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Politik: Grünen-Basis rebelliert gegen Reformagenda

Zusammenarbeit mit SPD-Linken / Abgeordneter Hermann: Wir dürfen „neoliberalen Märchen“ nicht glauben

Von Matthias Meisner

Berli n. Die Kritiker der von der Regierung geplanten Reformen bei SPD und Grünen setzen jetzt auf ein gemeinsames Vorgehen. Vor den Sonderparteitagen kündigte der Vize-Fraktionschef der Grünen, Christian Ströbele, eine enge Zusammenarbeit mit den SPD-Linken an. Auf einer Konferenz in Münster verständigten sich Vertreter aus 40 Kreisverbänden auf einen eigenen Alternativantrag, der umfangreiche Korrekturen der Agenda 2010 fordert. Die Rebellen wollen dabei gegen fast alle wesentlichen Punkte der Pläne vorgehen. Die Kritik betrifft die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Kürzung des Arbeitslosengeldes, Einschnitte bei der Krankenversicherung und die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann legte ein Thesenpapier vor, in dem er auf „sozial ausgewogene“ Reformen pocht. Problematisch sei, wenn der Eindruck erweckt werde, „nur genau“ mit der Agenda 2010 könne der Sozialstaat gerettet werden, schrieb er. In dem Positionspapier, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es weiter: „Die Politik sollte nicht so tun, als ließen sich die über Jahrzehnte angewachsenen – und politisch nicht gelösten – Probleme auf einen Schlag mit dieser oder jener Agenda lösen. Es wäre klug, wenn sich alle auf einen längeren Zeitraum eines schwierigen Umbaus einstellen würden, als auf das eine Konzept zu setzen, das in wenigen Monaten durchgepaukt wird.“ Ein Scheitern des Reformkonzeptes wäre zwar „ausdrücklich bedauerlich“, jedoch „nicht das Ende der Reformpolitik“, meint Hermann.

Der zum linken Flügel gehörende Tübinger Abgeordnete fordert, die Agenda 2010 durch arbeitsschaffende Nachfrage und öffentliche Förderung von Arbeit in einem zweiten sozialen Beschäftigungssektor zu ergänzen. Zu meinen, die Senkung der Lohnnebenkosten um einige Prozentpunkte schaffe die gebrauchten Millionen von neuen Arbeitsplätzen, hieße, „einem neoliberalen Märchen zu glauben“, erklärte Hermann. Ohnehin sei sie „nur unter allergrößten Schwierigkeiten zu erreichen“. Unter den Bedingungen eines millionenfachen Defizits an Arbeitsplätzen sei es „zynisch“, die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Ähnliche Kritik wurde auch von Teilnehmern des Treffens in Münster laut. „Nicht die Arbeitslosen sind das Problem, sondern die fehlenden Arbeitsplätze“, sagte der Sprecher des Kreisverbandes Münster, Wilhelm Achelpöhler.

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtet, in den Realo-Zirkeln der Bundestagsfraktion werde über „teure Konzessionen“ an die Linke nachgedacht. Das Blatt zitierte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mit den Worten, es sei unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit nicht einzusehen, warum „ein früher Besserverdienender ein höheres Existenzminimum haben soll als jemand, der immer wenig hatte“.

Der Sonderparteitag der Grünen findet am 14. und 15. Juni in Cottbus statt. Zuvor trifft sich die SPD am 1. Juni in Berlin. Nachdem schon Fraktionschef Franz Müntefering vor einem Aus der Koalition gewarnt hatte, legte jetzt auch der zum linken Flügel gehörende Stellvertreter Michael Müller nach. „Jede Regierung braucht eine eigene Mehrheit. Kommt diese bei den Reformplänen nicht zu Stande, gerät die Koalition auf eine abschüssige Bahn“, sagte Müller der „Welt am Sonntag“. Das Mitglied im Grünen-Bundesvorstand, Omid Nouripour, sagte zur Lage in seiner Partei, er sehe trotz der Kritik vieler Parteimitglieder „keine unüberbrückbaren Differenzen“.

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