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Glaubenswechsel: Die neuen Muslime

In Europa steigt die Zahl der Konvertiten zum Islam – ein kleiner Teil rutscht in die Terrorszene ab.

Berlin - Aufgewachsen ist sie in dem südbelgischen Städtchen Monceau-sur-Sambre. Verheiratet, 38 Jahre alt, zum Islam konvertiert – am Ende trug Muriel Degauque nur noch enge Schleier mit Sehschlitz und Handschuhe, damit auch ja kein Fleckchen Haut mehr zu sehen war. Am 9. November 2005 sprengte sie sich nahe Bagdad in die Luft und verletzte fünf irakische Polizisten. Eine düstere Premiere: Zum ersten Mal beging ein europäischer Konvertit ein Selbstmordattentat. Eine bizarre Einzeltat – und doch nicht nur. Denn sie warf ein Schlaglicht auf die wachsende Szene von muslimischen Konvertiten in Europa. Denn seit dem 11. September 2001 genießt der Islam auf dem alten Kontinent eine Aufmerksamkeit und einen Zulauf wie nie zuvor. Während die meisten Konvertiten durch den Religionswechsel neue Orientierung für ihr Leben suchen, gibt es eine kleine Zahl unter ihnen, die sich sehr rasch und sehr extrem radikalisieren.

So ermittelten die französischen Sicherheitsdienste, dass unter den 60 000 Konvertiten im Land etwa 1600 den islamistischen Salafisten zuzurechnen sind. Für Deutschland ist die Zahl der Konvertiten mit 15 000 deutlich geringer, etwa 60 Prozent von ihnen sind Frauen. Schlagzeilen machte letztes Jahr der Fall dreier zum Islam konvertierter Frauen aus Berlin und Süddeutschland, die angeblich Attentate in Pakistan und Irak geplant hatten. Die Metroanschläge von London 2005 wiederum, bei denen 56 Menschen starben, wurden von in Großbritannien aufgewachsenen Muslimen verübt und gehören ebenfalls in diese neue Kategorie eines europäischen Terrorismus.

Einen Terrorismus, der gewissermaßen auf unserem eigenen Mist gewachsen ist, nannte ihn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in einem Interview. Die wachsende Zahl von Menschen, die in Europa zum Islam konvertierten, hätte durchaus etwas Bedrohliches. „Ich sage natürlich nicht, dass jeder Konvertit ein potenzieller Terrorist ist. Aber man muss sehen, es wächst bei uns das Phänomen des home-grown terrorism“, erklärte der CDU-Politiker.

In das gleiche Horn stößt auch die Gewerkschaft der Polizei. „Die Konvertiten stellen eine ganz besondere Gefahr dar – auch wenn diese Gefahr nicht die Größenordnung hat wie in Frankreich, erklärte GdP-Chef Konrad Freiberg gegenüber dem Tagesspiegel. Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen mit etwa 70 sogenannten Gefährdern, also Konvertiten, die eine Terrorausbildung in Afghanistan und Pakistan gemacht haben, oder die Kontakte zu Terrorverdächtigen haben. Zu Anschlägen bereit sind aus dieser Gruppe etwa ein bis zwei Dutzend.

Die französischen Sicherheitsbehörden versuchen seit längerem, eine Typologie des radikalen Konvertiten auszuarbeiten: Vorwiegend junge Männer, Durchschnittsalter um die 30 Jahre, in der Regel aus sozial schwachen Vororten stammend, lautet das Profil. Auch haben die meisten nur eine rudimentäre Schulbildung und sind ohne Arbeit.

Dagegen hält der französische Soziologe Farhad Khosrokhavar von der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) solche Typisierungen für irreführend. Zwar stamme in Frankreich die Mehrheit der verhafteten Islamisten aus der Unterschicht, erklärte er gegenüber dem Tagesspiegel. Aber dies lasse sich nicht auf andere Länder Europas übertragen. Allein die soziale Herkunft erlaube es nicht, ein typisches islamistisches Profil zu erstellen. „Wir haben kein Modell dafür, warum die Gefühle von Erniedrigung, Frustration und Hass auf die Gesellschaft plötzlich in eine terroristische Aktion umschlagen. Man kann bei diesen Tätern ihre Motive eigentlich nur im Nachhinein ermitteln.“ Das belegen auch die bisherigen Erfahrungen der deutschen Polizei. „Diese Menschen sind vorher nie aufgefallen und haben sich dann in kürzester Zeit radikalisiert", erklärt der Chef der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg. „Für diese Form der Selbstradikalisierung gibt es kein Profil. Sie ist unvorhersehbar – und wird uns noch sehr beschäftigen."

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