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Der für den Euro zuständige EU-Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis.

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Griechenland: „Die Zeit läuft aus“

Der für den Euro zuständige EU-Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis ist enttäuscht von der Regierung des griechischen Premierministers Alexis Tsipras. Jeder Tag, der keinen Fortschritt bei den Verhandlungen mit den Geldgebern bringt, ist ein "verlorener Tag", sagt er im Tagesspiegel-Interview.

Denken Sie eigentlich jeden Morgen beim Aufwachen an Griechenland?

Das Thema Griechenland ist mit Sicherheit eines meiner derzeitigen Schlüsselthemen. Insbesondere bin ich für die hochrangige Arbeitsgruppe verantwortlich, die von Präsident Juncker den Auftrag bekommen hat, einen effektiven Einsatz der für Griechenland bereitstehenden EU-Fördergelder zur Behebung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme sicherzustellen. Dabei geht es beispielsweise um den bestmöglichen Einsatz von Mitteln aus Struktur- und Kohäsionsfonds, Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit oder Hilfe für Menschen in Notsituationen.

Aber mit jedem Tag, an dem eine Einigung zwischen Athen und den Gläubigern ausbleibt, wächst doch auch die Gefahr eines „Graccident“, also eines Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone „aus Versehen“?

Es ist wahr, dass die Gespräche bisher nur langsam, zu langsam vorankommen. Die Euro-Gruppe hatte am 20. Februar festgelegt, dass bis Ende April eine Einigung über eine Reformliste zustande kommt. Auch wenn in der vergangenen Woche etwas guter Wille auf der griechischen Seite erkennbar war, ist auf der technischen Ebene immer noch sehr viel Arbeit zu leisten. Die griechischen Behörden müssen nun rasch handeln, damit das Land wieder in die Spur kommt. Deshalb ging von dem Treffen der Euro-Gruppe am Freitag auch eine ganz eindeutige Botschaft aus: Die Arbeit an den Reformen muss beschleunigt werden, und ohne einen substanziellen Fortschritt wird auch kein Geld aus dem Hilfsprogramm fließen. Griechenland hatte in der Vergangenheit bereits Fortschritte bei der Reform seiner Wirtschaft vorzuweisen. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres kehrte das Land zum Wachstum zurück, es hielt die Haushaltskriterien ein, die Beschäftigung nahm wieder zu. Jetzt sieht es so aus, als ob Griechenland kein Neustart gelingt. Das ist bedauerlich, weil es vermeidbar war.

Haben Sie den Eindruck, dass die griechische Regierung mit offenen Karten spielt, wenn es um die Frage geht, wie lange sie noch Geld hat? Die Angaben aus Athen ändern sich ständig.

Es ist klar, dass die Liquiditätssituation in Griechenland kritisch ist. Jeder Tag, der ohne einen substanziellen Fortschritt vorüber geht, ist ein verlorener Tag.

Der griechische Vize-Regierungschef Dragasakis hat mit vorzeitigen Neuwahlen gedroht, falls die Verhandlungen mit der ehemaligen Troika scheitern. Was halten Sie davon?

Es gab viele widersprüchliche Aussagen aus den Reihen der neuen griechischen Regierung. Wir konzentrieren uns nicht auf öffentliche Äußerungen, sondern auf den tatsächlichen Fortschritt vor Ort – dies wird entscheidend für den Erfolg des Programms sein.

Will die EU Griechenland um jeden Preis in der Euro-Zone halten?

Ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission die Gespräche gemeinsam mit den anderen Institutionen – der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds – sowie den griechischen Behörden mit ganzem Einsatz führt. Die Institutionen strengen sich erheblich an, um den Prozess zu befördern. Denn ein stabiler und gesunder Euro ist für uns enorm wichtig. Ja, wir arbeiten auf der Grundlage des Szenarios, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt.

Viele Beobachter halten ein drittes Hilfspaket für Griechenland mit einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro für unausweichlich. Sie auch?

Ich spekulieren nicht über derartige Zahlenangaben, weil die Verhandlungen über ein Folgeabkommen, das ja auch schon in der Vereinbarung mit Griechenland vom 20. Februar festgehalten ist, noch nicht einmal begonnen haben. Aber es ist klar, dass Griechenland nicht in der Lage sein wird, im Juli an die Finanzmärkte zurückzukehren. Allerdings ist es nicht möglich, Verhandlungen über eine neue Vereinbarung zu beginnen, während die Gespräche über das laufende Hilfsprogramm nur unzureichende Fortschritte machen. Die Zeit läuft aus.

In Ihrer Zeit als Regierungschef in Lettland haben Sie harte Etateinschnitte durchgesetzt. Wie bewerten Sie im Vergleich die Entwicklung Griechenlands seit 2010?

Ich danke den griechischen Vorgänger-Regierungen und dem griechischen Volk dafür, was sie erreicht haben – sie haben die größte Anpassungsleistung in Europa erbracht. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Anstrengungen nicht vergebens sein dürfen, sondern den Grundstock für weitere Fortschritte bilden müssen. In Lettland haben wir als erstes die Reformen in Angriff genommen, noch während der Krise. Dieselbe Strategie wurde in Estland und Litauen verfolgt. Trotzdem möchte ich die Länder nicht miteinander vergleichen, weil die Umstände immer unterschiedlich sind.

Welche Reformmaßnahmen halten Sie für unabdingbar, damit eine Einigung zwischen der Regierung von Alexis Tsipras und den Gläubigern zu Stande kommt?

Diese Frage müssen die Experten klären – das Reformpaket sollte sorgsam diskutiert, auf seine Auswirkungen hin bewertet und am Ende geschnürt werden. Die Euro-Gruppe hat sich gegenüber der griechischen Seite flexibel gezeigt. Die Länder der Euro-Zone haben immer gesagt, dass Griechenland einige Reformmaßnahmen durch andere ersetzen kann, so lange derselbe Haushaltseffekt eintritt. Die Euro-Gruppe ist auch flexibel bei der Höhe des von Griechenland erwarteten Primärüberschusses. Dabei darf aber nicht die Schuldentragfähigkeit gefährdet werden.

Was Dombrovskis über das Verhältnis zu Russland denkt

Im Schlauchboot Richtung Europa. Flüchtlinge im Mittelmeer.
Im Schlauchboot Richtung Europa. Flüchtlinge im Mittelmeer.

© dpa

Thema Flüchtlinge: Sollte es mehr Möglichkeiten zur legalen Einwanderung aus Kriegs- und Krisengebieten geben?

Mein Kollege, der Innenkommissar Avramopoulos, hat die Mitgliedstaaten wiederholt dazu aufgerufen, mehr Möglichkeiten für eine legale Migration zu schaffen. Bis jetzt haben die europäischen Mitgliedstaaten 36 300 Plätze für die Umsiedlung von Flüchtlingen angeboten, davon 30 000 in Deutschland – eine große Anstrengung. Die Mitgliedstaaten haben vereinbart, darüber hinaus ein Umsiedlungs-Pilotprojekt auf freiwilliger Basis zu starten.

Ihre Heimat Lettland richtet den EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft im Mai aus. Sollten dann Visaerleichterungen für Ukrainer und Georgier vereinbart werden?

Beim Gipfel von Riga wird es darum gehen, die strategische Bedeutung der Östlichen Partnerschaft mit der Ukraine, Georgien, Moldau, Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland als wesentlichen Bestandteil der EU-Nachbarschaftspolitik zu bestätigen. Dieses Treffen wird der erste Gipfel seit der Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den drei Partnerländern Georgien, Moldau und der Ukraine sein. In Riga wollen wir die praktische Umsetzung unserer Zusammenarbeit besprechen. Gerade in Zeiten großer geopolitischer Herausforderungen ist es wichtig, dass unsere Partner in der täglichen Kooperation Unterstützung erfahren. Europa muss gemeinsam mit seinen internationalen Partnern für Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung in seiner Nachbarschaft sorgen. Im Mai wird die Kommission ihre Einschätzung abgeben, ob Georgien und die Ukraine reif für ein visafreies Regime sind. Bevor es dazu kommt, müssen aber zahlreiche Kriterien erfüllt sein.

Zu den Ländern der Östlichen Partnerschaft gehört auch Weißrussland. Sollte Präsident Alexander Lukaschenko zum Gipfel eingeladen werden?

Die russische Aggression in der Ukraine muss aufhören. Dabei müssen die territoriale Integrität der Ukraine intakt bleiben und die Unabhängigkeit des Landes respektiert werden. Außerdem muss zunächst die Vereinbarung von Minsk umgesetzt werden. Jede Initiative, die uns näher an diese Ziele heranführt, ist willkommen. Was die Einladungen zum Gipfel anbelangt, so werden diese an die Adressen von Staaten gerichtet und nicht an einzelne Personen, so weit ich weiß.

Als Lette sehen Sie möglicherweise mit anderen Augen auf Russlands Politik als ein Westeuropäer. Sollte die Nato eine größere Präsenz in den baltischen Staaten zeigen?

Das müssen die baltischen Staaten und ihre Regierungen selber entscheiden. Aber wenn man sich die Ereignisse in Georgien und in der Ukraine während des vergangenen Jahrzehnts in Erinnerung ruft, dann kann es niemanden überraschen, dass die baltischen Staaten die Frage der nationalen Sicherheit sehr ernst nehmen.

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