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Politik: „Grüne müssen sich auch als Mittelstandspartei profilieren“

Der Stuttgarter Fraktionschef Winfried Kretschmann über den Kurs seiner Partei und die Annäherung an die Union

Renate Künast, Ihre Fraktionschefin im Bundestag, hat selbstkritisch angemerkt, die Grünen hätten ihre Rolle in der Opposition noch nicht gefunden. Zutreffend?

Wenn man längere Zeit in der Regierung war, dann ist doch klar, dass man sich nicht holterdipolter in der Opposition zurechtfindet. Es gibt noch Übergangsprobleme. Die Grünen in Berlin sind dabei, ihre Rolle zu finden.

Welche Rolle sollen die Grünen spielen?

Die Zukunft der Partei liegt in einer eigenständigen Position zwischen FDP und Linkspartei. Zwischen einer FDP, die immer weniger Staat möchte, und einer Linken, die nach immer mehr Staat ruft. Beides ist nicht die Position der Grünen. Unsere Losung muss lauten: Der Staat muss sich immer wieder verändern. Und das heißt, die Politik der Grünen muss sich am Prinzip der Subsidiarität ausrichten. Das bedeutet auch, dass kommunale und regionale Verantwortung von den Grünen wieder stärker betont werden muss.

Zurück zum „small is beautiful“?

Ja. Die Grünen haben diese Devise ein wenig vernachlässigt. In der Debatte um die Föderalismusreform hat sich gezeigt, wie viel Zentralismus und Staatsgläubigkeit sich bei uns eingeschlichen hat.

In Ihren Wahlkampfreden ist viel vom Mittelstand die Rede. Eine neue grüne Klientel?

Wir haben hohen Zuspruch von Selbstständigen, auch für unser Anliegen, Ökologie vermehrt als ökonomisches Thema zu betrachten, als Herausforderung für die deutsche Wirtschaft. Deshalb müssen sich die Grünen auch als Mittelstandspartei profilieren. Das wird ein längerer Prozess sein, aber in Baden-Württemberg gelingt das Schritt für Schritt. Das heißt aber auch, dass grüne Politik mittelstandsfreundlich sein muss. Die Forderung nach einer Vermögensteuer passt da nicht richtig, solange kein Modell gefunden wird, das Aufwand und Ertrag ins Lot bringt und als „Substanzsteuer“ dem Mittelstand nicht schadet.

Wie sehen Sie denn die Position der Grünen mit Blick auf SPD und Union?

Als eine offene. Das Projekt Rot-Grün ist mit der Regierung Schröder/Fischer beendet. Ich möchte die historische Überhöhung zum „Projekt“ gar nicht kritisieren. Doch nun kommt es darauf an, neben Rot-Grün auch eine Option in Richtung Union aufzubauen. Wir müssen Koalitionen wieder als das sehen, was sie in Wirklichkeit sind: Bündnisse auf Zeit zur Erreichung begrenzter Zwecke. In einer Gesellschaft, in der die Mauern zwischen den Lagern zerbröseln, muss man offen sein.

Sehen Sie denn Anknüpfungspunkte bei der Union?

Ja, etwa bei der Sozialpolitik. Das grüne Konzept der Zivilgesellschaft, des selbstverantwortlichen Bürgers, könnte sich mit der Idee der Subsidiarität, die ja als wesentlicher Teil der katholischen Soziallehre eine Wurzel der CDU-Politik ist, verbinden. Das lässt sich zusammenbringen, wenn es um die Frage geht, wie der Zusammenhang von Staat, Markt und Bürger neu gestaltet werden muss. Nehmen wir die Arbeitsmarktpolitik: Hier will die SPD an den Strukturen der Bundesagentur für Arbeit festhalten, die Union ist offen für eine stärkere Regionalisierung und Kommunalisierung. Hier sehe ich mehr Nähe zur Union.

Es klingt fast so, als ob sich die Grünen auch Traditionen des Liberalismus verpflichtet fühlten.

Das ist auch so, wobei wir Werte wie persönliche Freiheit und Selbstentfaltung mehr im Sinne des Rechtsbürgers als des Marktbürgers sehen. Wir sind Liberale mit einem sozialen Blick. In diesem Sinne sollten die Grünen auch ein wirtschaftsliberales Profil entwickeln, das sich abhebt vom Marktradikalismus der FDP. Uns geht es nicht um diejenigen in der Wirtschaft, die nur nach „cash“ schauen und irgendwann bei den Heuschrecken landen. Die Grünen müssen sich um jene Unternehmer kümmern, die sich und andere für ihre Ideen und Produkte begeistern.

Welche Chancen hat denn Schwarz-Grün im Südwesten?

Im Moment spricht einiges gegen ein schwarz-grünes Bündnis. Zum einen hat die CDU in der FDP einen sehr handzahmen Partner, warum sollte sie da die Grünen nehmen, die nicht so billig zu haben sind. Auch bei unserem Kernthema, der Ökologie, geht die CDU derzeit in Siebenmeilenschritten auf Distanz – siehe die Forderung von Ministerpräsident Oettinger nach Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken. Und drittens muss man erkennen, dass ein Bündnis zwischen einer Partei, die seit gut 50 Jahren regiert, und einer Partei, die gerade 25 Jahre Opposition im Landtag begehen konnte, nicht einfach sein würde.

Aber erstmals Schwarz-Grün auf Landesebene, hätte das nicht für beide Seiten Reiz?

Durch den „Gesinnungstest“ für Muslime hat sich die emotionale Differenz zwischen der CDU und uns eher erhöht. Andererseits ist Ministerpräsident Oettinger auch ein Modernisierer, mit dem man auf bestimmten Gebieten zusammenarbeiten kann. Doch er wird von den Traditionsbataillonen der CDU regelmäßig zurückgepfiffen. Jetzt reist er durchs Land, verspricht allen alles, und seine Haushaltspolitik lässt jene Nachhaltigkeit vermissen, die für uns Grüne unabdingbar ist. Schwarz-Grün hat nur Reiz, wenn es auch Substanz hat.

Das Gespräch führte Albert Funk.

Winfried Kretschmann (57) ist Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Landtag. Der Lehrer und gläubige Katholik war Mitbegründer der

Grünen in Baden-Württemberg.

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