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Großbritannien: Hochzeit ohne Flitterwochen

Die neue Regierung Großbritanniens präsentiert sich gut aufgelegt, doch am Tag der ersten Sitzung des neuen britischen Kabinetts treten erste Zwistigkeiten zutage.

Fast sah es wie eine Liebesheirat aus, als sich Premier David Cameron und sein Vize Nick Clegg am Mittwoch im Rosengarten der Downing Street präsentierten. Sie scherzten, begeisterten sich an den „seismischen Veränderungen“ im politischen System und Cameron schwärmte von einer neuen politischen Kultur der Kooperation, „wo zivilisiertes, erwachsenes Verhalten nicht als Zeichen der Schwäche gilt“. Die Presse rieb sich verwundert die Augen. Im dem auf Gegensatz und Konkurrenz beruhenden politischen System der Briten hat es so etwas noch nie gegeben.

Gestern begann mit der ersten Kabinettssitzung die Arbeit, für eine Hochzeitsreise war keine Zeit. Die Presse hielt nach ersten Zwistigkeiten Ausschau und fragte sich, wie lange die Ehe der Konservativen mit den Liberaldemokraten hält. Als der Liberaldemokrat Nick Clegg sagte, die vier Kabinettsminister seiner Partei könnten nur von ihm gefeuert werden, protestierte der konservative Pressesprecher und betonte, Cameron sei Premier. Als Industrieminister Vince Cable, ein notorischer Bankenschreck, sich als zuständig für die Bankenregulierung erklärte, kam sofort die Korrektur von Schatzkanzler George Osborne.

Aber noch überwiegt der Wille, Großbritannien auf ein neues Gleis zu setzen: „Wir alle verstehen, dass wir sehr schwierige Entscheidungen treffen müssen“, sagte Kulturminister Jeremy Hunt. Er habe, als er sein neues Ministerium besuchte, als Erstes gefragt: „Wo können wir sparen?“ Cameron verordnete sich und seinen Ministern eine Gehaltskürzung von fünf Prozent. Dann unterstrich er noch einmal den wichtigsten Aspekt dieser Zusammenarbeit ist. Man hat sich für fünf Jahre Treue geschworen. Das verfassungsmäßige Recht des Premiers, Neuwahlen anzusetzen, wird durch eine feste Legislaturperiode von fünf Jahren ersetzt. Nach 10 Jahren mit „Labour Kurzzeitdenken“ sei dies eine „große Chance, in längeren Zeiträumen zu denken“.

Teil der Koalitionsvereinbarung ist eine Verfassungsreform, für die Vizepremier Nick Clegg federführend ist: Feste Legislaturperioden, ein Referendum über ein neues Wahlrecht, eine Reform des Oberhauses, bei dem die „meisten“ Mitglieder gewählt werden, stehen als Aufgaben in der Koalitionsvereinbarung. Clegg, der am meisten zu verlieren hat, muss diese Ernte einfahren, wenn sich das Abenteuer lohnen soll. Einige Tories frohlocken schon, mit dem Pakt seien die Liberaldemokraten für immer aus der für die Tories lebensbedrohenden „Allianz der Progressiven“ mit der Labour-Partei herausgemeißelt. Früher oder später bleibe ihnen nichts übrig, als mit den neuen, moderaten Tories zu fusionieren.

Die Koalitionsvereinbarung konzentriert die Kernpunkte der beiden Parteiprogramme auf das, was man als maßvolle Mitte bezeichnen könnte. Einiges wird auf die lange Bank geschoben und Kommissionen übergeben, etwa die Frage der Bankenregulierung. Die gewagtesten Positionen sind vom Tisch. Bei den Liberaldemokraten der Totalausstieg aus der Atomkraft, eine Amnestie für illegale Einwanderer oder ein Beitritt in die Eurozone. Bei den Tories die Senkung der Erbschaftssteuer, die Zerschlagung der Finanzaufsichtsbehörde FSA oder die Rückforderung von Machtbefugnissen von der Europäischen Union.

Tories und Liberaldemokraten verzahnen sich als pragmatische Macher. Bei der Europapolitik etwa will man Rechte des Unterhauses in einem „Souveränitätsgesetz“ verankern und in Zukunft Referenden vorschreiben. Aber Großbritannien bleibt auch unter Premier Cameron, was es immer war: Ein grundsätzlich skeptisches, aber konstruktives Mitglied im Club.

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