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© Mike Wolff

Gregor Gysi: "Chaotisch sein ist nicht so schlimm"

Gregor Gysi überforderte Genossen, Bedingungen für Bündnisse mit der SPD - und sich selbst als Minister für Rinderzucht.

Herr Gysi, nach dem SPD-Parteitag im November ist die Kritik der Linkspartei an den Sozialdemokraten erstaunlich leise geworden. Haben Sie nichts mehr zu meckern?

Oh doch. Die SPD ist ganz schön wirr. Die Sozialdemokraten wollen uns die linken Themen nicht überlassen, sie wollen sie aber auch nicht ernsthaft einlösen. Auf der einen Seite wird das Arbeitslosengeld I für Ältere, wenn auch nur gering, verlängert. An das Arbeitslosengeld II will man aber überhaupt nicht heran.

SPD-Chef Kurt Beck kämpft für Mindestlöhne und will die Höhe von Managergehältern gesetzlich begrenzen. Da ziehen Sie doch mit ihm an einem Strang, oder?

Ich bin stolz, dass wir den Zeitgeist verändert haben – und damit auch die anderen Parteien …

Wie bitte: Die Linkspartei war es, die den Zeitgeist verändert hat?

Na ja, die Stimmung in der Gesellschaft hat sich geändert. In Talkshows wird plötzlich wieder nach sozialer Gerechtigkeit gefragt. Den Bundesparteitag der SPD mit der Forderung nach einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes I hätte es ohne uns nicht gegeben. Und als wir im Bundestagswahlkampf 2005 den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn vorschlugen, haben uns alle gesagt, das sei ökonomischer Unsinn. Jetzt tut die SPD so, als hätte sie die Mindestlöhne erfunden.

Immerhin setzt die SPD die Mindestlöhne um – im Gegensatz zu Ihnen.

Wichtig ist, dass wir die Veränderungen eingeleitet haben. Natürlich: Die SPD führt in einigen Branchen Mindestlöhne ein. Dass sie dazu überhaupt bereit ist, hat aber auch viel mit uns zu tun. Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn sehe ich allerdings noch lange nicht.

Obwohl die Republik ja ganz offensichtlich nach links gerückt ist …

Nein, von einem Linksruck in der Gesellschaft können Sie nicht sprechen, und in der SPD gab es auf dem Parteitag gerade mal ein Rückchen. Klar, die großen Parteien haben Angst, wenn sie Bilder aus den Pariser Vorstädten sehen. Aber dann müssen sie nicht nur reden, sondern die Probleme auch lösen.

Alles also nur Rhetorik bei den anderen Parteien, gegen die sie bei der Bundestagswahl 2009 antreten müssen?

Gerhard Schröder gab vor zwei Jahren schon im Wahlkampf einen Sozialdemokraten, der er in der Regierung nie war. Mit heiserer Stimme kämpfte er da, und mit Leidenschaft. Ich habe das im Fernsehen gesehen, ich wusste, damit holt er auf. Hat er ja dann auch. Aber daraus hat auch Angela Merkel gelernt. Einen neoliberalen Wahlkampf wie damals wird sie nicht mehr machen.

In der Öffentlichkeit wird die SPD aber wieder stärker als Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen. Wird die Linkspartei überhaupt noch gebraucht?

Wir sind ein wichtiger Korrekturfaktor. Und ein Korrekturfaktor wird mal mehr und mal weniger gebraucht. Dass es dann auch in den Umfragen mal rauf und runter geht, ist völlig normal. Um unsere Existenz fürchte ich nicht: Die Menschen haben schließlich begriffen, dass die SPD nur dann sozialdemokratischer wird, wenn die Linke stark ist.

Inzwischen geißelt sogar eine christdemokratische Kanzlerin die Höhe von Managergehältern. Welche Rolle bleibt Ihnen da überhaupt noch?

Nicht nur die SPD lässt sich von uns treiben, sondern indirekt auch die CDU. Wenn wir in diesem Land etwas korrigieren wollen, dann dürfen wir uns nicht beschweren, wenn dies dann auch geschieht. Wir wollen ja politisch etwas bewegen.

Sie schreiben sich auch eine bessere Menschenrechtspolitik auf die Fahnen. Selbst da ist Ihnen Merkel anscheinend voraus.

Ich habe die Kanzlerin ja eher gelobt, als sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die chinesische Führung kritisiert hat. Aber wenn einem ernsthaft an den Menschenrechten liegt, muss man auch die USA deutlich und offen kritisieren. Ich dachte, bei ihrem Besuch auf der Ranch des US-Präsidenten fällt ihr irgendetwas zu dem Gefangenenlager Guantanamo oder den CIA-Geheimgefängnissen in Osteuropa ein. Und dann kam gar nichts. Das kann man ihr nicht durchgehen lassen. Die DDR hat auch immer Menschenrechtsverletzungen der USA angeprangert, nur in der Sowjetunion und bei sich selbst nicht. Von dieser Einseitigkeit habe ich die Schnauze voll.

Ihr Parteichef Lothar Bisky sagt, die Linke müsse sich bei den Bundestagswahlen 2009 auf eine Regierungsbeteiligung einstellen.

Ich möchte gern, dass der Schwarze Peter hier bei der SPD bleibt. Sie soll klar und deutlich sagen, wenn sie inhaltlich nicht mit uns kann oder nicht will. Real sehe ich für 2009 noch keine Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung. Aber es muss auch nicht bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode dauern, bis ein Linksbündnis im Bund regierungsfähig wird.

Nennen Sie uns doch bitte einmal Ihre Bedingungen für eine Koalition mit der SPD und den Grünen.

Wir haben sieben Forderungen: den gesetzlichen Mindestlohn, den Kampf gegen Kinderarmut, einen Abzug der Soldaten aus Afghanistan, die Überwindung von Hartz IV, die Reform der Gesundheitsreform, die Rente mit 65 statt erst ab 67 mit einer gerechteren Rentenformel, und eine deutliche Angleichung der Lebensbedingungen von Ost- an Westdeutschland.

SPD-Chef Beck sagt, eine Koalition mit der Linken kommt nur im Osten infrage, nicht im Westen.

Das ist doch eine bodenlose Frechheit. Den Sachsen ist eine Koalition mit der Linkspartei zuzumuten, aber nicht den Hessen? Was für ein Quatsch! Grundsätzlich gilt: Eine Koalition kommt nur zustande, wenn die Arithmetik stimmt, aber vor allem muss es dafür auch eine gesellschaftliche Stimmung geben.

Wenn Sie an die anstehenden Landtagswahlkämpfe denken: Wie wichtig ist denn für Ihre Partei die Regierungsbeteiligung in einem westdeutschen Bundesland?

Haben wir nicht noch ein bisschen Zeit dafür? Wichtig ist doch, dass wir in die Landtage einziehen und unsere neuen Abgeordneten dort das Handwerk lernen. Im besten Fall haben sie bisher ja nur Erfahrungen aus Kommunalparlamenten.

Aber im Januar 2008 Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch zu stürzen – das wäre für die Linke doch ein lohnendes Ziel?

Zunächst einmal gilt: Wenn wir nicht in den Landtag gewählt werden, dann bleibt Koch auf jeden Fall Regierungschef. Erst wenn uns der Einzug gelingt, gibt es andere Chancen. Und wenn von der SPD ein faires Angebot kommt, darf eine Regierungsbeteiligung an uns nicht scheitern. Wenn es kein Angebot gibt, gibt es keines.

So toll sieht es in den West-Landesverbänden ja nicht aus: In Hessen geriet die Wahl des Spitzenkandidaten zum Fiasko. In Bremen hat die Linke nach dem Einzug in die Bürgerschaft Monate gebraucht, um sich halbwegs zusammenzuraufen. In Hamburg ist sie kaum wahrnehmbar…

Zugegeben, wir sind im Westen teilweise noch in einer Überforderungssituation, wir haben hier ein paar chemische Probleme. Aber Sie müssen bedenken: Allzu lange liegt die Vereinigung unserer beiden Vorgängerparteien – der WASG und der PDS – noch nicht zurück, und es läuft doch.

Auch der Mitgliederzulauf hält sich im Westen in Grenzen…

Selbstverständlich wünschte ich mir überall so viele neue Mitglieder wie im Saarland. So weit sind wir eben noch nicht. Doch bei allen Problemen: Es hat sich kulturell etwas verändert. Vor vier, fünf Jahren hätte sich doch fast niemand für die Entwicklung unserer Partei im Westen auch nur interessiert.

Werden Ihre Wähler nicht enttäuscht, wenn demnächst, zugespitzt gesagt, handwerklich überforderte Chaostruppen in den Landtag einziehen?

Genau umgekehrt. Die Wähler wollen, dass unsere Kandidaten anders sind. Das Problem entsteht doch erst, wenn unsere Leute denen ähneln, die schon drin sind. Lasst die Leute doch mal ein bisschen chaotisch sein, das ist gar nicht so schlimm.

In Berlin regiert die Linkspartei eher geräuschlos mit. Lafontaine sagt, er würde sich da auch mehr oppositionellen Geist wünschen …

Wir sind beide mit der aktuellen Entwicklung in Berlin zufrieden. Da wurden sehr vernünftige Entwicklungen eingeleitet. Wir haben jetzt ein Sozialticket für Kultur und öffentlichen Nahverkehr, wie es andere Städte nicht kennen. Es gibt einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für schwer vermittelbare Arbeitslose. Öffentliche Aufträge gehen nur noch an Firmen, die Tariflöhne und mindestens 7,50 Euro pro Stunde bezahlen. Wir befördern die Idee einer Gemeinschaftsschule. Und wir haben einen sanierten Haushalt vorgelegt. Das ist nun wirklich eine extravagante Leistung von Rot-Rot, das hätte uns vorher keiner zugetraut. Woran es fehlt, ist höchstens, dass wir als Linke hier keine Spitzenperson haben, die so heraussticht wie etwa Klaus Wowereit.

In Thüringen wollen Sie mit Bodo Ramelow erstmals einen Ministerpräsidenten stellen. Ist die Zeit reif dafür?

Ja, das ist sie und zwar wegen des dort regierenden Ministerpräsidenten. Wissen Sie, ich habe nichts gegen die Ost- Biografie von Dieter Althaus, der damals als Pädagoge auch schon mal den Mangel an jungen Marxisten und Leninisten beklagt hat. Das Problem ist, dass er jetzt immer der Erste ist, wenn es gegen die ehemalige DDR geht. Das mag ich nicht, das macht Angela Merkel nicht. Wenn man aber eine so unehrliche Haltung zu sich selber hat, wird auch die Politik entsprechend. Immer verkrampft, immer überlegend, was nicht an früher erinnern darf. Da fehlt die Souveränität.

Aber Thüringens SPD würde ja mit der Linkspartei zusammengehen ...

Aber nur, wenn sie mehr Wählerstimmen erhält. Diese Bedingung ist ein Unding, da geht es ja überhaupt nicht mehr um politische Inhalte. Nein, Bodo Ramelow ist da eine ganz andere Größe. Das ist unser Angebot. Und generell bin ich sehr dafür, dass meine Partei diesbezüglich im Osten selbstbewusst auftritt. Wir sollten überall eigene Ministerpräsidenten-Kandidaten haben, auch in Brandenburg, in Sachsen, in Sachsen-Anhalt. Schließlich sind wir in den neuen Bundesländern insgesamt gesehen so stark wie die SPD und die Union. Klar, im Westen sind wir nur eine Fünf- bis Sechs-Prozent-Partei, aber im Osten kommen wir auf 25 bis 30 Prozent. Warum sollten wir uns da zurücknehmen? Eine Ausnahme bildet das Saarland, da wollen wir auch den Ministerpräsidenten stellen.

Sie haben sich schon in der PDS für eine Entkrampfung des Verhältnisses zu den Sozialdemokraten stark gemacht. Wer sind bei der SPD im Moment Ihre Ansprechpartner?

Da gibt es wenige. Und die werde ich nicht öffentlich nennen – sonst werden sie noch in ihrer Partei schief angesehen.

Für viele in der SPD ist Oskar Lafontaine das Haupthindernis für eine Koalition mit der Linkspartei. Der hat nun erklärt, dass er auf ein Regierungsamt verzichten würde und stattdessen gerne bereit ist, spazieren zu gehen. Wären Sie bereit, mit Lafontaine spazieren zu gehen?

Wenn eine solche Situation nicht zu spät kommt, strebte ich eher an, die Fraktion zu leiten. Ein einzelnes Bundesministerium ist ja sehr aufregend, aber nicht so für mich. Was ich gerne machen würde, kann ich nicht: Außenpolitik. Dafür sind meine Fremdsprachenkenntnisse zu begrenzt. Für mich als gelernten Rinderzüchter wäre da eher die Landwirtschaft geeignet, aber das muss ja wohl nicht sein.

Das Interview führten Cordula Eubel, Matthias Meisner und Rainer Woratschka. Das Foto machte Mike Wolff.

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