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Politik: Größter Kinderschänder-Prozess Frankreichs hat begonnen

Seit heute müssen sich im westfranzösischen Angers 66 Angeklagte vor Gericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, 45 Kinder jahrelang sexuell missbraucht und ausgebeutet zu haben. Die Opfer, die zur Tatzeit zwischen 6 Monaten und zwölf Jahren alt waren, erlebten eine "unaussprechliche Gewalt".

Angers (03.03.2005, 16:52 Uhr) - 66 Angeklagte, 45 Opfer, Inzest, Gruppensex und Zwangsprostitution: Im westfranzösischen Angers hat am Donnerstag der größte Kinderschänderprozess in der Justizgeschichte des Landes begonnen. Den 39 Männern und 27 Frauen aus einem sozialen Randviertel von Angers werden hundertfache Vergewaltigung und sexuelle Gewalt auch gegen ihre eigenen Söhne und Töchter vorgeworfen. Die Details von den Partys, auf denen Eltern ihre Kinder für etwas Geld oder eine Stange Zigaretten zu Sex auch mit Freunden und Nachbarn zwangen, sind so schrecklich, dass der auf vier Monate angesetzte Prozess hinter verschlossenen Türen abgewickelt werden soll. Nur die Presse darf dabei sein.

Die 45 Kinder, während ihres Martyriums zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren alt, mussten von Januar 1999 bis Februar 2002 «die Hölle» und eine «unaussprechliche Gewalt» ertragen, erläuterten Psychologen. Wie «Handelsware» wurden sie an Pädophile vermietet und zu übelsten Sexspielen gezwungen, vielfach nur für ein Nahrungsmittelpaket. Sogar Großeltern missbrauchten ihre Enkel, und auch eine ganze Reihe von Müttern schreckten nicht davor zurück, «aktiv» bei allem mitzumachen.

«Die Kinder sind seelisch zerstört und haben schwerste Verhaltensstörungen», beschreibt ein Gerichtspsychiater den Leidensweg der Sex-Opfer von Angers. «Sie sind so traumatisiert, dass sie kaum mehr in Anwesenheit von Erwachsenen essen können.» Andere wiederum sind äußerst aggressiv. Oder fast stumm. Ein kleines Mädchen bekommt immer Panik und brüllt aus Leibeskräften, sobald ein Erwachsener sich nähern will. Und eine Mutter kann ihre beiden damals missbrauchten Söhne nicht einen Moment aus den Augen lassen: «Sie treiben sofort Sex-Spiele miteinander, wenn man sie allein lässt.»

In diesem Sozialviertel am südlichen Rand der Bistumsstadt an der Maine mit seinen hellen und sauber gestrichenen Wohnblocks hat keiner etwas von den hundertfachen Qualen der Kinder in dem «fürchterlichen Albtraum» - so beschrieb es eine Kinderhilfsorganisation - gemerkt. Dabei waren die meisten Angeklagten den Sozialdiensten und in vielen Fällen auch der Justiz bekannt - arbeitslos und unausgebildet schlugen sie sich mit Sozialhilfe durch oder bekamen, als behindert anerkannt, ein paar Euro. Alkoholiker, Vorbestrafte und Analphabeten prägen das soziale Milieu, in dem es dann offenbar nur noch ein Schritt war bis zu dem reihenweisen sexuellen Missbrauch aus Perversion und Geldgier. Die heute angeklagt sind, sind oft selbst als Kinder missbraucht worden.

Erst als ein betroffenes junges Mädchen im Januar 2002 zur Polizei ging, kam das entsetzliche und lange Leiden der Kinder von Angers ans Tageslicht. Die Ermittler kamen dann nach und nach den Tätern auf die Spur, darunter 27 Frauen. «Es gibt kaum mehr Verhaltensunterschiede zwischen Frauen und Männern», sagt der Gerichtspsychiater Christian Gaussares. Er erklärt dies mit der gesellschaftlichen Entwicklung, auch wenn früher schon Söhne von ihren Müttern vergewaltigt wurden. Das soziale Milieu dürfte Scham und die letzten Hemmungen beseitigt haben: «Für diese Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, gibt es keine Grenzen mehr zwischen Gut und Böse», erläutert der Experte.

«Der Prozess muss einen kollektiven Elektroschock auslösen», sagt Alain Fouquet, einer der Anwälte der Kinder. «Ich erwarte von diesem Verfahren, dass an erster Stelle die Kinder angehört werden.» Erst in der nächsten Woche geht es um die eigentlichen Vorwürfe. Allein drei Tage sind dafür angesetzt, die 430 Seiten der Anklageschrift verlesen zu lassen. Der Prozess dauert bis Ende Juni. Vier Monate waren darauf verwandt worden, für das Verfahren eigens einen 360 Quadratmeter großen Saal zu bauen. Den Angeklagten von Angers drohen Haftstrafen zwischen drei Jahren und - bei drei mutmaßlichen Wiederholungstätern - lebenslang.

(Von Petra Klingbeil und Hanns-Jochen Kaffsack, dpa) ()

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