Druck auf die syrische Führung erhöhen, ihre Zusagen auch umzusetzen.

Allerdings bremst Russland den Westen erneut aus. Der gemeinsame Beschluss mit den USA zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen sehe keine Anwendung von Gewalt vor, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Moskau. „Unsere amerikanischen Kollegen hätten gerne eine Resolution unter Androhung von Kapitel VII gehabt. Aber das endgültige Dokument, auf das wir uns geeinigt haben und das unsere Regierungen zur Umsetzung verpflichtet, erwähnt dies nicht.“ Sein US-Amtskollege John Kerry betonte hingegen in Paris, Russland habe explizit zugestimmt, dass Gewalt gegen das Assad-Regime der Weg bei Nichterfüllung der Resolution sei.

Täter des Giftgas-Anschlages weiterhin unbekannt

Offiziell darf Ban Ki-moon nicht im Namen der Vereinten Nationen feststellen, wen die Weltorganisation für das Giftgas-Massaker verantwortlich macht. Bei seiner Präsentation jedoch sprach der UN-Chefdiplomat von einem „Kriegsverbrechen und einer schweren Verletzung des Genfer Protokolls von 1925“. Syrien hat die Konvention im Jahr 1968 unterzeichnet. Sie verbietet „die Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von biologischen Mitteln im Krieg“.

Die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, war weniger zurückhaltend. Sie erklärte, die in dem Report enthaltenen technischen Beweise, „bekräftigen unsere Einschätzung, dass diese Attacken vom syrischen Regime ausgeführt wurden“. Nur das Regime habe nämlich die Fähigkeiten besessen, einen derartigen Angriff auszuführen, sagte Rice zur Begründung. Als „Beweise“ führte sie etwa die Qualität des eingesetzten Sarin-Gases und die Art der verwendeten Raketen an. Diese Einschätzung wird vom britischen Außenminister William Hague und seinen französischen Amtskollegen Laurent Fabius geteilt. Ihrer Meinung nach steckt Syriens Machthaber Baschar al-Assad hinter dem Chemiewaffeneinsatz.

UN-Kommission ermittelt in 14 Fällen

Aber in Syriens Bürgerkrieg wurden offenbar mehrmals Chemiewaffen eingesetzt. Eine Kommission der Vereinten Nationen untersucht insgesamt 14 mutmaßliche Attacken mit den toxischen Substanzen. „Ja, wir ermitteln in 14 Fällen“, bestätigte der Vorsitzende der Untersuchungskommission des Uno-Menschenrechtsrates, Sérgio Pinheiro, in Genf. In den meisten Fällen lägen Anschuldigungen von Zeugen gegen Truppen des Assad-Regimes vor. Pinheiro ermittelt auch gegen bewaffnete Oppositionelle. Der brasilianische Jurist und Diplomat will die Täter und die Verantwortlichen konkret benennen und überführen.

Neben den Attacken vom 21. August untersucht Pinheiro auch jeweils zwei mögliche Attacken mit Chemiewaffen im März und April. Weitere Angaben zu den laufenden Untersuchungen wolle Pinheiro nicht machen. Die Pinheiro-Kommission untersucht im Auftrag des Uno-Menschenrechtsrats mögliche Kriegs-Verbrechen in dem seit mehr als zwei Jahre dauernden Bürgerkrieg. Pinheiro hinterlegte bereits Listen mit Namen mutmaßlicher Kriegsverbrecher beim Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte. Für die Kommission arbeitet auch Carla Del Ponte, frühere Chefanklägerin des Jugoslawientribunals. Del Ponte wurde von Syriens Regierung zu einem Besuch in das Land eingeladen, sie lehnte aber ab. Pinheiro betonte, dass die gesamte vierköpfige Kommission mitsamt Mitarbeitern reisen müsste.

Das Assad-Regime verweigert der gesamten Kommission jedoch die Einreise. Deshalb müssen sich die Ermittler auf Zeugenaussagen und andere Quellen verlassen.

Noch letzte Woche hatte Russlands Präsident Wladimir Putin Vorwürfe, das Regime stecke hinter dem Massenmord mit Chemiewaffen, als „absoluten Unsinn“ angetan. Auch der Iran als regionaler Hauptverbündeter Syriens beschuldigte die Rebellen. Die Aufmerksamkeit von internationalen Waffenexperten hatte sich in den letzten Wochen bereits vor allem auf die beiden Raketentypen konzentriert, die mit dem Giftgasangriff am 21. August in Verbindung gebracht werden. Nach Erkenntnissen von Fachleuten wie Nic Jenzen-Jones vom Blog „The Rogue Adventurer” sowie Eliot Higgins vom Blog „Brown Moses“ existieren offenbar von jedem Typ zwei Varianten, einer mit einer extrastarken Sprengladung und einer mit Giftgasfüllung. Bereits kurz nach dem Massaker hatte die Zeitung „The National“ aus Dubai unter Berufung auf eine „mit dem Regime und der Opposition gut vernetzten Familie“ berichtet, die Raketen seien nur wenige Stunden vor dem Angriff angeliefert worden. Die lokalen Kommandeure und auch ein Teil der Transportfahrer habe nicht gewusst, dass es sich um die Giftgasvariante gehandelt habe. Offenbar unterscheiden sich die Raketen nach außen nur durch die Farbe der aufgemalten Produktionsnummern. Der konventionelle Sprengstofftyp trägt blaue Zahlen, der Giftgastyp rote Zahlen.

Unterdessen ging Assads jahrzehntelanger Verbündeter Iran erstmals auf Distanz zum syrischen Präsidenten und erklärte sich bereit, auch einen anderen syrischen Staatschef zu akzeptieren. Es gehe im Syrienkonflikt nicht um Assad, sagte der iranische Präsident Hassan Rowhani in einer Rede vor Kommandeuren der Revolutionsgarden in Teheran. „Syrien muss in erster Linie zur Stabilität zurückfinden. Wen immer die syrischen Bürger an die Spitze ihres Landes wählen, wir sind mit ihm einverstanden“, sagte Rowhani laut Nachrichtenagentur Irna.

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