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Politik: Grenzen, Verbote und Solidarität – oder freies Spiel der Kräfte?

Bund und Länder wollen weniger Schulden machen. Ob das gemeinsam oder gegeneinander besser gelingt, ist umstritten

Berlin - „In der Politik gibt es einen unstillbaren Drang, sich zu verschulden, weil die Kosten von den Nachkommenden getragen werden, der Nutzen aber in der Gegenwart anfällt.“ So lautet die Erfahrung des Staatsrechtlers Hans Meyer, Ex-Präsident der Humboldt-Universität, und so ähnlich hat es schon der englische Philosoph David Hume im 18. Jahrhundert formuliert. Doch die Politik ungebremster Schuldenvermehrung stößt an Grenzen: 1,5 Billionen Euro, das Dreifache der jährlichen Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen, sind an Verbindlichkeiten angehäuft, versteckte Schulden, etwa für künftige Beamtenpensionen, nicht mitgerechnet.

Die Verschuldung war für den Staat (und vor allem für die Kreditgeber) bislang relativ risikolos – am Ende zahlt der Steuerzahler die Rechnung. Aber selbst die Mehrwertsteuererhöhung zu Anfang des Jahres verhindert nicht, dass der Bund bis mindestens 2009 neue Schulden aufnimmt – trotz guter Konjunktur. Eine Ursache der massiven Staatsverschuldung ist auch der Haftungsverbund von Bund und Ländern, der es den Ländern unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit gestattet, viel und günstig am Kreditmarkt anschreiben zu lassen, weil der starke Bund am Ende bürgt. Berlin, das Saarland und Bremen sind die prominenten Beispiele, aber auch Schleswig-Holstein und einige Ostländer haben kritische Schuldendimensionen erreicht.

Mit der zweiten Stufe der Föderalismusreform soll nun der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt werden. Aber seit Monaten dümpelt die Debatte vor sich hin. Alles wartet auf Peer Steinbrück. Erst wenn der Bundesfinanzminister konkrete Vorschläge zur Schuldenbegrenzung vorlegt, wird die Diskussion wieder an Fahrt gewinnen. Nur in Grundzügen sind seine Pläne bekannt. Sie laufen auf eine im Vergleich zur jetzigen Regelung (Bindung der Verschuldung an die Höhe der Investitionen, dazu Begrenzungen durch den Eurostabilitätspakt) härtere Schuldengrenze hinaus, die auch an den Konjunkturverlauf gebunden ist – Schulden wären erlaubt, wenn die Wirtschaft schlecht läuft und damit die Steuereinnahmen sinken, aber sie müssten in der Aufschwungphase getilgt werden. Zudem soll die mögliche Verschuldungshöhe geringer werden.

Auch die Länder wollen sich Schuldengrenzen auferlegen. Mehrere Ministerpräsidenten wollen sogar ein grundsätzliches Schuldenverbot. Der Grund liegt auf der Hand: Einfache Schuldengrenzen lassen sich überschreiten, und die Politik tut das regelmäßig. Deutschland hat den Europakt jahrelang gebrochen, und der Artikel 115 des Grundgesetzes, der eigentlich die Schuldenaufnahme begrenzen soll, wird seit Jahrzehnten sehr locker ausgelegt. Ein klares Verbot soll diese Neigung eindämmen. Zumal dann, worauf HU-Professor Meyer verweist, in normalen Zeiten jeder Kreditvertrag unwirksam wäre. Nur in klar umrissenen Ausnahmefällen soll das Verbot aufgehoben werden können, in schweren Wirtschaftskrisen oder nach Naturkatastrophen etwa.

Zudem soll die Notverschuldung nicht allein von der jeweiligen Regierungsmehrheit abhängig sein – die Opposition soll beteiligt sein, etwa über eine Zweidrittelmehrheit bei der Entscheidung. Doch das hat einen Haken: Was ist, wenn die Opposition nicht mitmacht, trotz Notlage, um die Regierung vorzuführen? Bei einem Zweidrittelquorum würde es genügen, wenn sich gut ein Drittel des Parlaments verweigert. Eine radikale Minderheit könnte so ausgerechnet in staatlichen Notzeiten entscheidendes Gewicht bekommen.

Neben Schuldengrenze und Schuldenverbot ist eine weitere Variante zur Schuldenkontrolle in der Diskussion: die Schuldnerselbstverantwortung von Bund und Ländern. Sie sieht keine Grenzen und Verbote vor, sondern setzt sozusagen auf den Markt. Der Clou des Modells ist die Auflösung des Haftungsverbundes von Bund und Ländern. Der HU-Ökonom Charles B. Blankart verweist darauf, dass Artikel 109 des Grundgesetzes dies eigentlich auch vorsieht: Danach sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig. Ohne Haftungsverbund würden sich völlig neue Kreditbedingungen ergeben. Während derzeit die Zinssätze für Bund und Länder nahe beieinander (und relativ niedrig) sind, würde es dann zu höheren und unterschiedlichen Zinssätzen kommen – je nach Kreditwürdigkeit von Bund und Ländern. Allein die Aussicht, höhere Zinsen zahlen zu müssen, wirkt laut Blankart bremsend auf die Verschuldung. Auch der Volkswirtschaftler Kai A. Konrad vom Wissenschaftszentrum Berlin setzt auf eine heilsame Wirkung der Kreditmärkte: Die hätten eine „natürliche Kontrollfunktion, die für eine solide Haushaltspolitik sorgt und dafür, dass eine Überschuldung extrem unwahrscheinlich wird“, sagt er.

Die Schuldnerselbstverantwortung würde allerdings weitere Reformschritte nötig machen: So funktioniert sie nur mit einer Steuerautonomie der Länder, mindestens aber müsste es ein Zu- und Abschlagsrecht bei den Einkommensteuern geben. Wie der Bund müssten die Länder die Chance haben, Steuern zu erhöhen, statt Schulden zu machen.

Anderenfalls würde auch ein Sanktionsmittel nicht greifen, das derzeit in der Föderalismuskommission diskutiert wird: der „Schuldensoli“, ein automatischer Steuerzuschlag, um nach einer höheren Schuldenaufnahme schneller wieder tilgen zu können. Als Auffangnetz müsste wohl auch die Möglichkeit der Sanierungsinsolvenz vorgesehen werden, um von einer überhöhten Schuldenlast herunterzukommen. Dabei geht es natürlich nicht um die Liquidation von Ländern, sondern darum, mit allen Kreditgebern eine vernünftige Sanierungslösung zu finden.

Schließlich müsste noch die Altschuldenproblematik geklärt werden, etwa über eine Fondslösung. Sonst kämen Länder wie Berlin nie auf einen grünen Zweig. Ob das gelingt, ist allerdings fraglich. Der Stuttgarter Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) sieht keine Möglichkeit, über ein Schuldenverbot plus Überziehungsrahmen für Notfälle hinauszugehen. Eine Schuldnerselbstverantwortung mit Auflösung des Haftungsverbunds und einem Insolvenzrecht zur Eigensanierung sei „in absehbarer Zeit nicht durchzusetzen“, sagt er.

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