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Griechenlands Premier: Giorgos Papandreou - der große Zocker

Mit der Ankündigung eines Referendums zum Eurorettungsplan hat der griechische Premier Papandreou ein Manöver eingeleitet, das ihn am Donnerstag fast sein Amt kostete. Von politischen und finanziellen Überlebensplänen.

Die griechischen Bürger hatte er lange vor diesem Tag gegen sich aufgebracht. Seit Monaten befindet sich das Land im Ausstand, verweigert die Arbeit, verweigert die Gefolgschaft zu Sparbeschlüssen, die er, ihr Regierungschef, ihnen aufnötigt. Aber nun wurde es am Donnerstag wirklich einsam um Giorgos Papandreou.

Dabei hatte er das Gegenteil bezweckt mit seiner Ankündigung, ein Referendum abhalten zu lassen über die Frage... ja, die Frage war noch nicht gefunden. Aber soviel war klar: Er wollte das Land um sich scharen. Bei den Griechen aber kam es an, als wollte er die Verantwortung für die schmerzhaften Einschnitte, die er ihnen zumutet, ebenfalls auf die Betroffenen abwälzen. Immer mehr Abgeordnete der sozialistischen Regierungspartei kündigten an, im Parlament, dass eine Volksabstimmung nur mit absoluter Mehrheit anberaumen kann, gegen Papandreous Vorschlag stimmen zu wollen. Nachdem zwei sozialistische Parlamentarierinnen schriftlich ankündigten, sie würden bei der für heute um Mitternacht geplanten Abstimmung über die Vertrauensfrage der Regierung die Gefolgschaft verweigern, hatte Papandreou seine parlamentarische Mehrheit praktisch bereits verloren.

Besonderes Gewicht hatte, was Finanzminister und Vizepremier Evangelos Venizelos sagte: Griechenlands Mitgliedschaft in der Eurozone sei eine „historische Errungenschaft“, die man nicht mit einem Referendum aufs Spiel setzen dürfe. Ein Referendum sei „Unsinn und das letzte, was Griechenland jetzt braucht“, ließ Venizelos über Mitarbeiter streuen. Da hatte der griechische Premier niemanden mehr. Papandreous Plan ging nicht auf.

Oder doch? Papandreou hat in den turbulenten Stunden, in denen hinter den verschlossenen Türen des Kabinetts nach einer Lösung gesucht wird, einen interessanten Deal anzubieten: Referendum gegen Große Koalition. Statt Zustimmung des Volkes also Mitschuld der politischen Gegners.

Schon vor fünf Monaten war Papandreou der Verzweiflung so nah gewesen, dass er Oppositionsführer Antonis Samaras eine Regierungsbeteiligung angeboten hatte. Dieser schlug die Offerte damals aus. Wohl, weil nicht klar war, unter wessen Führung die Regierung der nationalen Einheit agiert hätte. Man neigt derzeit bei den Konservativen in Athen ohnehin dazu, es lieber mit Bartleby zu halten und zu jeder Maßnahme „I’d rather prefer not to“ zu sagen - und dann die Zustimmung im Parlament beinhart zu verweigern.

Von dieser Blockadehaltung hat Samaras sich nun plötzlich gelöst. Und Papandreou kriegt seine Übergangsregierung doch. Die Idee eines Referendums musste er kippen dafür. Und es dürfte auch ihn selbst dabei aus dem Amt kippen. Ob ihn seine Fraktion bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage am heutigen Freitag um Mitternacht noch einmal stützt, ist ungewiss. Angesichts von Rücktrittsforderungen auch aus den eigenen Reihen, signalisierte Papandreou gestern seine Bereitschaft, der Bildung einer Übergangsregierung auch unter der Führung eines anderen Premiers zuzustimmen. Sie soll das krisengeschüttelte Land zu Neuwahlen führen. Auch die konservative Opposition kündigte erstmals ihre Zustimmung zum jüngsten Euro-Rettungspaket an.

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Zeitweilig sah es so aus, als werde Papandreou schon diesen turbulenten Tag politisch nicht überstehen. Der Beginn einer eilig einberufenen Krisensitzung des Kabinetts verzögerte sich um mehr als drei Stunden, weil Papandreou sich zunächst mit Vertrauten beriet. Für den Spätnachmittag hatte Papandreou eine Sitzung seiner sozialistischen Fraktion anberaumt. Mehrere führende Politiker der Regierungspartei hatten Papandreou bereits seit Dienstag zum Rücktritt aufgefordert. Der Premier schien aber zunächst nicht bereit, dem wachsenden Druck nachzugeben.

Am Mittwochabend hatte die „Frankfurter Runde“ sich Papandreou in Cannes zur Brust genommen. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker, die Chefs von Weltwährungsfonds, Europäischer Zentralbank, Kommission und Rat waren vollkommen überrascht worden von Papandreous Referendumsoffensive. Junckers Auskunft über die Stimmung beim Abendessen im Mittelmeer-Nobelort Cannes fiel knapp und deutlich aus: „Mies“, resümierte der Luxemburger. Dass Papandreou zur Volksabstimmung griff, um die eigenen Landsleute zum Schwur zu zwingen – dafür hätten die anderen zur Not noch Verständnis. Aber der Grieche hat davon beim Euro-Gipfel am Sonntag in Brüssel kein klares Wort gesagt. Er hat ohne Rücksicht auf Verluste agiert.

Es geht da längst nicht nur um persönliche Empfindlichkeiten. Der Gipfel mit seinem weitreichenden Umschuldungsbeschluss hatte neues Vertrauen geschaffen. Auch an den nervösen Märkten wuchs die Zuversicht, dass die Europäer ihre Krise meistern. Psychologie ist in diesem Spiel eine geldwerte Währung, im Wortsinn. Papandreous Zug aber ließ die Euro-Helden als hilflose Helfer erscheinen, nicht unähnlich dem Rettungsschwimmer, den der in Panik um sich schlagende Ertrinkende mit in die Tiefe zu ziehen droht. Rettungsschwimmer befreien sich dann notfalls mit Gewalt.

In der Nacht packen Merkel und Sarkozy die Keule aus. „Wir lassen uns den Euro nicht kaputt machen“, knurrt der Franzose. „Wir verteidigen den Euro“, sagt Merkel. „Wir wollen das mit Griechenland tun. Aber wir sagen auch, dass wir das große Einigungswerk nicht aufs Spiel setzen.“ Und für alle, die es eventuell immer noch nicht verstanden haben, fügt die Kanzlerin hinzu: „Das sind unsere Prioritäten.“

Zum ersten Mal seit Beginn der Staatsschuldenkrise ist hier ganz offiziell von einem Ausscheiden der Griechen aus der Gemeinschaftswährung die Rede, vielleicht sogar der Gemeinschaft insgesamt. „Wir sind gewappnet“, sagt Merkel, was ein bisschen kühn ist, aber gesagt werden muss, damit nicht gleich wieder Panik ausbricht.

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Papandreou fährt aus Cannes ab mit der Botschaft in der Tasche, dass sein Land bis zu diesem Referendum keinen müden Euro mehr bekommt. Er hat immerhin zugesagt, die Abstimmung so rasch wie möglich anzusetzen, Anfang Dezember. In Wahrheit ist die Idee da wohl schon gestorben. Denn daheim in Griechenland gerät alles in Bewegung.

Als der Premier Donnerstag früh wieder in Athen eintrifft, hat er nichts mehr in der Hand. Das Referendum gegen die eigenen Gefolgsleute durchsetzen? Unmöglich. Vizepremier Venizelos ist auf offenen Konfrontationskurs eingeschwenkt. Eine alte Rivalität bricht nun wieder auf. Bereits mehrfach hat Venizelos in den vergangenen Jahren Papandreou die Führung der Partei streitig zu machen versucht. Schließlich führte an dem massigen Mann kein Weg mehr vorbei, als Papandreou sein Kabinett im Sommer umbilden und einen neuen Finanzminister suchen musste. Ob der nun den geeigneten Zeitpunkt gekommen sieht?

Es würde passen zu den nicht endenden Machtspielchen der politischen Klasse in Athen, die seit Ausbruch der Schuldenkrise auch im persönlichen Einfluss schachert. Von Venizelos jedenfalls wird nachmittags schon mal ein Bild verbreitet, das ihn abseits der Kabinettssitzung hinter einer Tür lauernd zeigt. Es sieht aus, als müsse er nur noch hindurchgehen.

Doch so weit kommt es nicht. Die Lösung, die sich in Athen abzeichnet, ist die eines Kabinetts der „nationalen Rettung“, wie es manche ausdrücken. Ihm sollen, so der Wunsch von Oppositionsführer Samaras vor allem überparteiliche Persönlichkeiten angehören. Es soll die Umsetzung der Gipfelbeschlüsse der vergangenen Woche vorbereiten und so den Weg für die dringend benötigte Auszahlung der ausstehenden Kreditrate von acht Milliarden Euro ebnen. Damit würden Sparbeschlüsse erstmals von einer breiten Mehrheit der beiden großen Parteien gebilligt werden. Das wäre endlich das politische Signal, auf das Griechenlands Geldgeber seit dem Beginn der Krise vor zwei Jahren vergeblich warten.

Das könnte dann die Antwort auf die Frage sein, ob Papandreou ein ganz großer Zocker ist, der am Ende kriegt, was er wollte, oder bloß ein Zocker.

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