zum Hauptinhalt
Proteste in Heiligendamm

© ddp

Globalisierungsgegner: Der Erfolg der Bewegung ist ihre Herausforderung

Die Weltelite versammelt sich zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Themen wie der Klimawandel und unternehmerische Verantwortung sind im idyllischen Schweizer Bergdorf angekommen. In den vergangenen Jahren fand zeitgleich das Weltsozialforum statt. Dieses Jahr nicht, nur einen Aktionstag wird es geben. Ein Problem für die Globalisierungskritiker?

Das entscheidende Thema auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wird die Rezessionsgefahr sein. Aber auch Fragen nach der sozialen Verantwortung der Wirtschaft, Klimaschutz und Umweltprobleme erhalten immer mehr ihren Platz auf der Agenda - kurz: die ganze Palette der Nachhaltigkeit. Gleichzeitig diskutieren Politiker und Medien leidenschaftlich über die Verhältnismäßigkeit von Managergehältern.

Die Themen der Globalisierungskritiker sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die Bewegung hingegen kämpft gegen Ermüdungserscheinungen und Zwist in den eigenen Reihen.

Die Proteste in Heiligendamm waren entscheidend für die Bewegung und ihren jetzigen Zustand. Die Mobilisierung war immens, mehr als 100 bundesweite Gruppen und Organisationen beteiligten sich am Protest gegen den G8-Gipfel.

Herausforderungen nach dem Großevent G8-Gipfel

Das Problem dabei ist, dass es kaum eine einheitliche Linie gibt: Während sich pazifistische Gruppen und Menschenrechtsorganisationen für den Weltfrieden und gegen Armut einsetzten, prangerten linksradikale Gruppen den Kapitalismus an. Einige Gruppen lehnen Gewalt ab, andere sehen sie als Mittel zum Zweck. Ein Teil der Linken lehnte Forderungen an die G8 kategorisch ab, weil sich die G8 für sie als "Institution ohne Legitimation" darstellen.

Weltfrieden, Frauenrechte, Kapitalismuskritik: Die Schwerpunkte der einzelnen Gruppierungen sind uneinheitlich. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Paula Riester, geht dennoch davon aus, dass sich die gemeinsame Vorbereitung der Aktionen rund um den G8-Gipfel positiv auswirken wird. "Ich glaube nicht, dass die Bewegung nach Heiligendamm zerstrittener ist als früher. Eher umgekehrt: Wir überlegen jetzt ganz konkret gemeinsam, wie es weitergehen kann."

Globalisierungskritiker sind in der Gesellschaft angekommen

Für Peter Wahl, Mitglied im Koordinierungsrat von Attac, ist es völlig selbstverständlich, dass die Bewegung "nach einer solchen Kraftanstregung in ein Loch" fallen musste. Die wichtigste Herausforderung, so Wahl, sei es, gemeinsam handlungsfähig zu sein. Als Beispiel nannte er die Schließung des Bochumer Nokia-Werks: Kritiker aus Rumänien, Finnland und Deutschland müssten sich vernetzen und gemeinsam Alternativen erarbeiten. "Es fällt der Bewegung schwer, sich auf etwas Neues zu verständigen", glaubt er.

Hinzu kommt, dass die Forderungen der Globalisierungskritiker mittlerweile Eingang gefunden haben in politische Sonntagsreden und die Marketingstrategien der Unternehmen.

Claus Leggewie, Politikwissenschaftler am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, erklärt damit auch die Spannungen innerhalb der Bewegung: "Für die Vertreter der reinen Lehre, die den Kapitalismus bekämpfen und abschaffen wollen, ist das ein Verrat an den Maximalzielen der Bewegung, für die anderen ist es ein Erfolg, weil die einstige Minderheit keine Minderheit mehr ist."

Auf der Suche nach neuen Zielen

Am Wochenende fand in Berlin ein Treffen der globalisierungskritischen Gruppen statt. Die "Perspektiventage" sollten Klärung bringen, wie es nach Heiligendamm weitergehen könnte. Im Programm der Veranstaltung heißt es: "Wie wir gemeinsam kämpfen und uns bewegen, was wir erreichen und was wir konkret verändern wollen, darüber haben wir uns gemeinsam – spektrenübergreifend – noch nicht verständigt." Die Teilnehmer einigten sich immerhin auf ein gemeinsames Klimacamp, das im Sommer stattfinden soll.

Ein Großevent wie der Gipfel in Heiligendamm mobilisiert viele jugendliche Protestierer, die ein gewisses Unbehagen gegenüber der Globalisierung verspüren. Im Alltag lässt das Engagement oftmals schnell wieder nach. "Ehrenamtliches Engagement ist zu einem Luxus geworden", stellt Riester fest. Immer höhere Anforderungen werden an junge Menschen und ihre Lebensläufe gestellt, sie müssen studieren und Geld verdienen. Zeit für organisatorische Vorbereitungen im Alltag der Bewegung nehmen sich nur wenige.

Leggewie fordert: "Eine Bewegung braucht symbolische Ereignisse, um zu mobilisieren, sie muss aber auch die mühsame kleinteilige Überzeugungsarbeit leisten." Auch der Attac-Mann Wahl sieht das Problem, das allerdings seiner Einschätzung nach alle politischen Organisationen haben: Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Parteien. Das Internet biete jedoch neue Chancen, um Interessierte zu mobilisieren. Es bräuchte nicht mehr zwangsläufig die kontinuierliche Arbeit von Parteien dafür.

Aktionstag statt Weltsozialforum

Das Weltsozialforum, das seit 2001 in den letzten Jahren immer zeitgleich mit dem Weltwirtschaftsforum stattfand und ein Forum für die Forderungen der Globalisierungskritiker darstellte, wird es dieses Jahr nicht geben. Politische Gründe macht Wahl dafür nicht verantwortlich. Eher logistische. Immerhin sind es nicht Manager, die Spesen abrechnen können, sondern Mitglieder einer Bewegung, die nicht über Geld im Überfluss verfügt.

Stattdessen findet am Samstag ein Aktionstag unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" statt: Konzerte gegen Armut in Brasilien, ein Frauenmarsch in Indien, Proteste von Bauern in Indonesien, zwei Hearings zum Thema Welthandel in Bonn und der Friedenskongress "Deutschland im Krieg" in München sind nur einige der geplanten Aktivitäten. "Wenn sich ein elitärer Zirkel aus Politik und Wirtschaft zum Weltwirtschaftsforum in Davos trifft, sagen wir rund um den Globus nein zu einer Welt, in der Profite mehr zählen als Menschen" erklärt Viviana Uriona vom Koordinierungskreis von Attac.

Nach Ansicht Leggewies übertrage sich der Druck der Öffentlichkeit "angesichts der sich öffnenden Schere zwischen Superreichen und Armen" immer mehr auch auf die Manager in Davos. Anerkennend stellt Peter Wahl fest, er glaube, dass die Davos-Teilnehmer ehrlich nach Wegen aus der Krise suchen würden. Er sieht darin ein Erfolg der Öffentlichkeit und stellt fest: "Der Mainstream ist bei uns angekommen, nicht wir im Mainstream."

Nicole Meßmer

Zur Startseite