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Für Premierminister Alexis Tsipras und sein Kabinett hängt viel vom nächsten deutschen Finanzminister ab.

© Alkis Konstantinidis/Reuters

Griechische Verstrickungen: Zwischen Genugtuung und "FDP-Panik"

Dass Wolfgang Schäuble nicht länger deutscher Finanzminister sein wird, freut die Griechen. Trotzdem erfüllt sie die ungeklärte Nachfolge mit Sorge.

Seinen Nachruf auf Wolfgang Schäuble hielt der griechische Finanzminister im Abendfernsehen, höflich im Ton, wie es seine Art ist. „Er war ein Europäer“, sagte Euklid Tsakalotos, „ein Mann mit schlechten und guten Seiten“. Schäuble habe zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich geglaubt, dass es besser für Griechenland sei, außerhalb der Euro-Zone zu bleiben, aber nicht außerhalb Europas, erklärte der griechische Finanzminister. Doch Schäubles Vision von Europa habe nicht funktioniert.

Dass es mit Schäubles Nachfolger nicht unbedingt leichter wird, will sich die linksgeführte Regierung in Athen gar nicht erst ausmalen. „Wie ganz Europa sind auch wir gespannt, welche neue Regierung in Berlin gebildet wird“, sagt ein Sprecher von Ministerpräsident Alexis Tsipras mit ironischem Unterton. Es gebe bereits eine Entscheidung der Euro-Gruppe zur Umsetzung des auslaufenden Kreditprogramms in Griechenland, erinnerte der Sprecher, und dies führe man fort: „Pacta sunt servanda, bestehende Verträge sind einzuhalten. Ansonsten freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit der neuen deutschen Regierung und auf die gemeinsame Arbeit an der Reform Europas.“

Die Regierung badet in einer Art Reformrausch

Die Regierung der nominell „radikalen Linken“ von Alexis Tsipras badet in diesen Wochen in einem Reformrausch vom „neuen Europa“. Die Rede des französischen Staatschefs Emmanuel Macron an der Sorbonne über eine Neugründung der Union hat sie noch beflügelt. Das Ende des Kreditprogramms und der Aufsicht der Geldgeber in elf Monaten vor Augen, macht sich in Athen Genugtuung breit: Großbritannien ist draußen, nicht Griechenland. Und Wolfgang Schäuble ist weg, für so viele in Griechenland der personifizierte „böse Deutsche“.

Hinter der zur Schau gestellten Gelassenheit rumort es dennoch seit dem Wahlsonntag in Deutschland. Die Überraschung über den Wahlausgang sei groß in Griechenland und in Wahrheit ebenso groß seien die Sorgen der politischen Entscheidungsträger über die nächste deutsche Regierung, sagt der in Athen lebende Finanzanalyst und Wirtschaftsberater Jens Bastian. Zum einen sei die Koalitionsbildung unsicher, und die Politik in Athen werde möglicherweise bis Jahresende nicht wissen, mit wem sie es in Berlin zu tun haben werde. Zum anderen lässt sich eine „FDP-Panik“ in Athen ausmachen, stellt Bastian fest: „Aus dem Wunsch nach Ablösung von Schäuble kann plötzlich ein Albtraum werden.“

An Christian Lindner und seine Äußerungen im Wahlkampf erinnert man sich nun mit einem Mal: Euro-Rettungspolitik gescheitert, Kehrtwende in der Griechenlandpolitik notwendig, Griechenland zeitlich befristet raus aus der Euro-Zone hatte der FDP-Vorsitzende erklärt. „Damit ist das Grexit-Gespenst wieder am politischen Horizont Athens erkennbar geworden“, sagt Bastian und verweist auf die Börse in der griechischen Hauptstadt und die Bondmärkte, die am Tag nach der Wahl gleich reagiert haben: Die Risikoprämien griechischer Staatsanleihen zogen wieder an, Bankaktien gaben nach.

Schon tut sich wieder ein neues Loch im Staatshaushalt auf: 619Millionen Euro fehlen, nicht alle Steuerzahler haben bisher gezahlt. Die Einnahmen aus der Einkommens- und Unternehmenssteuer in den ersten acht Monaten dieses Jahres blieben hinter den Annahmen des Finanzministeriums zurück. Dass sich der Rückstand noch bis Jahresende aufholen lässt, gilt als unwahrscheinlich. Mit den Haushaltslücken hat man in Athen Erfahrung.

Ein paar positive Wirtschaftsdaten lassen hoffen

Finanzminister Tsakalotos glaubt trotzdem noch an an zwei Prozent Wachstum dieses Jahr, sein Kollege, Wirtschaftsminister Dimitri Papadimitriou, gar an ein Übertreffen des vereinbarten Primärüberschusses. Tatsächlich gibt es eine Reihe positiver Daten: Die Arbeitslosigkeit geht – wenn auch auf hohem Niveau – langsam zurück. Die Arbeitslosenrate stand zuletzt bei 21Prozent, auf dem Höhepunkt der Krise waren es 27. Neueinstellungen im verarbeitenden Gewerbe erreichten im August gar das höchste Niveau seit Januar 2000, meldete IHS Markit.

Ihre nächste Überprüfung der Finanzplanung durch die Kreditgeber will die griechische Regierung im Dezember abschließen. Dann sollte sie auch wissen, wer neuer deutscher Finanzminister wird. Wenn ein Land einen solchen Punkt erreicht, ist eine Krise nicht weit entfernt, schrieb das konservative griechische Blatt „Kathimerini“ am Donnerstag über den Zwang von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Grüne und FDP in eine Koalition einbinden zu müssen. „Und da wir hier über Deutschland reden, ist das ein Problem, das ganz Europa betrifft.“

Von Markus Bernath

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