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In Südgriechenland ernten Arbeiter Oliven. Die Neugründung landwirtschaftlicher Betriebe wird vom Landwirtschaftsministerium mit bis zu 10 000 Euro unterstützt.

© picture-alliance/ dpa

Griechenland: Rückbesinnung in der Krise

Viele Griechen verlassen die Städte und lassen sich als Bauern auf dem Land nieder - in den Dörfern, die ihre Eltern einst verließen.

Leere Schaufenster, verrammelte Läden, Obdachlose, die mit ihren kläglichen Bündeln durch die Straßen ziehen: In Athen und den anderen griechischen Städten begegnet man der Krise auf Schritt und Tritt. Immer mehr Griechinnen und Griechen, vor allem junge Menschen, versuchen, der Tristesse der Städte und der Arbeitslosigkeit zu entfliehen. Sie ziehen in die Dörfer.

Charis Petropoulos hat sich seinen Traum vom Leben auf dem Land bereits erfüllt. Vor einem Jahr übersiedelte der 34-Jährige mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Vangelis aus dem Athener Stadtteil Peristeri auf den Peloponnes, ins Dorf seiner Eltern. In Athen hatten die beiden Brüder das vom Vater geerbte Taxiunternehmen geführt, das allerdings nur aus einer Konzession bestand und sich zuletzt immer weniger rechnete, wie Charis sagt. In der Nähe der Kleinstadt Pylos bewirtschaften die Geschwister jetzt jenes Land, das ihre Eltern vor vier Jahrzehnten zurückgelassen hatten, um in der Hauptstadt ihr Glück zu suchen. Ein Olivenhain, mehrere Gemüsefelder, Zitronen- und Orangenbäume gehören zu dem kleinen Hof. „Es reicht für den Lebensunterhalt, wir sind nicht anspruchsvoll“, sagt Charis.

Jahrzehntelang zogen die Griechen aus den Dörfern in die Städte, die ein besseres Leben versprachen. Die Rezession, die Griechenlands Wirtschaftsleistung seit 2009 um fast ein Fünftel schrumpfen ließ, hat den Trend umgekehrt: Aus der Landflucht ist eine Stadtflucht geworden. Nach einer Schätzung des griechischen Bauernverbandes Paseges haben in den vergangenen zwei Jahren bereits etwa 100 000 Griechen die Städte verlassen und sich als Landwirte in den Dörfern angesiedelt.

Jetzt schwillt der Strom weiter an. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Kappa Research“ im Auftrag des griechischen Landwirtschaftsministeriums hat ergeben: Fast sieben von zehn Befragten erwägen, aufs Land zu ziehen. Die Untersuchung, deren Ergebnisse in dieser Woche veröffentlicht wurden, stützt sich auf Interviews mit 1286 repräsentativ ausgewählten Bewohnern der Großstädte Athen und Thessaloniki. 68 Prozent von ihnen sagten, sie hätten sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, die Stadt zu verlassen und in die Provinz zu gehen. Immerhin jeder Fünfte erklärte, er bereite sich bereits darauf vor. Rechnet man die Umfrageergebnisse hoch, spielen rund 1,5 Millionen Stadtbewohner mit dem Gedanken an einen Umzug aufs Land. 290 000 von ihnen treffen bereits konkrete Vorbereitungen. Die Motive: Fast 90 Prozent erwarten auf dem Land eine „bessere Lebensqualität“, 80 Prozent hoffen auf „weniger Stress“, und 77 Prozent locken die niedrigeren Lebenshaltungskosten. Immerhin 70 Prozent sind bereit, bei einem Umzug aufs Land Einkommenseinbußen hinzunehmen.

„Wir erleben einen tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft und unseres Lebensstils“, sagt Landwirtschaftsminister Kostas Skandalides. „Das Ausmaß und die Konsequenzen dieses Wandels sind noch gar nicht abzuschätzen.“ Das Landwirtschaftsministerium hilft den Neu-Bauern. Die Neugründung von landwirtschaftlichen Betrieben wird mit bis zu 10 000 Euro bezuschusst. Für das Programm stehen 60 Millionen Euro bereit. Außerdem können die angehenden Bauern für einen symbolischen Betrag von 50 Euro pro Jahr und Hektar staatliches Acker- und Weideland pachten, um es landwirtschaftlich zu nutzen. Jeden Donnerstag veröffentlicht das Ministerium im Internet Angaben über neue Flächen, die dafür zur Verfügung stehen. Bisher sind fast 2200 solcher Ländereien zugeteilt worden. Viele Stadtflüchtige haben allerdings eigenes Land: Felder, die brachliegen, weil ihre Eltern die Landwirtschaft aufgegeben haben.

Die Neu-Landwirte Charis und Vangelis Petropoulos bereuen ihren Umzug aufs Land nicht. In Athen haben die beiden als Taxiunternehmer abwechselnd zwölf Stunden am Tag am Steuer gesessen. „Hier ist die Arbeitszeit auch nicht kürzer, aber wenigstens gibt es keine Nachtschicht“, sagt Charis. „Und du siehst die Früchte deiner Arbeit, im wahrsten Sinne des Wortes“, ergänzt sein Bruder Vangelis. Im Mai wird das neue Gewächshaus fertig, dann wollen die beiden Brüder das ganze Jahr über Tomaten anbauen. Auch über eine Schneckenzucht denken sie nach. Der Dauerstress der Verkehrsstaus in der Hauptstadt ist fast vergessen. „Für uns war der Umzug auch so etwas wie die Rückkehr zu unseren Wurzeln“, erklärt Vangelis, „denn schließlich haben schon unser Großeltern hier gelebt – so schließt sich ein Kreis.“

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