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Griechenland: Athener Straßenschlachten

Ein Jahr nach dem Tod eines 15-jährigen Schülers durch eine Polizeikugel gibt es neue Unruhen in Griechenland. Vermummte Jugendliche zerstörten in Athen und Thessaloniki mit Steinen und Eisenstangen Autos und Schaufenster.

Die Demonstranten, die der Anarchistenszene zugerechnet werden, warfen Brandflaschen auf Polizisten und Streifenwagen. Die Polizei meldete 162 Festnahmen. Am Sonntagnachmittag lieferten sich etwa 300 Vermummte im Athener Stadtzentrum Straßenschlachten mit der Polizei. Die Demonstranten warfen Steine und feuerten Leuchtraketen auf die Polizisten ab, zerstörten Schaufenster und setzten Müllcontainer in Brand. Die Polizei setzte Tränengasgranaten ein. Ob es Verletzte gab, war zunächst unklar.

Eine Gruppe von Demonstranten drang in das Gebäude der Athener Akademie ein und besetzte es. Die Krawalle hatten am Samstag ihren Anfang im Athener Stadtteil Exarchia genommen, wo am 6. Dezember 2008 ein Polizist den 15 Jahre alten Alexandros Grigoropoulos erschossen hatte. Nach Darstellung des Beamten, gegen den ab 20. Januar wegen Mordes verhandelt werden soll, wurde der Schüler von einem als Warnschuss gedachten Querschläger getroffen. Augenzeugen sprachen dagegen von einem gezielten Schuss.

Der Tod des Jungen hatte damals tagelange schwere Krawalle in zahlreichen griechischen Städten ausgelöst. Zum Jahrestag hatten griechische Politiker dazu aufgerufen, des getöteten Schülers mit friedlichen Demonstrationen zu gedenken. Der für die Polizei zuständige Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis kündigte zugleich an, man werde „null Toleranz gegenüber Gewalt und Gesetzlosigkeit“ zeigen. Rund 12 000 Polizeibeamte wurden bereits Ende vergangener Woche in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. „Wir werden Athen nicht den Vandalen überantworten“, bekräftigte Chrysochoidis.

In der Athener Vorstadt Keratsini hob die Polizei am Samstag bei einer Razzia eine Werkstatt aus, in der Anarchisten Brandbomben herstellten. Außerdem wurden Vorschlaghämmer, Beile, Blendgranaten und Gasmasken sichergestellt. Bereits am Freitag hatte in Athen eine Gruppe von etwa 20 Anarchisten eine Polizeistreife attackiert. Die Angreifer gingen mit extremer Brutalität vor: Sie schlugen mit Hämmern, Beilen und Eisenstangen auf die Polizisten ein. Mehrere Beamte wurden verletzt.

Nirgendwo in der EU sind so viele 16- bis 25-Jährige arbeitslos wie in Griechenland. Und wer eine Stelle findet, verdient selten mehr als den staatlich festgesetzten Mindestlohn von 715,65 Euro. Auf eigenen Beinen stehen oder gar eine Familie gründen kann man damit nicht.

Aber es sind nicht nur die Missstände im Bildungswesen und die materiellen Nöte, die für wachsende Unruhe unter griechischen Jugendlichen sorgen. Sie fühlen sich auch zunehmend fremd in einem politischen System, das unübersehbare Zeichen des Niedergangs trägt. In den vergangenen Jahren jagte ein Skandal den nächsten. Eine Statistik der Organisation Transparency International weist Griechenland als den korruptesten Staat der EU aus. Ob man einen Führerschein will oder eine Baugenehmigung: Wer schmiert, kommt schneller zum Ziel. Abgeordnete verschachern begehrte Jobs im Staatsdienst an ihre Günstlinge. Politiker betrachten den Staat als Selbstbedienungsladen, den man hemmungslos ausplündert.

Zur politischen Sinnkrise kommt jetzt das Finanzdesaster: ein Land, das Jahrzehntelang über seine Verhältnisse lebte, dessen Politiker Wohlstand auf Pump finanzierten, um sich die Macht zu sichern, steht am Abgrund des Staatsbankrotts. Dieses schwere Erbe tritt jetzt der neue sozialistische Premier Giorgos Papandreou an. Auf ihm ruhen die Hoffnungen vieler Griechen, vor allem Jüngerer – auch weil er persönlich so anders, so viel bescheidener daherkommt als die Politiker, die man in Griechenland kennt.

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