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Politik: Godesberg liegt diesmal in Berlin

SPD UND DIE REFORMEN

Von Gerd Appenzeller

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Die SPDSpitze hat im Moment Angst, ziemlich viel Angst. Angst vor den eigenen Mitgliedern. Nicht vor allen, aber vor vielen. Dass man die genaue Zahl nicht kennt, macht die Angst nicht kleiner. Es könnte nämlich sein, dass eine deutliche Mehrheit der Mitglieder unter sozialdemokratischer Politik etwas anderes versteht als der Parteivorsitzende. Das wäre kein Problem, wenn der Vorsitzende nicht auch Bundeskanzler wäre. Der aber muss Schaden vom deutschen Volk abwenden. Es sieht so aus, als sei das, was sich viele Sozialdemokraten unter der richtigen Politik vorstellen, etwas Schädliches für die Bevölkerung ist. Bis zum 1.Juni, dem Sonderparteitag der SPD in Berlin, hat Gerhard Schröder noch Zeit, in Übereinstimmung zu bringen, was im Moment als nicht kompatibel erscheint – eine zukunftssichernde Arbeits- und Sozialpolitik und das, was viele SPD-Mitglieder als sozial gerecht empfinden.

Die zwölf sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten, die durch ein Mitgliederbegehren die Agenda 2010 des Kanzlers unterlaufen wollen, könnten am Ende über einen Mitgliederentscheid gegen Schröders Politik ein Votum erreichen, das einem Parteitagsbeschluss gleich käme. Der Parteivorsitzende Schröder könnte sich nicht einfach darüber hinwegsetzen. Den Bundeskanzler Schröder würde es nicht binden. Ein imperatives Mandat lässt das Grundgesetz nicht zu. Dennoch ist das Spiel der Zwölf zwar hinterhältig, nicht aber falsch. Die Parteiführung weiß das sehr wohl. Sie versucht deshalb lediglich, die Initiatoren des Mitgliederbegehrens politisch zu denunzieren und einen Keil zwischen sie und die für das Begehren anfälligen Parteimitglieder zu treiben.

Schon das könnte anders als gewollt enden, denn so macht man Märtyrer. Und mit Oskar Lafontaine haben die Zwölf den denkbar prominentesten Fürsprecher und einen Mann obendrein, der, anders als Schröder, einen Parteitag umbiegen kann. Auch Lafontaine ist Verstandesmensch wie Schröder. Im Gegensatz zum Kanzler aber kann er Emotionen mobilisieren und instrumentalisieren. Unvergessen, wie er 1995 den Mannheimer Parteitag mitriss und Rudolf Scharping aus dem Vorsitz kippte.

Und Lafontaine besetzt publikumswirksam Begriffe. Schröder wird scheitern, sagt er, wenn er seine neoliberale Politik fortsetzt. Da ist das Schimpfwort, mit dem man jeden Sozialdemokraten zornig machen kann. Das wirkt so wie die Polemik des designierten IG-Metallvorsitzenden Peters – der fragte in einem Interview, ob man denn Arbeitsplätze schaffe, indem man die Menschen aus ihren Jobs jagt. Was Schröder will, hat mit neoliberal nichts, mit einem Überlebenstraining für den sozialen Staat aber alles zu tun. Aber er ist nicht in der Lage, das zu vermitteln. Menschen mitzunehmen, einen Weg geduldig als lange Strecke und nicht nur als Puzzle von Teilstücken zwischen gestern und morgen zu sehen, ist ihm nicht gegeben. Als ob er Wärme für Schwäche hält und strategisches Denken und Planen für unnötigen Zeitverlust, stößt er die eigene Partei vor den Kopf und verzögert gleichzeitig die überfälligen Sozialreformen. Vor drei Jahren hätte das, was Schröder heute in seiner Agenda 2010 plant, noch schnelle Wirkung entfalten können. Jetzt, wo längst Resignation in der Öffentlichkeit dominiert, ist zwar noch immer nicht falsch, was der Kanzler will – aber es kommt viel zu spät, wird deutlich verzögert zu einem Aufschwung am Arbeitsmarkt führen und damit die Kritiker seiner Politik eher bestätigen denn ruhig stellen.

Nun zeigt sich die Gruppe der Zwölf plötzlich kompromissbereit. Aber ist durch ein Einlenken Schröders der Parteitag zu retten, dass Mitgliederbegehren zu stoppen? Nein. Was er will, ist ja schon der Kompromiss, ist weniger als das Nötige, ist das Unumgängliche, auch wenn es sich hier und da noch besser ausformen ließe. Auch die von der Union angebotene Hilfe, das vergiftete Geschenk der Oppositionsstimmen im Bundestag, gegen des Kanzlers eigene Partei, verspricht keine Rettung. Wenn Schröder das zweite Godesberg der SPD, nun in Berlin, ertrotzen will, muss er kämpfen, wie er noch nie gekämpft hat. Denn Deutschland auf Reformkurs bringt er nur mit seiner Partei, nicht gegen sie.

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