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Özdemir Ratzmann

© ddp

Grüne: Die neue Unübersichtlichkeit

Beim Kampf um die Nachfolge von Reinhard Bütikofer als Grünen-Parteichef wird die Schwäche des realpolitischen Flügels deutlich.

Von Hans Monath

Berlin - Auch einen Tag nachdem Cem Özdemir seine Kandidatur als Grünen-Parteichef angemeldet hat, schält sich noch kein klarer Favorit für die Nachfolge von Reinhard Bütikofer heraus. In der sich abzeichnenden Konkurrenz zwischen Özdemir und dem Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann bot besonders der realpolitische Flügel der Partei am Dienstag weiter ein sehr uneinheitliches Bild. Bei einem Treffen der Realpolitiker am Montagabend in Berlin wurde vor aggressiven Tönen gegenüber den Parteifreunden von der Linken und Anhängern des jeweils anderen Kandidaten gewarnt. In realpolitischen Planspielen beanspruchte man dennoch fürs eigene Lager weitere Positionen in der Führung der Partei über das Amt des Bundeschefs hinaus.

Traditionell teilen sich Parteilinke und Realpolitiker die Doppelspitze. Da der „Realo“ Bütikofer im Gegensatz zur Linken Claudia Roth nicht mehr antritt, wären eigentlich die Realpolitiker am Zug. Ihr Lager aber ist gespalten in Anhänger des Europaabgeordneten Özdemir, der auch in den Bundestag strebt, und des Berliner Landespolitikers Ratzmann.

Viele Realpolitiker werden von der Furcht umgetrieben, ihr politischer Ansatz könnte in der Parteiführung an den Rand gedrängt werden. Auch wenn ein Parteitag es noch absegnen muss: Die Spitzenkandidatur im Wahlkampf teilen sich der Parteilinke Jürgen Trittin und Fraktionschefin Renate Künast, die ursprünglich von der Linken kommt und manchen Realpolitikern heute als eine Pragmatikerin gilt, die an der Verbreiterung der eigenen Machtbasis arbeitet.

Der Besetzung der Bütikofer-Nachfolge kommt auch eine besondere Bedeutung zu, da sich die Realpolitiker nach dem Abgang der Führungsfigur Joschka Fischer und auch talentierter Nachwuchskräfte wie Matthias Berninger innerparteilich zunehmend in die Defensive gedrängt fühlen. So konnten die Vertreter dieses Parteiflügels nicht verhindern, dass ein Parteitag im Herbst 2007 sich deutlich von der deutschen Afghanistanmission distanzierte, die einst die rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hatte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erfahrung der Krise das realpolitische Lager keineswegs eint. Von der Initiative jüngerer Realpolitiker in den Ländern um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, die sich für Özdemir aussprach, fühlen sich nicht alle Realpolitiker der Bundestagsfraktion vertreten.

Derweil erklärte der zweite Interessent für das Amt, dass er bald Klarheit schaffen will. „Ob ich kandidiere, entscheide ich im laufenden Monat“, sagte Ratzmann dem Tagesspiegel. Zwar behauptet der Rechtsanwalt nicht, dass er ein Realpolitiker sei. Doch will er im Falle einer Kandidatur mit den Parteifreunden zusammenarbeiten, die sich realpolitischen Positionen verpflichtet fühlen. Seine eigene Position beschreibt er auch durch Abgrenzung: „Eine linke Rolle rückwärts hinzulegen, wäre für die Grünen grundfalsch – gerade im Hinblick auf die Linkspartei.“

Der Berliner Anwalt tritt auch dem Vorwurf entgegen, er sei von Renate Künast gleichsam als deren Befehlsempfänger in der Parteispitze auserkoren. Er betont seine Unabhängigkeit als pragmatischer Politiker und Vermittler. Künast hatte Ratzmann am Wochenende öffentlich ihre Unterstützung versichert. Zwar sei es richtig, dass ihn mit der Fraktionschefin eine langjährige Freundschaft verbinde, meint er. Doch sei er mit ihr keineswegs immer einer Meinung und trage mit ihr auch politische Differenzen aus. „Wer meint, dass wir unsere politische Arbeit in einem elternähnlichen Verhältnis erledigen“, so versichert der noch unerklärte Kandidat, „liegt mit dieser Annahme völlig falsch.“

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