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Kann es davon je genug geben?

© dpa

Griechenland und Eurokrise: Marshallplan gegen das Bild des hässlichen Deutschen

Eine Idee muss nicht schlecht sein, nur weil sie von der Linken kommt. Deren Chefin, Katja Kipping, präsentierte jetzt den Vorschlag eines vor allem von Deutschland zu finanzierenden neuen Marshallplanes für Südeuropa. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Deutschland hat ein Problem: Die Menschen vergessen nicht so leicht, was ihnen zugefügt wurde. Zwar denken sie nicht daran, solange es ihnen gut geht. Aber in Stunden der Not und der Bedrängnis kommen die alten Gespenster wieder hoch. Der „Spiegel“ hat das in seiner vorigen Ausgabe mit der Titelgestaltung holzhammerhaft umgesetzt. Das Magazin montierte eine glücklich nach oben schauende deutsche Bundeskanzlerin in eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie von deutschen Wehrmachtsoffizieren, die – Besitzerstolz – auf der Akropolis stehen. Überschrift: „The German Übermacht – Wie Europäer auf die Deutschen blicken“.

Wir können das fies finden, aber das ist nun einmal vor allem südeuropäische Realität. Überall da, wo Deutschland in der Eurozone „Disziplin“ durchsetzt, ist das Bild vom hässlichen Deutschen wieder virulent, der diesmal den Kontinent nicht mehr mit dem Panzer, sondern mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik und der dynamischen Industrie aufrollt. Wo die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50 Prozent liegt, wo die Menschen kein Geld mehr haben, einen Arzt aufzusuchen, macht niemand die desaströse Haushaltspolitik der eigenen Regierung für das Elend verantwortlich – nein, da wird auf die Deutschen gezeigt.

Und wenn dann, wie vor allem in Italien und Griechenland, die Wunden immer noch schmerzen, die die deutsche Wehrmacht mit ihren Massakern unter der Zivilbevölkerung geschlagen hat und für die oft nicht gesühnt wurde, wird der vermeintliche gute Hegemon, der wir so gerne sein würden, zur Fratze mit SS-Zeichen auf der Stirn.

Helmut Kohl wollte den Euro, um dieses Europa auf alle Zeiten friedlich aneinander zu binden. François Mitterrand wollte ihn, um ein deutsches Viertes Reich, eine neue germanische Dominanz über den Kontinent, zu verhindern. Herausgekommen ist ein Deutschland, das von der neuen gemeinsamen Leitwährung mehr profitiert als jedes andere Land. Ein knappes Drittel des BIP, des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone der 19 Länder, wird in der Bundesrepublik erarbeitet. Gegenüber drei Viertel der Eurostaaten haben wir einen Handelsbilanzüberschuss. Deutschland setzt auf die Einhaltung der Regeln in der Eurozone, wenn sie von anderen gebrochen werden. Und sie wurden gebrochen, besonders häufig und stark in Griechenland und Italien, weniger in Spanien.

70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg existiert plötzlich wieder ein Zerrbild des hässlichen Deutschen

An das Wie muss man erinnern, denn richtig ist schon, dass die griechische und italienische Misere nicht von den Deutschen gemacht wurde. Vor der Einführung des Euro haben diese Staaten wegen ihrer chronisch fahrlässigen Finanzpolitik an den internationalen Geldmärkten nur schwer Kredit bekommen. Ihre Währungen waren permanente Abwertungskandidaten. Dann kam der Euro, und plötzlich profitierten die Finanzminister in Athen und Rom von der Stärke des Euro, die vor allem durch die Bonität von Staaten wie den Niederlanden, Finnland, Luxemburg und Deutschland getragen war.

Geld zu pumpen war auf einen Schlag ganz billig. Und das taten die Regierungen dieser Länder – aber nicht, um die staatliche Verwaltung zu reformieren und Infrastruktur zu modernisieren – nein, sie finanzierten damit kostspielige und überflüssige Bauvorhaben und blähten die überdimensionierte öffentliche Verwaltung weiter auf.

Deren Krisen waren also hausgemacht. Reformen mussten sein, und wenn sie jemand mit Konstanz, aber höflich einforderte, war es Angela Merkel. Aber ihr Regierungs- und Parteienumfeld beförderte das Bild des hässlichen Deutschen. Fraktionschef Volker Kauder etwa, indem er plötzlich feststellte, in Europa werde jetzt Deutsch gesprochen. CSU-Politiker vor allem, die im Jargon von Stammtischstrategen das faule Volk im Süden geißelten. Medien, die dem Volksempfinden Stimme gaben oder es erst weckten. Es gibt keinen Zweifel: 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg existiert plötzlich wieder ein Zerrbild des hässlichen Deutschen.

Und nun? Eine Idee muss nicht schlecht sein, nur weil sie von der Linken kommt. Deren Chefin, Katja Kipping, präsentierte jetzt den Vorschlag eines vor allem von Deutschland zu finanzierenden neuen Marshallplanes, einer Kopie der US-Anschubfinanzierung für das nach dem Weltkrieg daniederliegende Europa, von der Deutschland mehr als alle anderen Länder profitierte. Letzten Endes würden wir also damit etwas zurückzahlen, was uns vor Jahrzehnten aufgeholfen hat. Und Angela Merkel könnte lächelnd die Akropolis besuchen – ohne die schwarz-weißen Schatten von einst.

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