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Große Koalition: Und alle Fragen offen

Die Koalitionsrunde kann die Streitpunkte zwischen Union und SPD nicht lösen. Gibt es wenigstens eine Einigung beim Pflegeurlaub?

Von Robert Birnbaum

Der Neuling ist neu im Amt, ansonsten aber für die Mitglieder der Koalitionsrunde ein vertrautes Gesicht. Schließlich hat Erwin Huber vor zwei Jahren den Koalitionsvertrag mitverhandelt. „Ich musste mich nicht vorstellen“, sagt der neue CSU-Chef denn auch. „Die kennen mich alle, in unterschiedlicher Zuneigung.“ Sachlich sei es zugegangen, zielorientiert, spürbar von dem Willen getragen, die Regierung zum Erfolg zu führen. Aber in dem Siebenerkreis im Kanzleramt habe auch keiner über die Differenzen hinweggeredet, die nun mal bestünden. Das ist eine recht freundliche Beschreibung des Istzustands der großen Koalition. Die Differenzen sind nicht geringer geworden im ersten Spitzentreffen nach der Sommerpause.

Fortschritte, wenn man das so nennen will, gab es am Montagabend nur in einigen Verfahrensfragen. Ob und wann Innenminister Wolfgang Schäuble die Erlaubnis zur Online- Durchsuchung durchsetzen kann, ist so offen wie zuvor. Immerhin soll der Bundesrat sich schon einmal mit den übrigen Punkten des Bundeskriminalamtgesetzes befassen, damit es hinterher schneller geht. Wann „hinterher“ ist, bleibt aber umstritten. Huber nennt als Zeitpunkt für die Entscheidung den November – in vier bis sechs Wochen sei die Länder-Abstimmung erledigt, überdies habe bis dahin das Bundesverfassungsgericht mündlich über die Klage gegen das nordrhein-westfälische Landesgesetz zur Online-Durchsuchung verhandelt. Das werde einen Erkenntnisgewinn bringen, und dann könne man Ende November entscheiden. Ein Zeitplan, von dem die SPD noch nichts wissen will: Parteichef Beck erklärte, man werde vor einer Entscheidung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage abwarten, das fürs Frühjahr erwartet wird.

Auch der Streit über die Pflegereform ist nicht gelöst. Zwar hat die Union im Prinzip nichts gegen die zehn Tage Pflegesonderurlaub, die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in ihrem Gesetzentwurf für Angehörige vorsieht, die sich um einen plötzlichen Pflegefall in der Familie kümmern müssen. Anders als Schmidt lehnen CDU und CSU aber einen bezahlten Urlaub ab. Im Bundeshaushalt sei kein Spielraum, eine weitere Erhöhung des Beitrags mit Belastung der Arbeitgeber komme nicht infrage, sagte Huber.

Dahinter steht die Sorge, dass die geplante Beitragsanhebung um einen Viertelprozentpunkt schon zu niedrig sein könnte, um die zusätzliche Pflege für Demenzkranke zu finanzieren. In der Runde sind überdies die Kosten höchst unterschiedlich geschätzt worden – „je nach Interessenlage“, wie ein Teilnehmer leicht sarkastisch vermerkte. Schmidt rechnete damit, dass bei jährlich 600 000 neuen Pflegefällen die zehn Urlaubstage die Pflegekasse rund 95 Millionen Euro kosten würden. Die Unionsseite schätzte das Risiko auf bis zu 400 Millionen Euro. Immerhin wurden mögliche Varianten durchgespielt. So hat die Union nach Angaben von Teilnehmern in Aussicht gestellt, dass sie über fünf bezahlte Tage mit sich reden lassen könnte. Mit dem Problem sollen sich jetzt die Fraktionen befassen.

Das war’s aber auch schon. Der laut ausgetragene Streit um Mindestlohn und Bahn-Privatisierung hat nach Auskunft von Teilnehmern in der dreieinhalbstündigen Beratung keine Rolle gespielt, die CSU-Forderung nach einem Betreuungsgeld auch nicht. Bevor über eine Anhebung des Arbeitslosengelds II entschieden wird, sollen einige Zahlen abgewartet werden: die September-Bilanz der Bundesagentur für Arbeit, die herbstliche Inflationsschätzung des Statistischen Bundesamts. Die Diskussion in der SPD über eine Korrektur der Hartz-Gesetze wurde mit keinem Wort erwähnt – logischerweise, stehen doch hier SPD-Chef Kurt Beck und Arbeitsminister Franz Müntefering diametral gegeneinander.

Öffentlich reihte sich Huber in die Riege der Beck-Kritiker ein: „populistisch“ sei der Vorschlag, älteren Arbeitslosen länger mehr Arbeitslosengeld zu zahlen als Jüngeren; denn der SPD-Chef drücke sich darum, auch die „finanzielle Kehrseite“ der Wohltat aufzuzeigen.

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