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Straßenschlacht

© dpa

Griechenland: Gewaltige Unruhen

Der Todesschuss eines Polizisten auf einen Jugendlichen löst Proteste in ganz Griechenland aus. Wie es dazu kam, ist noch unklar. Denn bisher verfolgte die griechische Polizei gerade im von Autonomen bewohnten Athener Stadtteil Exarchia eine defensive Taktik.

Im Athener Stadtteil Exarchia sind Polizisten nicht gern gesehen. Dass hier Streifenwagen mit Fußtritten traktiert und mit Steinen beworfen werden, Beamte als "Wichser" oder "Schwule" beschimpft werden, gehört zum Alltag. Exarchia ist nämlich nicht nur ein buntes Künstlerviertel mit zahllosen Kneipen und Cafés sondern auch eine traditionelle Hochburg jener Gruppen, die sich selbst als "Anarchisten" bezeichnen.

Die von den griechischen Autonomen proklamierte "Anarchie" ist Selbstzweck. Mit den sozial motivierten Unruhen in den Pariser Vorstädten sind die Ausschreitungen in Athen jedenfalls kaum zu vergleichen. Denn die griechischen Autonomen kommen nicht aus dem Migrantenmilieu oder anderen sozialen Randgruppen, sondern überwiegend aus gutsituierten Kreisen. So auch der 15-Jährige, dessen Tod jetzt eine Welle der Gewalt auslöste: Seine Eltern betreiben ein renommiertes Juweliergeschäft in der teuersten Einkaufsstraße Athens.

Blinder Hass auf Kapitalismus, Globalisierung und Großkonzerne

Schon in den Jahren der Militärdiktatur 1967 bis 1974 war der Stadtteil Exarchia ein Zentrum des Widerstandes. In dieser Tradition sehen sich auch die Autonomen, die alle paar Monate die Athener Innenstadt mit Steinen, Schlagwerkzeugen und Brandflaschen unsicher machen. Meist schließen sie sich als Trittbrettfahrer an friedliche Demonstrationen an, etwa an den alljährlich stattfindenden Protestmarsch zum Gedenken an den Studentenaufstand am Athener Polytechnikum während der Obristendiktatur. Eine politische Idee ist hinter den brennenden Autos, den zertrümmerten Schaufenstern und verwüsteten Bankfilialen nicht zu erkennen – außer einem blinden Hass auf Kapitalismus, Globalisierung und Großkonzerne.

Wie es zu dem tödlichen Schuss kam, ist noch unklar. Vieles spricht dafür, dass der 37-jährige Polizist, der ihn abgab, einfach die Nerven verloren hat, als er und sein Kollege von einer Gruppe Jugendlicher beschimpft wurde. Offenbar flog auch eine Bierflasche auf die Beamten. Aber greift man deswegen zur Waffe? Bisher verfolgte die griechische Polizei gerade in Exarchia eine defensive Taktik. Die Ordnungsmacht mied die direkte Konfrontation mit den Autonomen, schritt auch bei deren regelmäßigen Gewaltorgien meist nicht ein – sehr zum Zorn vieler Geschäftsleute, die immer wieder vor zertrümmerten Schaufenster oder sogar ausgebrannten Läden standen.

Die beiden beteiligten Polizeibeamten sagten aus, sie seien in ihrem Streifenwagen von etwa 30 jugendlichen Randalierern mit Steinen und Stöcken angegriffen worden. In Notwehr habe dann einer der Polizisten "Warnschüsse" auf den Boden und in die Luft abgegeben. Der 15-Jährige sei von einem Querschläger getroffen worden.

Zeugen: "Es war kaltblütiger Mord"

Eine ganz andere Darstellung geben Augenzeugen. Danach entwickelte sich zwischen der Streifenwagenbesatzung und einer Gruppe Jugendlicher, die gerade aus einer Bar gekommen war, ein heftiger Wortwechsel. Dann habe einer der Beamten gezielt auf einen der Jungen geschossen. „Es war kaltblütiger Mord“, sagte ein Augenzeuge im Radio. Der 15-Jährige wurde durch einen Schuss in die Brust getötet. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Querschläger handelte, soll eine Obduktion klären. Die beiden Beamten wurden vorläufig festgenommen.

Die bisher defensive Polizeitaktik wird jetzt auf eine schwierige Bewährungsprobe gestellt, wie bereits die am Sonntagnachmittag wieder aufflammenden Unruhen zeigten. Bereits am Samstagabend waren die Unruhen auf viele weitere griechische Städte übergegriffen. Mit dem Tod des 15-Jährigen und der dadurch ausgelösten, für Griechenland beispiellosen Welle der Gewalt bekommt der Konflikt auch politisch eine neue Dimension – selbst wenn Innenminister Prokopis Pavlopoulos beteuert, der Tod des 15-Jährigen sei ein "tragischen Einzelfall", der keine Rückschlüsse auf die Polizei als Ganzes zulasse. Der Todesschuss sei "außerhalb der Logik der Polizei und des Rechtsstaates".

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