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Großbritannien: Browns blamable Bilanz

Von Labours „Cool Britannia“ ist wenig übrig geblieben – und der Premier geht angeschlagen ins Wahljahr.

Die Briten stehen 2010 vor der spannendsten Wahl seit 30 Jahren. Spannend ist schon, wann gewählt wird – spätestens bis Anfang Juni, dann geht die fünfjährige Legislaturperiode zu Ende. Wahrscheinlich ist der 6. Mai. Aber vielleicht wagt Premier Gordon Brown es nicht, so lange zu warten, weil er dann noch einen Haushalt vorlegen müsste, der nur höhere Steuern und sinkenden Lebensstandard bedeuten könnte. Vielleicht wird also schon Ende März gewählt.

Noch spannender ist der Ausgang der Wahl. Zwar haben die Tories seit zwei Jahren einen stabilen Vorsprung in den Umfragen. Aber um eine Regierungsmehrheit zu haben, müssen sie zu ihren derzeit 193 Sitzen noch 117 dazu erkämpfen. Nur einmal hat es in der modernen britischen Geschichte einen solchen Einschnitt gegeben – 1997 beim Wahlsieg Tony Blairs. Wenn allerdings stimmt, dass Wahlen nicht von Oppositionsparteien gewonnen, sondern von Regierungen verloren werden, müsste der Sieg der Tories ausgemachte Sache sein. Denn Labours Bilanz nach zwölf Regierungsjahren sieht von Tag zu Tag schlechter aus.

Der Lack blättert ab von Labours „Cool Britannia“, das sich eine Dekade lang als Weltmacht im Taschenformat präsentierte. Der Spesenskandal zerstörte das Vertrauen in das politische Establishment. Zehn Jahre Krieg – Bosnien, Irak, Afghanistan – drücken die Stimmung. Was die Briten jetzt von der Irakkommission über den „amateurhaften Leichtsinn“ der Invasion hören, wie ein General sagte, ist nicht gerade aufbauend. Die politische Anbindung an Washington hat wenig gebracht. Ausgerechnet Gordon Brown, der jahrelang in EU-Treffen gelangweilt die Kopfhörer abnahm, wenn in fremden Sprachen gesprochen wurde, suchte in den letzten Jahren die Annäherung an die EU.

Schlimmer noch sieht es in der Wirtschaft aus. Mit 12,5 Prozent Haushaltsdefizit sind die Briten Schuldenweltmeister. Jede Sekunde werden es 5500 Pfund mehr Schulden zeigt die „Schuldenuhr“ an, die von den Tories auf Londons größte Backsteinwand projiziert wurde, die Battersea Powerstation. „Wir brauchten ein so großes Gebäude, weil Gordon Browns Schulden so enorm sind“, sagte Schattenschatzkanzler George Osborne.

Das Pfund sinkt. Die Rezession der Briten dauert länger als in allen anderen G-20-Staaten. Großbritannien war 2005 noch die viertgrößte Wirtschaft der Welt. Nun ist es hinter Italien auf Platz 7 gerutscht und wird 2015 aus den ersten 10 ausscheiden. „Dann muss sich das Land mit den politischen Entscheidungen anderer Länder abfinden“, warnt das Wirtschaftsforschungsinstitut CEBR.

16 Jahre lang wuchs die Wirtschaft, und Gordon Brown glaubte, dass es immer so weitergehen würde. Als Schatzkanzler saß er den „Masters of the Universe“ aus dem Londoner Finanzviertel zu Füßen und strich ihre dicken Steuerzahlungen ein. Um das Land gerechter und moderner zu machen, steigerte er unaufhaltsam die Staatsausgaben.

Die Schuletats wuchsen um 40 Prozent. Aber die „Produktivität“ der Schulen sank, gemessen an den Leistungen, um 20 Prozent. 44 000 Schulabgänger jedes Jahr können nicht lesen und schreiben. In den europäischen Gesundheitsstatistiken stehen die Briten trotz enormer Investitionen weit hinten. Auch Labours Versuch, die Armut zu bekämpfen, ist gescheitert. 13,4 Millionen Menschen leben in „armen Haushalten“ mit weniger als 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens – das sind genau so viele wie vor zehn Jahren.

Verschuldet wie der Staat sind auch die Privathaushalte. Mit 154 Prozent des verfügbaren Einkommens sind die Schulden der Briten höher als in den USA (134 Prozent) oder Deutschland (104 Prozent). „Brown versäumte, das Dach zu reparieren, als die Sonne schien“, lautet deshalb der Slogan der Tories. Sie werfen Labour Verschwendung und Inkompetenz vor.

Die Briten haben auch die Selbstgewissheit des gesellschaftlichen Konsens’ verloren. Einwanderung und rapides Bevölkerungswachstum haben die alte Toleranz überfordert. Erstmals eroberten Rechtsextremisten bei den Europawahlen Sitze. Die Euroskeptiker der UKIP- Partei bekamen mehr Sitze als Labour. „Wir haben eine zerbrochene Gesellschaft“, kommentieren die Tories die höchste Scheidungsrate in Europa, die meisten Teenager-Schwangerschaften und die eine Million Kinder mit alkoholkranken Eltern.

Aber warum laufen die Briten nicht den Tories von David Cameron in die Arme? „Cameron hat den Pakt mit dem britischen Volk nicht besiegelt. Der Vorsprung der Konservativen ist auf weichen Grund gebaut“, analysiert der Glasgower Politologe John Curtis die Umfragen. Labour muss nur ein paar Punkte aufholen, und die Tories werden die Regierungsmehrheit verfehlen.

Browns Labour-Partei zieht sich nun aus der Mitte zurück. Mit Strafsteuern für City Banker und neuen Steuern für Reiche und die Mittelschichten versucht Labour, die alte Kernwählerschaft bei der Stange zu halten. „Browns Botschaft ist klar: Wenn ihr vorankommen wollt im Leben, ist die Labourpartei nicht mehr für euch da“, kommentierte Schattenschatzkanzler George Osborne.

Aber es fällt den Tories schwer, den Platz in der Mitte zu besetzen. Zu viele Briten denken noch an die Zeiten, als die Tories Staatsausgaben kürzten, die Arbeitslosigkeit stieg und die sozial Schwachen die Lasten der Wirtschaftsreformen tragen mussten.

Brown setzt auf diese Erinnerungen, wenn er Camerons Tories ihre privilegierte Herkunft aus der Aristokratenschmiede Eton vorwirft. Er wird im Wahlkampf auf die Angst vor Einschnitten setzen und so gut wie möglich verbergen, was auf die Briten in den nächsten Jahren alles zukommt.

So wahrscheinlich Labours Niederlage ist, den Sieg haben die Tories noch nicht in der Tasche. Deshalb ist die größte Angst der Briten für 2010 ein Patt. Eine Wahl ohne klaren Sieger und eine Regierung ohne richtiges Mandat für die harten Zeiten, die kommen.

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