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Carsten Schneider, SPD

© dpa

Griechenland: "Athen begreift nur langsam die Realität"

Wie geht es Griechenland wirklich? SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider über die finanzielle Lage in Athen, die Forderungen der Syriza-Regierung und die Gefahr eines Grexidents.

Von Antje Sirleschtov

Herr Schneider, Sie kommen gerade zurück aus Athen. Wie geht es Griechenland denn nun wirklich?

Griechenland befindet sich noch immer im Wahlkampfmodus. Nur sehr langsam begreifen die griechische Bevölkerung und ihre Politiker die Lage. Insbesondere die Abgeordneten der Regierungspartei Syriza beginnen nur langsam, die Realität zu verstehen. Das ist sehr schwierig für das Land, weil die Zeit für Veränderungen verrinnt.

Europa fragt sich, wie lange die Griechen finanziell noch durchhalten. Konnten Sie sich einen Eindruck verschaffen?
Die finanzielle und wirtschaftliche Lage ist schlechter, als wir das annehmen und als es die Lageberichte hergeben. Der Primärüberschuss des griechischen Haushaltes sollte eigentlich drei Prozent betragen. Das sehe ich nicht mehr. Es ist dringend nötig, dass die griechischen Minister, insbesondere der Finanzminister, weniger Interviews geben und sich mehr um die Lage des Staates kümmern. In erster Linie braucht Athen einen Kassensturz. Leider sieht es bei der Wirtschaftsentwicklung nicht besser aus. Wir sind bislang davon ausgegangen, dass Griechenland in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent haben wird. Das ist nicht zu erreichen. Die Verunsicherung ist sehr groß. Ich denke, Athen kann 2015 maximal ein Mini-Wachstum erreichen. Das heißt: Während sich die ökonomische Lage weiter verschlechtert, fehlt Geld für die Einlösung der Wahlversprechen. Ich fürchte, es wird über kurz oder lang zu einer großen Ernüchterung der griechischen Bevölkerung kommen. Schon jetzt ist das Drängen der Menschen auf Einlösung der Versprechungen von Syriza überall zu spüren.

Die Griechen fordern von den Europäern Entgegenkommen und Verständnis.
Auch darüber habe ich mit Abgeordneten des griechischen Parlamentes gesprochen. Das Land und vor allem seine Regierungsparteien müssen verstehen, dass man keine Wahlversprechen abgeben und hinterher von anderen verlangen kann, dass diese die Versprechen bezahlen. Auch, wenn das in der Öffentlichkeit oft so ankommt: Hier geht es nicht um einen harten Kurs von Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble gegenüber Athen. Auch die SPD hat Wähler, und die fragen sich zu Recht, warum sie bezahlen sollen, was Syriza ihren Wählern in Griechenland versprochen hat. Dass das die Haltung in ganz Europa ist, diese Einsicht setzt sich erst jetzt langsam in der griechischen Politik und Öffentlichkeit durch.

Was muss die griechische Regierung tun?
Zuerst muss es eine Stunde der Wahrheit geben. Die griechische Regierung muss der Öffentlichkeit reinen Wein einschenken über die Lage und die Aufgaben, die vor Griechenland liegen. Ein sehr kurzfristiger Kassensturz ist unvermeidlich. Im nächsten Schritt wird die Regierung der Bevölkerung sagen müssen, dass nur die Wahlversprechen umgesetzt werden können, die man sich leisten kann. Dass Alexis Tsipras erste Schritte in die richtige Richtung geht, sieht man daran, dass die Troika wieder ihre Arbeit aufnehmen konnte. Wenn die Griechen die Gesundung ihres Landes als ihre eigene Aufgabe ansehen, dann werden auch das Misstrauen und die Feindseligkeit abnehmen. Leider ist in den letzten Wochen viel Zeit verstrichen, und die Regierung wird nun zügig arbeiten müssen, wenn Griechenland bis zum Sommer seine Lage verbessern will.

Wie groß ist die Gefahr eines Grexidents, also eines Unfalls in Form einer Insolvenz, der Griechenland aus dem Euro-Raum drängt?
Ich gehe davon aus, dass das nicht passieren wird. Die Tatsache, dass die Regierung alles flüssige Geld zusammenkratzt, um Schulden, Renten und Gehälter der Staatsbediensteten zu bezahlen, scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, dass Athen um die Not weiß und handelt. Im Prinzip gibt es bereits eine Haushaltssperre, es werden nur noch absolut notwendige Pflichtleistungen gezahlt. Ich denke, das Geld wird bis zum Sommer reichen.

Wird Europa um ein drittes Hilfspaket im Sommer herumkommen?
Nicht, wenn Griechenland im Euro-Währungsraum bleiben will. In den nächsten Jahren wird sich Griechenland nicht am Kapitalmarkt refinanzieren können und zur Bedienung seiner Schulden ein solches Hilfspaket brauchen. Die Regierung in Athen hat also bis zum Sommer Zeit sich zu entscheiden, ob sie im Euro- Raum bleiben will oder nicht.

Muss Europa den Griechen entgegenkommen?
Wir stehen bereit zur Hilfe. Die Voraussetzung dafür aber ist ein Umdenken in Griechenland selbst. Es dürfen keine neuen Schulden gemacht werden, und dringend notwendige Reformen zur Ankurbelung der Wirtschaft müssen zügig umgesetzt werden. Außerdem erwarten wir, dass die Griechen ihre Steuern auch tatsächlich zahlen und die Reichsten der Gesellschaft mehr zum Aufkommen beitragen. Die Griechen werden viele bittere Pillen schlucken müssen. Nur: Ohne Euro wäre die Zukunft für sie deutlich düsterer.

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