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Scrabble-Grexit.

© dpa

Griechenland: So geht der Grexit - jedenfalls rechtlich

Der Ruf nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone wurde zuletzt immer lauter. Dafür gäbe es in der Tat rechtliche Spielräume. Ein ungeregelter Grexit aber wäre fatal. Ein Gastkommentar

Ein Kommentar von Nicolai von Ondarza

Nach dem griechischen »Oxi« zum Reformprogramm der Gläubiger rückt ein ehemaliges Tabu – der griechische Austritt aus der Währungsunion – in immer greifbarere Nähe. Doch nicht nur wirtschaftlich ist ein solcher Grexit ein schwer kalkulierbares Risiko, auch europapolitisch und europarechtlich steht die EU vor enorm schwierigen Entscheidungen, die den Charakter der Währungsunion verändern werden. Denn ursprünglich ist der Euro als »unwiderruflich« (Art. 140 EUV) angelegt; einmal beigetretene EU-Mitgliedstaaten dürfen die Eurozone nicht mehr verlassen. Diese Unwiderrufbarkeit soll verhindern, dass einzelne Euro-Mitgliedstaaten auf den Finanzmärkten solange unter Druck gesetzt werden, bis sie trotz der damit verbundenen hohen Kosten zur nationalen Währung zurückkehren.

Drei rechtliche Varianten für den Grexit

Angesichts der Blockade in den Verhandlungen mit Griechenland werden in den Institutionen der EU und den nationalen Hauptstädten nun dem Artikel 140 zum Trotz rechtliche Möglichkeiten geprüft, wie ein griechischer Euro-Austritt organisiert werden könnte. Drei Varianten kommen in Betracht. Erstens könnte Griechenland über Art. 50 EUV die EU und damit auch die Eurozone verlassen. Obwohl diese Variante rechtlich am belastbarsten wäre, hat kaum jemand ein Interesse daran, das Land auch noch aus der EU zu treiben. Vor allem aber benötigt ein Austritt ein längeres Verfahren (im Vertrag vorgesehen sind zwei Jahre plus Ratifikation in den Mitgliedstaaten) – Zeit, die dem Land nicht bleibt. Zweitens könnte über ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren die Unwiderrufbarkeit des Euros im EU-Vertrag aufgehoben werden. Aber auch dies wäre ein Prozess von mehreren Jahren, während die Einführung eines neuen Zahlungsmittels in Griechenland kurzfristig erfolgen müsste.

Drittens wären sekundärrechtliche Lösungen möglich: So könnte entweder der Beschluss aus dem Jahr 2000 zur Einführung des Euros in Griechenland aufgehoben werden. Das Land hätte dann wieder den Status eines EU-Mitglieds »mit Ausnahmeregelungen«. Oder die EU nutzt ihre Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV), die es ihr erlaubt, im Rahmen der Ziele ihrer Verträge zu handeln, auch wenn kein explizites Verfahren vorgesehen ist. Beide Möglichkeiten haben den Vorteil, dass sie zeitlich kurzfristig durchgeführt werden können. Anders als Vertragsänderung oder EU-Austritt ist die Zulässigkeit eines Euro-Austritts über diesen Weg aber europarechtlich hoch umstritten. Im Zweifelsfall dürfte politisch dennoch die schnellere Machbarkeit den Ausschlag für einen Grexit über einen sekundärrechtlichen Beschluss geben. 

Euro-Austritt rechtlich nur mit Zustimmung Griechenlands möglich

Für alle Varianten gilt, dass Griechenland selbst bei einer politischen Einigung aller anderen EU-Staaten nicht gegen seinen Willen aus der Eurozone ausgeschlossen werden kann. Ob Vertragsänderung, sekundärrechtlicher Beschluss oder sogar EU-Austritt – jeder dieser Wege erfordert eine explizite Zustimmung Griechenlands. Die griechische Regierung unter Ministerpräsident Tsipras hat aber, auch im Zusammenhang mit dem Referendum, durchgängig betont, dass das Land Mitglied der Währungsunion bleiben möchte und im Zweifelsfall rechtlich gegen Schritte vorgehen werde, die diese Mitgliedschaft in Frage stellen.

Somit gibt es im Zweifelsfall keinen rechtskonformen Weg, Griechenland aus der Eurozone auszuschließen. Dennoch steht es in der Macht der Eurostaaten und vor allem der EZB, das Land aus der Währungsunion zu treiben. Denn falls in der kommenden Woche kein neues Hilfsprogramm beschlossen wird und in der Folge auch die EZB ihre Notkredite an griechische Banken einstellt, drohen dem Land die Insolvenz und der gleichzeitige Zusammenbruch des Bankensystems. Die Regierung wäre in naher Zukunft gezwungen, eine Parallelwährung auch gegen das geltende Europarecht einzuführen, um seine Wirtschaft vor dem Totalkollaps zu retten. Eine stabile Basis für eine wirtschaftliche Erholung wäre dies allerdings nicht. Und auch in einem solchen Fall müsste sich die EU nachträglich mit Griechenland über eine Absicherung des neuen Währungsregimes einigen.

Grexit-Beschluss erfordert Einigkeit aller 28 Mitgliedstaaten

Möglich, dass sich Griechenland angesichts dieses drohenden Szenarios doch entscheidet, einen geordneten Austritt aus dem Euro auszuhandeln. Die Hürden des Europarechts, die es dann zu nehmen gilt, sind sehr hoch: Auch vereinfachte Vertragsänderungen erfordern die Einstimmigkeit aller EU-Staaten sowie wie nationale Ratifikation; das gleiche gilt für ein etwaiges Austrittsabkommen, das für einen geregelten EU-Austritt erforderlich wäre. Selbst für sekundärrechtliche Beschlüsse – die wahrscheinlichste Variante – wäre Einstimmigkeit erforderlich. Bei der Rücknahme des Euro-Einführungsbeschlusses gilt dies für die Festlegung des neuen Wechselkurses, im Fall der Flexibilitätsklausel ist sogar die Zustimmung vieler nationaler Parlamente einschließlich des Bundestags erforderlich. Damit ist klar, dass eine solch historische Entscheidung wie ein Euro-Austritt nur gefällt werden kann, wenn tatsächlich alle EU-Mitgliedstaaten dahinterstehen. Dies dürfte nur der Fall sein, wenn sie überzeugt sind, dass alle politischen Möglichkeiten zur Einigung ausgeschöpft sind.

Den ungeregelten Grexit verhindern

Die Gefahr ist daher sehr groß, dass die EU und die Eurozone auf ein Worst-Case-Szenario zusteuern, in dem die griechische Regierung zwar die Auflagen für ein drittes Reformprogramm ablehnt, aber an der Euro-Mitgliedschaft festhält und nur über faktische Zwänge und den Umweg eines Wirtschaftskollaps zum Euro-Austritt gezwungen wird. Dies würde den ohnehin großen Schaden eines Grexits im Vergleich zu einem geordneten Verfahren noch einmal immens erhöhen. Die Verhandlungsführer sollten daher, wenn keine Einigung über ein drittes Griechenlandpaket erzielt werden kann, alles daran setzen, anschließend rechtlich belastbar, schnell und gemeinsam mit Griechenland den Euro-Austritt zu organisieren, um einen irreparablen Schaden von der europäischen Idee und Griechenland abzuwenden.

Nicolai von Ondarza ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er forscht u.a. zu Grundsatzfragen der europäischen Integration. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

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