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Großbritannien: Die Gründe eines Krieges

In London will die Opposition heute über eine Untersuchung zum Einmarsch in den Irak abstimmen lassen und hofft damit auf einen Popularitätsschub. In der Regierungspartei herrscht Uneinigkeit.

Von Markus Hesselmann

Auch wenn Gordon Brown die Aufarbeitung des Irakkriegs lieber noch etwas aufschieben will – das für ihn unangenehme Thema wird der britische Premier so schnell nicht los. Für diesen Dienstag haben die oppositionellen Konservativen im Unterhaus eine Debatte beantragt, in der über den raschen Beginn einer unabhängigen Untersuchung abgestimmt werden soll.

Brown und seine Regierung wollen mit solchen Maßnahmen aber lieber warten, bis die Lage im Irak so stabil ist, dass die britischen Truppen abgezogen werden können. Erst nach dem Ende der Militäroperationen käme eine entsprechende Untersuchung infrage, sagte Außenminister David Miliband der BBC. Derzeit sind noch rund 4000 britische Soldaten im Südirak stationiert. Möglichst bald – „im Frühling“, wie es Brown im vergangenen Jahr angekündigt hatte – soll deren Zahl auf rund 2500 reduziert werden.

Wie schon bei der Abstimmung über ein Referendum zum EU-Reformvertrag nutzen die Konservativen beim Irakeinsatz ein Thema, über das in der Regierungspartei Labour Uneinigkeit herrscht. Die Opposition hofft darauf, dass die Regierungsmehrheit von 62 Stimmen abbröckelt. Und geht davon aus, dass ihr auch eine Abstimmungsniederlage wie beim verlorenen Votum zum EU-Referendum immerhin noch einen Popularitätsschub bringt: Mit dem Antrag auf eine sofortige Untersuchung sehen sich die Konservativen auf einer Linie mit Meinungsumfragen zum Irakkrieg. Der Premier muss dagegen fürchten, durch seine Hinhaltetaktik noch mehr Kredit bei den Wählern zu verlieren. In Umfragen liegt Brown ohnehin seit Monaten hinter Oppositionsführer David Cameron zurück. Doch diesmal ist die Debatte auch für Camerons Konservative risikoreich. Schließlich haben sie vor fünf Jahren mit der Regierung für den Militäreinsatz gestimmt. Und so ist diesmal der moralische Sieger in Westminster voraussichtlich Nick Clegg, der noch nicht allzu profilierte neue Chef der ebenfalls oppositionellen Liberaldemokraten. Der fünfte Jahrestag des Kriegsbeginns im Irak solle „die Regierung und die Tories“ darauf bringen, künftig nicht mehr den Amerikanern „blind“ in einen Krieg zu folgen, sagte Clegg.

Ob nun blind oder sehenden Auges – wie Großbritannien nun wirklich in diesen Krieg geriet, das soll die von Brown für die spätere Zukunft angekündigte groß angelegte parlamentarische Aufarbeitung endgültig klären. Im Zentrum dürfte dabei die Frage stehen, ob die damalige Regierung von Tony Blair, der Brown als Schatzkanzler angehörte, die britische Öffentlichkeit mit dem Drohszenario irakischer Massenvernichtungswaffen womöglich bewusst oder fahrlässig in die Irre geführt hat. Die angebliche Existenz solcher Waffen galt der Regierung Blair als Hauptgrund für den Einsatz im Irak. Später stellte sich heraus, dass der Diktator Saddam Hussein diese Massenvernichtungswaffen gar nicht besaß. Schon abgeschlossene Untersuchungen zum Irak hatten sich nur mit Teilaspekten beschäftigt und konnten der Regierung keine substanziellen Verfehlungen nachweisen.

Bestätigt fühlen durch die Ankündigung Browns und die heutige Parlamentsdebatte dürfen sich Kommentatoren, Politaktivisten und engagierte Bürger, die eine unabhängige Aufklärung seit längerem fordern. Zum Beispiel Chris Ames. Als einfacher Bürger – er arbeitet für einen Wohlfahrtsverband – setzt er sich mit seiner Internetseite „iraqdossier.com“ seit Jahren für die Veröffentlichung von Regierungsunterlagen zum Thema ein.

Dabei ging es vor allem um das sogenannte Irak-Dossier, in dem Tony Blair die Argumente für den Einsatz am Golf zusammentragen ließ, und das explizit auf die angeblichen Massenvernichtugnswaffen einging. Ames wollte nachweisen, dass neben Geheimdienstexperten auch PR-Manager der Regierung an der Formulierung des Dossiers beteiligt waren. Deshalb forderte er die Veröffentlichung eines ersten Entwurfs des Dossiers, geschrieben vom damaligen Sprecher des Außenamts. Nach langem Hin und Her mit Eingaben und Einsprüchen wurde das Dokument per Gerichtsbeschluss veröffentlicht. Es förderte keine brisanten Details zutage. „Der Entwurf belegt aber die Beteiligung der PR-Experten am Dossier, die von der Regierung geleugnet wurde“, so Ames.

Das Papier des Außenamtssprechers sei nur ein früher Denkanstoß gewesen, argumentierte dagegen die Regierung. Den eigentlichen ersten Entwurf habe ein Geheimdienstexperte geschrieben. Wie nun genau die Geschichte von den Massenvernichtungswaffen zustande kam, ob aufgrund schlechter Geheimdienstarbeit oder bewusster Manipulation, muss die kommende Untersuchung klären.

Unterdessen ordneten Richter auch die Veröffentlichung der Protokolle von Kabinettssitzungen aus jener Zeit an. Gordon Brown mag die Aufklärung aufschieben, aufzuhalten ist sie nicht mehr.

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