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Politik: Grauzonen in oliv

Experten sehen keine rechtsextremen Tendenzen in der Truppe, aber mangelndes Gespür für die Brisanz von Hohmanns Äußerungen

Ist es ein Einzelfall oder nicht? Wieder einmal sieht sich die Bundeswehr dem Vorwurf ausgesetzt, antisemitischen oder gar rechtsextremen Tendenzen einen Nährboden zu bieten. Ausgelöst diesmal durch die Entlassung von Brigadegeneral Reinhard Günzel, bis Dienstag Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der die umstrittene Rede des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann gelobt hatte. Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) versicherte am Mittwoch, diese Meinung sei in der Truppe nicht weit verbreitet; insbesondere die Offiziere seien „durch ihre Ausbildung demokratisch gefestigt“.

In der Tat sind sich nahezu alle Experten einig, dass Rechtsextremismus kein Problem der Bundeswehr allein ist. Eine 1997 von der Bundeswehrhochschule in Hamburg durchgeführte Studie unter Offiziersanwärtern zeigte aber, dass 75 Prozent der Studierenden christlich-konservative Positionen favorisieren. Und 21 Prozent bezeichneten ihre Einstellung als „national-konservativ“. Die Untersuchung gab jedoch keine Antwort darauf, wie viele davon als „rechtsextrem“ einzuschätzen sind und wo Grauzonen liegen.

Ein Experte der Bundeswehrhochschule in München sagte dem Tagesspiegel: „Ohne Frage sind Soldaten wertkonservativ, und die Grenzen sind häufig schwer zu ziehen.“ Und: „Das Offizierkorps reproduziert sich durch das Beurteilungssystem ständig selbst. Andere politische Ansichten sind daher kaum vertreten.“ Im aktuellen Fall ließen Gespräche mit jungen Offizieren erkennen, dass vielen die Sensibilität fehle, um die politische Brisanz der Hohmann-Rede zu erkennen.

Wolfgang Gessenharter, Rechtsextremismusexperte am Institut für Politikwissenschaft der Bundeswehr-Universität in Hamburg, sagte dem Tagesspiegel, ihn habe überrascht, dass sich mit General Günzel zum ersten Mal ein Offizier, der noch im Dienst stand, „so eindeutig zur Neuen Rechten, dem Scharnier zwischen Rechtsextremismus und Neokonservativismus, bekannt“ habe. Bislang hätten „sie ihr Herz dafür öffentlich immer erst entdeckt, wenn sie in Pension waren“. Mit seinem Solidaritätsbekenntnis stehe Günzel für eine Gruppe Soldaten, für die sich Politik als klare Freund-Feind-Unterscheidung definiere. „Der Brief ist eindeutig in dem Ton verfasst: ,Hier stehe ich, ich kann nicht anders’, und ist eine klare Provokation des linken Lagers in Berlin – gerichtet gegen den Mainstream“, sagte Gessenharter.

Er warnte jedoch davor, aus diesem und anderen Fällen – beispielsweise rechtsextremistischen Ausfällen von unteren Dienstgraden oder Wehrpflichtigen – abzuleiten, die Bundeswehr sei in der Tendenz rechtsextremistisch. Als Konsequenz aus dem Fall Hohmann/Günzel forderte er, in der Bundeswehr müsse „ein Format für die politische Bildung der Soldaten entwickelt werden, in dem die Äußerungen kontrovers diskutiert werden“. Gessenharter sagte, er könne zwar nicht beurteilen, ob in die politische Bildung der Soldaten ausreichend investiert werde. Er habe aber den Eindruck, „auch die Bundeswehr ist nicht frei von Politikverdrossenheit“.

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