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Politik: Gläserne Bürger – aus Bequemlichkeit

Der Datenschutzbeauftragte Jacob warnt vor den Folgen der technischen Überwachung

Die Warnung ist deutlich, der Warner berufen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass sich in unserem Land schleichend und fast unbemerkt eine Überwachungskultur entwickelt.“ Bei der Vorstellung seines letzten Tätigkeitsbericht am Mittwoch in Berlin kritisiert der Bundes-Datenschutzbeauftragte Joachim Jacob, welche Wirkung die Summe neuer Gesetze für die Privatsphäre der Bürger hat. Beispiel: Telefonüberwachung. Während sie in den USA trotz Terrorangst seltener eingesetzt wird, steigen die Zahlen in der Bundesrepublik. „Eine nachvollziehbare, befriedigende Erklärung hierfür gibt es nach wie vor nicht“, beschwert sich Jacob. Deshalb wisse niemand, ob eine Praxis, die als Ultima Ratio der Strafverfolgung geplant war, schon längst zum Standard geworden sei.

Jacobs 170-seitiger Bericht ist ein Katalog von Grundrechtsgefährdungen. Seine prominentesten Beispiele für die Erosionswirkung, die die Menge neuer Gesetze haben kann, sind der „gläserne Finanzmarkt“ und der „gläserne Kunde“. Unzählige Verschärfungen wurden nach dem 11. September 2001 zur Terrorismusbekämpfung auf den Weg gebracht. Um Geldwäsche zu verhindern und damit die Finanzierung von Terror unterbinden sollen seien die meisten davon wohl nötig, räumt Jacob ein. Dennoch ermögliche die „Summe der neuen Eingriffsmöglichkeiten die weitgehende Offenlegung des Anlageverhaltens jedes Bürgers“.

Dies bedrohe das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wie bei der Terror-Abwehr, so auch im Alltag. Jacob kritisiert, dass die Schufa wie viele andere Dienstleister „ihr Geschäftsfeld ausweitet“, jetzt beispielsweise gezielt Vermietern Auskünfte über die Bonität von Wohnungsinteressenten erteilt. Das Netz privatwirtschaftlicher Warndateien werde zur Gefahr, sobald „die einzelnen Systeme zusammengeschaltet“ würden. Wer mit 20 Jahren seine Handy- Rechnung nicht bezahlt habe, dürfe nicht vom Eröffnen eines Kontos oder vom Mieten einer Wohnung abgehalten werden.

Insgesamt attestiert Jacob dem Datenschutz einen schwierigen Stand. „Kaum verbessert“ sei die Lage; verbreitet sei noch immer die „erschreckende Kurzsichtigkeit“, zu glauben, dass keinen Datenschutz brauche, wer nichts zu verbergen habe. Während Jacob Rot-Grün für die Befristung vieler Anti- Terror-Gesetze lobt, rügt er, dass ein vielfach angemahntes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz noch immer fehlt.

Konkret fordert Jacob: Das Bundeskriminalamt solle auf die Rasterfahndung verzichten. Für Gen-Massentests müsse ein Gesetz verabschiedet werden. Im Gesundheitswesen drohe der Patient den Überblick über seine Daten zu verlieren. Und für das GPS und andere Ortungssysteme gelte wie für den Finanzmarkt, dass die Summe der technischen Möglichkeiten ein „Bedrohungspotenzial“ darstelle: „Der Bürger wird sich entscheiden müssen, wie gläsern er um seiner Bequemlichkeit willen werden will.“

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