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Griechenland-Drama: Alexis Tsipras pokert, Angela Merkel wiegelt ab

Alexis Tsipras überrascht wieder alle, Angela Merkel gibt sich zurückhaltend – im griechischen Drama bleiben die Rollen verteilt wie bisher. Aber nur die. Gibt es noch eine Chance?

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Am Dienstagmittag steht Angela Merkel im Foyer des Kanzleramts vor Kameras und Mikrofonen. „Es ist die Zeit, auch Kompromisse zu machen“, sagt die Kanzlerin. Der Satz ist ausnahmsweise nicht in Richtung Griechenland gesprochen. Merkel hat den kosovarischen Ministerpräsidenten Isa Mustafa zu Gast, es geht um die wieder einmal gescheiterten Gespräche zwischen Serbien und seiner Ex- Provinz.

Aber natürlich wird sie zum Griechen-Drama gefragt. Die Antworten fallen eher dürr aus: Von neuen Angeboten irgendeiner Seite sei ihr nichts bekannt. Das Hilfsprogramm ende bekanntlich „heute Abend um 24 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit“. Und: „Ich kenne keine belastbaren anderen Hinweise.“

An dem Satz ist vor allem das Wort „belastbare“ bemerkenswert. Vage Hinweise gab es nämlich schon, dass die Dinge noch in Bewegung geraten. In Brüssel startet EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker einen letzten Versuch, die griechische Regierung zur Unterschrift unter den Kompromissvorschlag der Gläubiger zu bewegen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sagt ein TV-Interview wegen „dringender Verpflichtungen“ ab. Und aus Athen kommen Andeutungen, dass Alexis Tsipras in letzter Sekunde einlenken könnte.

Öffentlich verkündet Griechenlands Finanzminister Yannis Varoufakis mit einem schmallippigen „Nein“ die amtliche Linie: Die 1,6 Milliarden Euro, die sein Land dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ebenfalls an diesem Dienstag schuldet, wird er nicht zurückzahlen. Er könnte auch nicht mehr, selbst wenn er wollte. Tsipras hatte am Montagabend im heimischen Fernsehen sein Schicksal als Regierungschef daran geknüpft, dass er die Volksabstimmung am nächsten Sonntag über die Gläubiger-Vorschläge gewinnt, das Volk also Nein sagt. Sagt es Ja, sei er keiner, der am Amt klebe.

Das klingt nach dem Showdown an den Urnen. Hinter den Kulissen aber wird sehr viel telefoniert am Tag Null vor dem Offenbarungseid. Tsipras mit Juncker, mit den Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und des Europaparlaments, Martin Schulz – diese Kontakte werden bekannt, aber es sind längst nicht die einzigen.

Bei Juncker hatte sich der griechische Regierungschef schon am Montagabend gemeldet. Der EU- Kommissionschef schlug ihm, so ein Sprecher in Brüssel, eine „Einigung in letzter Minute“ vor. Wenn der Grieche das letzte Angebot der Gläubiger akzeptiere und sich verpflichte, beim für Sonntag geplanten Referendum in Griechenland für ein „Ja“ zu werben statt wie bisher für ein Nein, könnten die Finanzminister der Eurogruppe kurzfristig zusammenkommen.

Das wäre dann die letzte Gelegenheit, die Milliarden aus dem zweiten Hilfsprogramm doch noch nach Athen fließen zu lassen, die um Mitternacht zu verfallen drohen. Und noch etwas wurde in Brüssel angedeutet: In diesem Fall könne man über Schuldenerleichterungen noch einmal reden.

Das ist ein zentrales Stichwort. Die Syriza-Regierung hatte immer auf einen Schuldenschnitt gepocht. Merkel hat ihn abgelehnt – was auch nach Einschätzungen in der Bundesregierung letztlich den Ausschlag gab für das Scheitern der Verhandlungen. Nun sind „Erleichterungen“ keineswegs zwingend ein Schnitt, also ein Schuldenerlass. Aber sie wären ein Schritt auf Athen zu, der über das hinaus geht, was im Gläubigervorschlag schriftlich niedergelegt war.

Umschuldung? Ja! Aber nur "unter Bedigungen"

Das Stichwort hat auch ein anderer Hauptakteur der Krise fallen lassen – eine Hauptakteurin, genauer gesagt. Am Montagnachmittag hat Merkel vor der SPD-Bundestagsfraktion gesprochen. Eine Dreiviertelstunde dauert der Auftritt der Kanzlerin bei den Genossen, ihr erster nach dem Antrittsbesuch zu Beginn der großen Koalition. Was Merkel zu sagen hat, lässt die SPD-Abgeordneten aufhorchen. Vor allem die Äußerungen zum wichtigsten Streitpunkt, der griechischen Forderung nach einem Schuldenschnitt, werden genau registriert. „Umschuldungen ohne Bedingungen würden eine Kaskade bei anderen Krisenländern in Gang setzen“ – so begründet Merkel nach Angaben von Teilnehmern das Nein der Bundesregierung zu einem Forderungsverzicht.

Der Satz lässt freilich einen Umkehrschluss zu: Die Kanzlerin ließe über die griechische Schuldenlast mit sich reden, wenn Athen sich zu Reformen verpflichtete. Einer will es genauer wissen: Peer Steinbrück, ihr Finanzminister in der ersten großen Koalition bis 2009. Er fragt Merkel, wie man ein nachhaltiges Programm für Griechenland erreichen könne, ohne über einen Schuldenschnitt zu reden. Merkel verweist auf die langen Laufzeiten der Kredite. Das Problem der Schuldenlast sei deshalb zu jetzigen Zeitpunkt „nicht so dringend“, notieren Teilnehmer. Sie sei aber „durchaus zu weiteren Schritten bereit“, wird Merkel zitiert.

In Athen schwirrt es am Dienstag vor Gerüchten. Tsipras erwäge, auf Junckers Vorschlag einzugehen, wird kolportiert. Die Flugbereitschaft der Regierung sei instruiert, den Regierungschef kurzfristig nach Brüssel zu fliegen. Draußen auf den Straßen kommen aus manchen Geldautomaten nur noch 50-Euro-Scheine, obwohl das Limit bei 60 Euro liegen soll – kleine Scheine werden knapp. Im Parlament behauptet der Oppositionsabgeordnete Haris Theoharis, im Amt des Ministerpräsidenten bereite ein Team von Fachleuten konkret die Rückkehr zur Drachme vor. „Hirngespinste“, gibt Tsipras verärgert zurück – sein Finanzminister Varoufakis hat gerade erst verkündet, er werde den Verbleib im Euro notfalls einklagen. Theoharis freilich war früher Chef der Steuerbehörde, der Mann kennt sich aus im Beamtenapparat.

Am Nachmittag lässt die Regierung dann die nächste Katze aus dem Sack: Tsipras stellt einen Antrag auf ein drittes Hilfspaket. Es soll auf zwei Jahre ausgerichtet sein, unter dem Europäischen Rettungsfonds ESM aufgelegt werden, „alle finanziellen Bedürfnisse“ des Landes decken – und die Schulden sollen „umstrukturiert“ werden. Das ist ein Zugeständnis – die Griechen hatten ein drittes Programm bisher stets kategorisch abgelehnt. Der Brief enthält aber zugleich die Forderung, das zweite Hilfsprogramm eben doch noch einmal zu verlängern – so lange, bis man sich über das dritte einig sei.

Die Mitteilung macht schlagartig klar, warum Dijsselbloem fürs Fernsehen keine Zeit hatte. Der Niederländer berief eilends eine Beratungsrunde der Euro-Finanzminister ein. Für 19 Uhr war die Eurogruppe zur Telefonkonferenz gebeten.

Merkel sagt schon vorher in der regulären Sitzung der Unionsfraktion, was sie davon hält: Vor dem Referendum in Athen werde Deutschland nicht über einen neuen Hilfsantrag beraten. Sie hat sich vorher mit SPD-Chef Sigmar Gabriel abgestimmt. Der hat für die Regierung in Athen anschließend eine Empfehlung parat: „Das Beste wäre, wenn Herr Tsipras das Referendum absagt.“ Aber dazu scheint man in Athen noch nicht bereit.

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