zum Hauptinhalt
Er spaltet Europa. Der griechische Premier Alexis Tsipras hat die Staatschefs Merkel und Hollande in verschiedene Ecken des Griechenland-Dramas gedrückt.

© dpa

Griechenland-Krise: Stunden der Wahrheit für Europa

Noch nie stand die EU kurz davor, eines ihrer Mitglieder aus der Gemeinschaft zu drängen. Doch am Ende könnte die Krise die europäischen Staaten enger zusammenrücken lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Noch nie in ihrer fast 60-jährigen Geschichte hat die europäische Staatengemeinschaft vor der Frage gestanden, ob sie einem ihrer Mitglieder Teile seiner Rechte entziehen, ihn quasi zur Selbstaufgabe zwingen müsse. Der Sonntag ist dieser Tag, von dem jeder der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gehofft hat, dass er nie kommen würde. Denn, das ist jedem klar: Wenn Griechenland, weil die 18 übrigen Euro-Länder den Reformversprechen der Regierung Tsipras nicht trauen und die Zusagen für unzureichend halten, zum „Grexit“ gezwungen wird, tangiert das die ganze Europäische Union, alle 28 Staaten.
Bislang war dieses Europa, seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft 1957, so etwas wie ein langsam, aber zuverlässig immer weiter voranfahrender gewaltiger Güter- und Personenzug. Dessen Lokomotive verfügt über eine so große Zugkraft, dass sie auch mit dem Ankoppeln immer neuer Waggons nicht überfordert ist. Europäische Stagnation, gar das Zurücklassen einzelner Passagiere? Das war nicht vorgesehen. Bis heute. Denn im Streit um die überfälligen Reformen Griechenlands und im seit Monaten wachsenden Misstrauen gegenüber dessen Regierungschef Tsipras ist für eine ganze Reihe von Euro-Staaten, allen voran Deutschland, ein Wendepunkt gekommen. Eine Mehrheit der Euro-Finanzminister spricht offenbar der in Athen herrschenden Koalition und dem Mann an der Spitze ab, was unabdingbare Voraussetzung für ein Arrangement zwischen Schuldner und Gläubigern ist: die Vertrauenswürdigkeit.

Andere Politiker verstecken sich hinter Merkel

Wolfgang Schäuble ist da vielleicht in der Härte seiner Position, aber nicht in der Richtung seiner Argumentation, der krasseste und einzige Exponent. Ihm und der Bundeskanzlerin zu unterstellen, beiden ginge es auch darum, eine linke Regierung in Athen in Schwierigkeiten zu bringen, ist zwar sicherlich nicht falsch. Aber das ist Beiwerk. Angela Merkel hat sich in der Ablehnung eines Schuldenschnitts früh und unnötig hart festgelegt. Sie bekam dafür zwar den lauten Beifall einer Reihe von Unionspolitikern, die mehr Antworten als Fragen haben, aber läuft eben auch Gefahr, dass andere, die ähnlich denken – die baltischen Staaten und Finnland und die Slowakei etwa – sich hinter ihr verstecken und sie damit zum europäischen Schreckgespenst machen. Ihr montiertes Bild in der größten deutschen Boulevardzeitung als eiserne Kanzlerin mit Pickelhaube weckt da auf dem ganzen Kontinent Assoziationen, die nicht gut für Deutschland sind.

Am – vielleicht nur vorläufigen – Ende der Griechenlandkrise wird jedoch, wie immer sie auch ausgeht, ein Europa stehen, das noch enger zusammenrückt, als es heute der Fall ist. Da geht es nicht mehr um Lächerlichkeiten wie energiesparende Staubsauger und Haarföhne, sondern um eine abgestimmte und harmonisierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Euro-Zone. Nur durch mehr und nicht durch weniger Abstimmung nämlich wird sich eine Wiederholung vermeiden lassen. Ob mit oder ohne Griechenland, am Ende dieser Tage der Entscheidung wird die Euro-Zone näher beieinander sein als heute und damit noch etwas weiter weg von den neun übrigen Staaten der Europäischen Union, die nicht den Euro als Zahlungsmittel nutzen. Schäubles Europa der zwei Geschwindigkeiten, vor einem Vierteljahrhundert erdacht – da ist es auf einmal, als Hoffnungssignal.

Die Ereignisse des Sonntags finden Sie im Liveticker.

Zur Startseite