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Drei Monate nach Alexis Tsipras’ Amtsantritt ist die Finanzlage in Griechenland verzweifelter denn je.

© AFP

Griechenland-Bilanz nach 100 Tagen: Premierminister Alexis Tsipras hat kaum ein Versprechen umgesetzt

100 Tage nach der Wahl hat Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras nur ein Gesetz zur Linderung der humanitären Krise durchgebracht. Die meisten anderen Versprechen sind zurückgestellt.

Eva Pappa erinnert sich noch genau an den 25. Januar. „Wir hatte große Hoffnungen“, sagt sie. Am Abend, als die ersten Hochrechnungen der Griechenland-Wahl auf den Bildschirmen erschienen, fuhr sie zur Parteizentrale des Linksbündnisses Syriza, wo sich tausende Anhänger versammelt hatten. Sie schwenkten Fahnen und stimmten Sprechchöre an: „Endlich ist die Linke dran!“ In den Hochrechnungen lag Syriza klar vorn. Als Syriza-Chef Alexis Tsipras am späten Abend eintraf, hatten Leibwächter Mühe, ihm einen Weg durch die jubelnde Menge zu bahnen. Doch der Jubel ist verstummt.
Die 52-jährige Eva Pappa ist eigentlich keine typische Syriza-Wählerin. Als Angestellte einer ausländischen Fluggesellschaft hat sie einen sicheren, gut bezahlten Job. Die Krise spürt sie kaum. Dennoch hat sie Syriza gewählt, weil sie wollte, „dass sich endlich etwas bewegt“. Heute ist Eva Pappa ernüchtert: „Man hat den Eindruck, die Regierung agiert völlig planlos“, sagt sie.

Das Linken-Bündnis Syriza verdankt seinen Aufstieg der Krise

Syriza, das Bündnis der radikalen Linken, verdankt seinen Aufstieg der Krise. Als Sammelbecken linker Gruppen erzielte die 2004 gegründete Syriza zunächst bei Parlamentswahlen zwischen drei und fünf Prozent der Stimmen. Seit dem Februar 2008 führt Alexis Tsipras die Partei. Rezession und Massenarbeitslosigkeit machten aus der Splitterpartei Syriza eine Volkspartei. Tsipras geißelte das „Spardiktat“ der EU und versprach, den Griechen ihre „Würde“ zurückzugeben. 2012 erzielte Syriza bereits knapp 17 Prozent der Stimmen. Keine drei Jahre später konnte das Linksbündnis seinen Stimmenanteil auf 36 Prozent mehr als verdoppeln und gewann die Wahl. „Die Hoffnung kommt“ – mit diesem Slogan war Tsipras in den Wahlkampf gezogen. Seinen Anhängern hat er viel versprochen: Die Kreditverträge mit den Gläubigern wollte er „zerreißen“, den Sparkurs beenden und den Schuldendienst einstellen, Renten und Mindestlöhne erhöhen, 300 000 Arbeitsplätze schaffen. 100 Tage nach der Wahl ist davon so gut wie nichts umgesetzt. Ein Gesetz zur Linderung der humanitären Krise hat die Regierung zwar durchs Parlament gebracht – es sieht kostenlosen Strom, Essensmarken und Mietzuschüsse für die Ärmsten der Armen vor. Doch die meisten anderen Wahlversprechen sind zurückgestellt.

Drei Monate nach Tsipras’ Amtsantritt ist die Finanzlage verzweifelter denn je. Tsipras versprach seinen Anhängern, unter einer Syriza-Regierung würden „die Finanzmärkte nach unserer Pfeife tanzen“. War das Hybris? Oder Naivität? Das Land jedenfalls hat seinen Zugang zu den Märkten wieder verloren. Die griechischen Banken hängen am Tropf der Europäischen Zentralbank. Um Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst zahlen zu können, muss die Regierung jeden Euro zusammenkratzen. Staatsbetriebe, Universitäten, Städte, Gemeinden müssen bürgen. An neue Hilfskredite ist erst zu denken, wenn Athen weitere Forderungen der Geldgeber umsetzt. Tsipras gibt sich zwar kompromissbereit, aber der starke linksextreme Syriza-Flügel lehnt Zugeständnisse strikt ab. Auch der rechtspopulistische Koalitionspartner, den Syriza wegen der Anti-Troika-Haltung, gemäßigteren Parteien vorgezogen hatte, bleibt unberechenbar.

Das „Ende der Angst“ hatte Tsipras seinen Landsleuten versprochen, aber nun geht die Furcht vor einem Staatsbankrott und dem Verlust des Euro wieder um. „Ich habe Tsipras nicht gewählt, weil ich zur Drachme zurückwill“, sagt die Syriza- Wählerin Pappas. Viele denken so. Mehr als sieben von zehn Griechen, so eine aktuelle Umfrage, wollen am Euro festhalten. Ebenso viele wünschen eine Einigung mit den Gläubigern. Das ist eine klare Absage an den linksextremen Syriza-Flügel, der den „Grexit“ einem schmerzhaften Kompromiss vorzieht.

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