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Renate Künast

© Rückeis

Grüne Kandidatin Künast: "Ich bin eine fröhliche Feministin"

Renate Künast ist grüne Spitzenkandidatin für die Berlin-Wahl im kommenden Jahr. Mit dem Tagesspiegel spricht sie über Regierungskonzepte für Berlin, Anti-Castor-Proteste und den kleinen Unterschied zu Alice Schwarzer.

Frau Künast, haben Sie Angst vor den Wählern?

Nein, warum sollte ich?

Weil die sich auf Dauer womöglich nicht mit schönen Worten zufriedengeben, sondern ganz genau wissen wollen, was Sie mit dieser Stadt vorhaben.

Das sagen wir doch. Die meisten kennen unsere Programme und Anträge. Meine Ziele sind Freiheit und Gerechtigkeit, meine Kernpunkte Bildung, Arbeit und Klima. Das werden wir im Wahlkampf durchbuchstabieren.

Bisher sind die Grünen vor allem eine Projektionsfläche für Wünsche aller Art. Bleiben Sie deshalb in der Beschreibung Ihrer Politik so wolkig, weil Sie niemanden verprellen wollen?

Ich werde den Berlinerinnen und Berlinern nicht versprechen, wir könnten das Blaue vom Berliner Himmel holen. Wahlgeschenke wird es nicht geben. In Berlin müssen 1,1 Milliarden Euro strukturell eingespart werden. Und der derzeitige Senat ist nicht in der Lage, zu erklären, wie er das machen will.

Wie würde Berlin denn unter Ihrer Führung in fünf Jahren aussehen?

Einen großen Schritt weiter zu einer Stadt für alle. Berlin würde in Bewegung kommen. Wir brauchen im Bereich Bildung und Arbeit schlüssige Konzepte.

Was heißt das?

Warten Sie unser Wahlprogramm ab, das wir im Frühjahr nächsten Jahres vorstellen. Sie dürfen gespannt sein.

Als Spitzenkandidatin haben Sie doch sicher eigene Vorstellungen …

Im Bildungsbereich brauchen wir eine konzertierte Aktion in sozialen Brennpunkten. Wir brauchen qualifiziertes Personal für Sprachunterricht und -förderung, wir brauchen aber auch eine kulturelle und soziale Vernetzung nicht nur für Kinder, sondern für die ganze Familie. Es reicht nicht aus, weitere Sozialarbeiterstellen anzubieten. Wir brauchen die Vernetzung vom Stadtteil bis zu den Unternehmen als möglichen Arbeitgebern. Wir müssen uns in Berlin zur Wirtschaft und industrieller Produktion bekennen. Wir brauchen endlich einen Wirtschaftssenator, der seine Aufgaben ernst nimmt und engagiert ausfüllt.

Sie versprechen nicht das Blaue vom Himmel, aber doch 100 000 neue Arbeitsplätze. Woher sollen die kommen?

Jobs für Berlin müssen zur Priorität werden. Es gibt viele gute Vorschläge, wie man durch Ansiedlungspolitik Arbeitsplätze schafft. Auch hier gilt das Prinzip der konzertierten Aktion. Beispiel Gesundheitsbereich: Dort können Hochleistung, Wissenschaft, Forschung, Grundversorgung und Pharmaindustrie verbunden werden. Der andere Bereich ist die moderne ökologische Technologie, die „green economy“. Wir wollen Unternehmen aus diesem Bereich nach Berlin holen. Und gemeinsam mit Wirtschaft und Investoren überlegen, wie wir die Stadt voranbringen können. Berlin muss Hauptstadt der alternativen Energien und des intelligenten Umgangs mit Energie werden.

Wie wollen Sie das schaffen?

Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, das den Rahmen vorgibt und Ziele für eine CO2-Reduzierung vorschreibt. Öffentliche und private Gebäude müssen energetisch saniert werden.

Wer trägt letztlich die Kosten für die energetische Sanierung privater Gebäude – Eigentümer oder Mieter?

In der Regel muss das der Eigentümer zahlen, der dafür eine Umlage auf die Miete verlangen kann. Wir Grüne wollen das Mietrecht im Bund dahingehend ändern, dass Mieter künftig nur noch die energetische, barrierefreie und altersgerechte Modernisierung tolerieren müssen. Die Umlage soll nicht mehr wie heute elf, sondern nur noch neun Prozent betragen.

Das heißt aber, dass viele Berliner mit einer Mieterhöhung um neun Prozent rechnen müssten, wenn Sie Ihre Pläne verwirklichen können.

Nun mal langsam. Mietpreise stehen auch unter Markteinfluss. Geringerer Wärme- und Energieverbrauch senkt die Nebenkosten, löst also auch Probleme.

Der Berliner Haushalt wird vor allem durch wachsende Sozialausgaben belastet. Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Unsere Grundphilosophie für die Lösung sozialer Problem heißt: Bildung, Bildung, Bildung. Das ist der Kernpunkt, damit die Menschen aus der Abhängigkeit von Transferleistungen herausfinden. Natürlich braucht Berlin dafür neue Jobs, auch für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte. Deshalb sind für uns Bildung und Arbeit die Kernbereiche. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es ist den Schweiß der Edlen wert, da ganz ehrgeizig heranzugehen.

Zentrales Vorhaben der Grünen in der Bildungspolitik ist der Ausbau der Sekundarschulen. Was wird aus den Gymnasien?

Bevor wir über die Zukunft der Gymnasien nachdenken, brauchen wir erst einmal eine bessere Qualität an den Schulen. Es fehlt Personal, die Schulstrukturreform ist ungenügend umgesetzt. Wir brauchen Qualität, und jedes Kind muss nach seinen Möglichkeiten gefördert werden. Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht.

Wollen Sie die Gymnasien auf Dauer abschaffen?

Diese Frage steht die nächsten Jahre nicht an. Die Gymnasien werden in der kommenden Legislaturperiode nicht abgeschafft. Danach muss man weitersehen.

Sie haben die Verbeamtung von Lehrern wieder in die Diskussion gebracht. Wie wollen Sie das finanzieren?

Verbeamtung ist eine von mehreren Ideen, wie wir im scharfen Wettbewerb um die besten Lehrer mit den anderen Bundesländern bestehen können.

Aber später muss das Land für die Pensionslasten aufkommen.

Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass die in Berlin ausgebildeten Lehrer in andere Bundesländer abwandern, wo sie Beamte werden und mehr verdienen könnten. Leidtragende wären die Berliner Schülerinnen und Schüler. Wir diskutieren über das Wie!

Teuer wird auch die von Ihnen versprochene Sanierung der Berliner Schulgebäude …

Wir wollen ein Klimastadtwerk gründen, um die vielen brachliegenden Klimaschutzressourcen Berlins endlich zu nutzen. Das Klimastadtwerk soll von Anfang an Energieeffizienzdienstleistungen und Energieerzeugung als gleichberechtigte Standbeine haben. Und wir brauchen neue Contracting-Modelle. Das heißt, die öffentliche Hand schließt Verträge mit Firmen, die Sanierungsspezialisten sind. Die Sanierung finanziert sich aus einem Teil der Einsparung, die der geringere Energieverbrauch erbringt.

Kommen wir zur Frage aller Fragen für alle ADAC-Mitglieder und das Heer der Berliner Taxifahrer: Wollen Sie Tempo 30 in Berlin flächendeckend einführen?

Vor 20 Jahren hat der ADAC im Verein mit „Bild“ noch dafür gekämpft, dass Autos durchs Brandenburger Tor sausen dürfen. Heute vermisst sie da kein Mensch mehr. Und Hand aufs Herz: Viele, die tagsüber mit dem Auto durch Berlin unterwegs sind, wären ja wegen der vielen Baustellen heilfroh, wenn sie wenigstens Tempo 30 fahren könnten. Ich will Mobilität in der Stadt mit einem Gewinn an Lebensqualität verbinden: weniger Lärm, weniger Abgasbelastung, weniger Spritverbrauch. Natürlich gehört dazu, dass parallel der öffentliche Nahverkehr mit Bussen und Bahnen ausgebaut wird und zuverlässig ist.

Können sich die Wähler darauf verlassen, dass ein grün geführter Senat vor der Gewalt am 1. Mai nicht zurückweichen wird?

Wir sagen ganz klar: Gewalt ist nicht zu akzeptieren. Dafür gibt es eine im Lauf der Jahrzehnte exzellent ausgebildete Berliner Polizei.

Nun erleben wir jedes Jahr, dass der Appell zum Gewaltverzicht bei manchen auf taube Ohren stößt. Das Gewaltmonopol muss auch durchgesetzt werden.

Es ist die Pflicht des Senats und des Polizeipräsidenten, einen verfassungsrechtlich sauberen Einsatz der Polizei zu garantieren. Das tut sie in der Regel auch. Wir als Grüne haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass sich das Selbstverständnis der Polizei gewandelt hat.

Frau Künast, warum sind Sie am vergangenen Wochenende nicht zur Demonstration gegen den Castor-Transport gefahren? Aus Rücksicht gegenüber den bürgerlichen Grünen-Wählern in Zehlen dorf?

Weil ich es nicht geschafft hätte, um zehn Uhr vor Ort auf dem Trecker zu sitzen. Außerdem musste ich mich auf den Landesparteitag am Tag darauf vorbereiten. Es waren auch so genug prominente Grüne in Gorleben.

Als Regierungspartei haben Sie vor Demonstrationen gegen den Castor-Transport gewarnt. Jetzt mobilisieren Sie dagegen. Wie passt das zusammen?

Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Damals hatten wir den Atomausstiegskonsens durchgesetzt: begrenzte Laufzeiten für Atomkraftwerke, weniger Atommüll, Baustopp in Gorleben. Natürlich war uns auch damals klar, dass für den bis dahin angefallenen Atommüll Lager gefunden werden mussten. Aber wir konnten doch nicht zu einer Demonstration aufrufen, die sich damals ausdrücklich auch gegen unseren Atomausstieg richtete. Das wäre doch ein bisschen spaltungsirre gewesen.

Damals gegen die Demo, heute dafür – ist das nicht auch ein bisschen spaltungsirre?

Nein. Wir haben mit dem Atomausstieg Gorleben massiv entlastet. Schwarz-Gelb tut das Gegenteil. Sie verlängern die Atomlaufzeiten, vermehren den Atommüll, wissen aber nicht, wohin damit, und sie bauen in Gorleben weiter ein Endlager ohne atomrechtliche Genehmigung. Das sind lauter gute Gründe, heute in Gorleben zu demonstrieren.

Frau Künast, lassen Sie uns zum Schluss über Unterwerfung sprechen.

Jetzt bin ich aber gespannt.

Es geht um Familienministerin Kristina Schröder von der CDU. Sie hat in einem Interview eine alte These des Feminismus kritisiert, wonach heterosexueller Geschlechtsverkehr ohne Unterwerfung der Frau kaum möglich sei. Alice Schwarzer sprach der jungen Ministerin daraufhin jede Eignung für ihren Job ab. War das nicht ein wenig überzogen?

Das war unnötig. Alice Schwarzer hätte die Ministerin mit ihren blamablen Äußerungen auch einfach im Regen stehen lassen können.

Was war so blamabel an den Äußerungen der Ministerin?

Dass sie plötzlich anfängt, über das Sexualverhalten von Frauen und Männern und oben und unten und Unterwerfung zu schwadronieren. Ich dachte, ich habe das falsche Heft in der Hand oder brauche noch einmal eine Lesebrille. Ich finde es unglaublich, dass eine Bundesministerin Jahrzehnte später anfängt, in solchen Dingen rumzurühren.

Warum ärgert Sie das so?

Sie verkennt die historische Leistung des Feminismus. Das ist unter Niveau ihres Amtes. Sie sollte sich besser mal um ihre Aufgaben kümmern. Da hat sie noch viel zu tun.

Aber die These von der Unterwerfung ist doch mit guten Gründen angreifbar.

Ich habe das damals für absurd gehalten und halte sie heute immer noch für absurd. Aber Sie müssen doch den Kontext sehen: Das war eine Provokation. Das ist aber doch nicht der Kern der Frauenbewegung.

Sie haben einmal gesagt: „Schrecklich ist das Modell alte Feministin, die den jungen Frauen erklärt, was sie zu tun haben.“ Trifft das auf Schwarzer zu?

Ich stehe zu dem Zitat. Es ging darum, dass sich auch Alice Schwarzer despektierlich über jüngere Frauen äußerte, die angeblich nicht kämpften. Das war anmaßend. Jede Generation von Frauen hat ihre eigenen Kämpfe. Aber sie kämpfen!

Welche Art von Feminismus vertreten Sie?

Ich bin eine fröhliche Feministin, die versucht, Probleme rational zu lösen.

DIE RUHRPOTT-FRAU

Renate Künast wuchs in Recklinghausen auf, ist aber schon seit mehr als 30 Jahren in Berlin. Hier in der Hauptstadt lebt sie mit ihrem Lebensgefährten, einem Juristen.

DIE POLITIKERIN

Seit 1979 mischt die Juristin in der Parteipolitik mit. Sie war Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, später auch Parteichefin der Bundesgrünen. Von 2001 bis 2005 war sie Bundesministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft. In ihrem Wahlkreis Berlin Tempelhof-Schöneberg erreichte sie 2009 mehr als 26 Prozent der Erststimmen.

DAS ZIEL

Vor neun Tagen erklärte Künast ihre Kandidatur um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin. Gewählt wird allerdings erst im September 2011.

Das Gespräch führten Sabine Beikler, Stephan Haselberger und Hans Monath. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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