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Politik: Gleichgeschaltete Muezzins

Kairo, die Stadt der tausend Minarette, hat den vielstimmigen Gebetsrufen aus 50 000 Lautsprechern den Kampf angesagt

Im Rücken die Pyramiden, zu Füßen das flimmernde Kairo – wer sich um die Mittagszeit bei den pharaonischen Weltwundern aufhält, kann ein akustisches Schauspiel der besonderen Art erleben. Kurz nach zwölf erhebt sich ein Gequäke und Gesumme aus den Häuserschluchten der 20-Millionen-Metropole, dass man sich zurückversetzt fühlt in die WM-Stadien von Südafrika. Aus 50 000 billigen Lautsprechern chinesischer Produktion steigt krächzend und pfeifend der muslimische Gebetsruf gen Himmel. Munter trompeten Allahs Vuvuzelas durcheinander – bis nach einigen Minuten der wundersame Klangteppich wieder zur Ruhe kommt.

Fünf Mal am Tag erschallt der sogenannte Azzan über der Stadt der tausend Minarette – angefangen vor Sonnenaufgang bis spät in die Nacht. Von einem „Krieg der Lautsprecher“ und „totalem Chaos“ spricht inzwischen die Regierung und hat der „Kakophonie“ im Namen Gottes den Kampf angesagt. Denn immer mehr Bürger beschweren sich beim zuständigen Ministerium für religiöse Stiftungen, wenn ihr lokaler Muezzin morgens um vier mit 130 Dezibel sein „Beten ist schöner als Schlafen“ durch die Häuserschluchten dröhnt.

Man habe mit der Reform „das Wohlergehen der Anwohner im Auge, besonders der Kranken und der Schulkinder, die sich aufs Lernen konzentrieren müssen“, erklärte der zuständige Minister Mahmoud Zaqzouq, der in den sechziger Jahren in München über Religionsphilosophie promoviert hat. Sogar die altehrwürdige Lehranstalt Al Ahzar wertete die Kairoer Praxis inzwischen als „Lärmbelästigung“.

Dem Sendungsbewusstsein per Phonstärke will Kairo nach sechs Jahren Vorbereitung jetzt den Riegel vorschieben – nach dem Beispiel von Syrien, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Alle 4000 Moscheen der Stadt sollen in den nächsten Wochen ihre Lautstärke spürbar drosseln und gleichzeitig an einen zentralen Gebetsruf von „Radio Groß-Kairo“ angeschlossen werden, den 20 handverlesene Scheichs im Wechsel bestreiten. Die 45 000 Minigebetsräume in den Häusern, Zawayas genannt, müssen künftig ganz schweigen. Ihre Lautsprecher auf den Dächern sind bisweilen größer als die fromme Kapelle im Erdgeschoss, die dem Hauseigner einen prächtigen Steuervorteil beschert.

Doch der Kampf gegen die frommen Verstärker ist keineswegs gewonnen. Eigentlich sollte die staatlich verordnete Verfeinerung der Sitten am Anfang des Ramadan in Kraft treten. Inzwischen ist der Fastenmonat zwar halb vorbei, der Lärm aber ganz ungebrochen. In den wohlhabenden Stadtteilen Heliopolis und Garden City habe man bereits die Hälfte aller Moscheen angeschlossen, trat Vizeminister Salem Abdel-Galil allen Zweiflern entgegen und beteuerte, bis zum Ende des Jahres solle ganz Kairo folgen.

Doch viele der 70 000 miserabel bezahlten Muezzins sind entschlossen, die Initiative zu torpedieren. Sie fürchten um Ansehen und Arbeitsplatz, wenn sie künftig ihrer schönsten Pflicht beraubt sind. „Ich weiß von nichts, mit mir hat niemand darüber gesprochen“, sagt Scheich Ismail Nourmani, der seit Ewigkeiten der Moschee an der Nil-Corniche vorsteht. Für ihn ist sein täglicher Gebetsruf „heilige Pflicht“. Andere haben konservative islamische Gelehrte mobilisiert, so dass nun der übliche Streit tobt, wie es wohl der Prophet Mohammed gehalten hätte, wäre er noch auf Erden. Einzelne vertrauten gar lokalen Reportern an, bei dem Plan der Regierung habe in Wirklichkeit „Amerika die Hand im Spiel“.

Auch der Nebenerwerbs-Iman einer Zawaya in Dokki, der gleich zwei große Lautsprecher hoch oben an der Grenze zum Himmel betreibt, denkt gar nicht daran, künftig zu verstummen. Dass er morgens die gesamte Nachbarschaft für seine Handvoll Frühbeter aus dem Schlaf reißt, quittiert er nur mit grinsendem Achselzucken. Er rufe seit 25 Jahren und würde das gerne noch weitere 25 Jahre tun, wenn Allah ihm das vergönne. Wem das nicht passe, meint er, der könne ja wegziehen.

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