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Werner Schulz

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Grünen-Europapolitiker Werner Schulz: "Die CDU war uns noch nie so nah wie heute"

Der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz wirft seinen Parteifreunden "ideologische Vorurteile" und "Borniertheit" vor. Er fordert offensive Verhandlungen über Schwarz-Grün im Bund - und auch in Hessen.

Von Matthias Meisner

Herr Schulz, im Bundestag haben Union und Grüne eine rechnerische Mehrheit. Wäre das eine gute Regierungskonstellation für Deutschland?

Ich erwarte, dass jetzt mit aller Ernsthaftigkeit und mit größter Mühe und konsensorientiert solch eine Option verhandelt wird. Die defensive Verweigerungshaltung muss aufgegeben werden. Wenn man schon unsere Kernthemen im Wahlkampf vernachlässigt hat, dann hat man jetzt zumindest die Chance, die Energiewende voranzubringen, den ökologischen Landbau, den Verbraucherschutz, in der Bildungspolitik eindeutige Akzente zu setzen. Ich finde, wir sollten der SPD die Chance einräumen, sich in der Opposition mit der Linkspartei zu verständigen, wieweit die Differenzen, die sie haben, ausräumbar sind. Und uns nicht als geschwächte kleine Oppositionspartei hinter die Linke aufzustellen, zu ertragen, dass dann immer ein Gregor Gysi der Hauptredner der Opposition ist. Nein, wir haben eine große Chance, sowohl in Hessen, als auch im Bund, Schwarz-Grün zu machen. Und wirklich Gestaltung und auch Verantwortung zu übernehmen für eine vernünftige Europolitik, für die Krisenbewältigung und für eine ökologische Reformpolitik. Die ist ja völlig vernachlässigt worden im Wahlkampf.

Spitzenpolitiker der Grünen sind skeptisch, sowohl die scheidende Parteivorsitzende Claudia Roth als auch etwa Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Ärgert Sie das?

Ich bin empört, wenn ich von Steffi Lemke höre, eine schwarz-grüne Koalition würde ihre Phantasie überschreiten. Wer phantasielos ist, der ist nicht politikfähig, sondern in der Trotzecke. Ich dachte, wir haben das längst überwunden. Wir haben mal von einer Äquidistanz zu beiden großen Volksparteien gesprochen. Die CDU war uns noch nie so nah wie heute. Der Atomausstieg ist beschlossen. Die Energiewende ist auf den Weg gebracht. Sie müsste besser und schneller passieren, das könnten wir umsetzen. Die Endlagerfrage ist zu klären. Es sind viele, viele Gemeinsamkeiten. Das Schicksal unseres Landes und Europas hängt nicht am Betreuungsgeld. Das muss überprüft werden, inwieweit das sinnvoll war, das kann man tun in einer Koalition. Es gibt immer die Möglichkeit, Dinge zu evaluieren. Ich sehe überhaupt keinen Punkt, wo wir nicht zusammenkommen könnten. Wir können doch nicht immerzu das der SPD überlassen, dieses Feld. Die sollen in der Opposition bleiben und dort nachdenken, wieso sie aus der Opposition keinen Gewinn erzielen konnten.

Wie schätzen Sie die Stimmung in der Union ein?

Ich glaube, dass man in der Union sehr aufgeschlossen ist für Schwarz-Grün, wenn man auf ebenfalls aufgeschlossene Grüne trifft - und nicht auf solche, die mit ideologischen Vorurteilen und Borniertheit drangehen. Klar, die Frage Bundesrat wird bei der Union mit eine Rolle spielen. Aber ich glaube, auch in der Union wird an verschiedensten Stellen gesehen, dass unserem mit einem schwarz-grünen Bündnis eine wesentlich progressivere Politik bevorsteht, als mit einer großen Koalition der beiden Parteien, die sich nach dem Atomausstieg auf Kohle verständigen werden. Wer das nicht will, muss selber die Gestaltung übernehmen. Das ist unsere Verantwortung jetzt, wenn wir schon im Wahlkampf damit versagt haben. Gerade von Katrin Göring-Eckardt erwarte ich das.

Warum gerade von ihr?

Von ihr wurde ja erhofft, dass sich die Bandbreite der Partei ausweitet, dass man das Kirchentagsmilieu dazu gewinnt, diese Mitte. Da hat sie wirklich jämmerlich versagt. Sie hat uns mit ihren Abgrenzungsfloskeln ebenfalls auf diese rot-grüne Option fixiert, die eigentlich von Anfang an und dann im Laufe des Wahlkampfes immer stärker keine Gestaltungsmöglichkeit ergeben hat. Das hat doch ein Blinder mit dem Krückstock gesehen, dass es für Rot-Grün nicht reicht. Also hätte man sich viel deutlicher öffnen sollen und deutlich machen sollen: Es geht uns um die Themen, es geht uns um das Land. Und es geht uns nicht darum, rechthaberisch auf bestimmten Positionen zu verharren.

Werner Schulz (63) ist seit 2009 Europaabgeordneter der Grünen. Von 1990 bis 2005 gehörte der gebürtige Zwickauer dem Bundestag an, war lange Jahre als Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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