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Erdogan-Besuch: Griechenland freut sich auf türkische Invasion

Griechenland erwartet an diesem Freitag eine türkische Invasion, aber eine friedliche: Ministerpräsident Tayyip Erdogan kommt aus Ankara zum Staatsbesuch nach Athen.

Und er bringt nicht nur zehn Minister mit, sondern auch rund 100 türkische Geschäftsleute. Das Großaufgebot zeigt, wie gut sich die Beziehungen der beiden Nachbarländer, die noch 1996 wegen des Streits um zwei winzige Ägäisinseln am Rand eines Krieges standen, entwickelt haben. Als griechischer Außenminister leitete Giorgos Papandreou 1999 jenen Entspannungsprozess ein, von dem er jetzt als Premier profitieren möchte.

Papandreou hofft auf eine „Friedensdividende“. Eine Verständigung mit der Türkei würde es den Griechen ermöglichen, ihren Verteidigungsetat zusammenzustreichen. Für die Rüstung gab Griechenland im Durchschnitt der vergangenen Jahre rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus – mehr als jedes andere Nato-Land außer den USA. Das Wettrüsten mit der Türkei ist eine der Ursachen für die griechische Schuldenkrise. Bei Erdogan dürfte Papandreou Zustimmung finden. „Die griechische Krise ist eine Chance“, sagte der türkische Europaminister Egemen Bagis kürzlich der Athener Zeitung „Ta Nea“: „Verbündete dürfen keine Angst voreinander haben – wir müssen uns gegenseitig beschützen, statt uns voreinander zu schützen.“ Weder Griechenland noch die Türkei brauchten neue U-Boote, Panzer oder Kampfflugzeuge.

Gerade die Schuldenkrise scheint die beiden „Erbfeinde“ einander näherzubringen. Häme, Spott und Hochmut, mit denen manche deutsche Medien die Griechen überschütteten, sucht man in türkischen Zeitungen vergeblich. Die Kommentare sind vielmehr von Verständnis und Mitgefühl geprägt. Das liegt auch daran, dass die Türkei 2001 ihre eigene schwere Finanzkrise durchgemacht hat. Nur neun Jahre später steht das Land wirtschaftlich und finanziell stärker da als je zuvor. Im Krisenjahr 2001 schrumpfte die türkische Wirtschaft um 7,5 Prozent. Das Haushaltsdefizit erreichte fast 25 Prozent vom BIP, die Staatsschulden beliefen sich auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit Hilfskrediten von 45 Milliarden Dollar bewahrte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Türkei damals vor dem Staatsbankrott, erzwang strikte Haushaltsdisziplin und tief greifende Wirtschaftsreformen. Heute liegt die Schuldenquote bei 41 Prozent, bereits 2006 erwirtschaftete die Türkei einen Überschuss im Haushalt. Heute gilt das Land als erstklassiger Schuldner: die Risikozuschläge türkischer Euro-Anleihen waren zuletzt nur halb so hoch wie die der Griechen-Bonds.

Lernen können die Griechen daraus, dass Reform- und Sparvorgaben des ungeliebten IWF segensreich wirken können. Die zweite Lehre ist für die Griechen eher akademischer Natur: Man kann eine solche Krise ohne Euro besser überstehen. Im Krisenjahr 2001 verlor die türkische Lira gegenüber dem Euro rund 50 Prozent an Wert. Die Folge: ein Boom im Tourismus und bei den Exporten. Bereits im Jahr nach der Krise wuchs die türkische Wirtschaft wieder um fast acht Prozent. Von einem solchen Comeback ist Griechenland weit entfernt. Der Athener Finanzminister rechnet frühestens 2012 mit einem leichten Wachstum.

Griechenland und die Türkei wollen auch mit Hilfe neuer Schulbücher aufeinander zugehen. Beide Länder wollen nach türkischen Angaben damit aufhören, im Geschichtsunterricht wie bisher Hassbotschaften über den Nachbarn zu verbreiten. Eine entsprechende Vereinbarung soll während des Staatsbesuchs in Athen unterzeichnet werden. Nach Angaben türkischer Diplomaten wollen sich beide Länder verpflichten, ihre Schulbücher für Grund- und Mittelschulen nach abfälligen oder feindseligen Beschreibungen des jeweils anderen Landes zu durchpflügen. In türkischen Lehrbüchern erscheint Griechenland immer noch als Gefahr für Zypern und für das türkische Staatsgebiet selbst. Auch die griechisch-orthodoxe Kirche galt als Risiko.

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