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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Bundestag

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Exklusiv

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Interview: "Wir brauchen eine Politik der Wahrheit statt der Scharfmacher"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert mehr Ehrlichkeit im Umgang mit der Griechenland-Krise. Im Interview mit dem Tagesspiegel bringt er eine Umschuldung Griechenlands bis 2020 ins Gespräch.

Die griechische Regierung hat am Dienstagabend den Euro-Partnern keine neuen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise vorgelegt. Ein Affront?
Das war nicht klug. Die deutsche Regierung geht aber genauso unklug vor, wenn sie jetzt behauptet, dass ein Schuldenschnitt rechtlich nicht möglich sei. Alle Beteiligten sind zu feige, ihren nationalen Parlamenten und der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen. Die griechische Regierung müsste zugeben, dass tiefergreifende Reformen notwendig sind. Und sie müsste benennen, welchen Anteil die Politik in Griechenland an dem Desaster hatte. Es waren doch nicht die bösen Europäer, die dafür gesorgt haben, dass der griechische Staat nicht funktioniert. Aber auch von der Bundeskanzlerin erwarte ich mehr Ehrlichkeit. Griechenland ist im Moment nicht in der Lage, seine Schulden zurückzuzahlen, die Sparauflagen zu erfüllen und gleichzeitig Reformen umzusetzen. Das müsste Frau Merkel endlich offen benennen.

Finden Sie es nachvollziehbar, dass manch einem angesichts des Verhaltens der griechischen Regierung die Geduld ausgeht?
Ja, es ist nachvollziehbar, dass inzwischen alle genervt sind. Natürlich war auch Varoufakis' Auftreten als Finanzminister harter Tobak. Aber es ist auch nachvollziehbar, dass die griechische Bevölkerung genervt ist. Die Menschen haben fünf Jahre Sparprogramm hinter sich, ohne dass es etwas gebracht hätte. Die Wirtschaftsleistung ist um 25 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent.

Lässt sich ein Grexit noch abwenden?
Es besteht immer noch die Möglichkeit, einen Grexit abzuwenden. Aber dazu müssen sich beide Seiten bewegen. Für weitere Zockereien ist die Situation viel zu dramatisch. Wenn Frau Merkel die Einheit Europas am Herzen liegt, muss auch sie sich bewegen. Aus unserer Sicht sollte das nächste Hilfsprogramm bis 2020 gehen. Bis dahin sollte man der griechischen Regierung den Schuldendienst abnehmen. Im Gegenzug sollte diese sich zu echten Reformen verpflichten und dazu, keine neuen Schulden aufzunehmen, sondern die laufenden Ausgaben mit den laufenden Einnahmen zu decken.

Halten Sie eine Umschuldung denn politisch für durchsetzbar?
Jetzt ist politische Führung gefragt. Wir brauchen eine Politik der Wahrheit statt der Scharfmacher. Die Bundeskanzlerin weiß doch genau, dass alles andere deutlich schlimmer wäre. Ein Grexit würde faktisch einen Schuldenschnitt von 100 Prozent bedeuten, die Gläubiger bekämen nichts von ihrem Geld zurück. In Griechenland würde die Wirtschaft wahrscheinlich völlig zusammenbrechen, mit schweren humanitären Folgen. Auch politisch wäre ein Grexit fatal. Wenn aus einer Währungsunion ohne Austrittsoption eine mit Austrittsoption wird, sehe ich die Gefahr, dass ein schleichender Erosionsprozess in Gang gesetzt wird. Was für ein Signal wäre es außerdem für den Rest der Welt, wenn die EU mit einem Problem in der Größenordnung von Griechenland nicht fertig wird? Das wäre so, als ob Deutschland kollabieren würde, weil Bremen in ökonomischen Schwierigkeiten steckt.

Halten Sie es denn für realistisch, dass Griechenland 2020 einen Teil seiner Schulden zurückzahlen kann?
Ich sehe zumindest die Chance, dass durch eine Umschuldung ein erheblicher Teil der Kredite gerettet werden kann. Und auch wenn Griechenland kollabiert oder aus dem Euro ausscheidet, wird Europa so oder so helfen müssen.

Würden die Grünen im Bundestag einem dritten Hilfspaket zustimmen?
Die Zukunft Europas steht auf dem Spiel. Wenn ein Grexit verhindert werden kann, sich beide Seiten kompromissbereit zeigen und wir eine langfristige Lösung bekommen, werden wir einem weiteren Hilfspaket zustimmen.

SPD-Chef Gabriel hat dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras vorgeworfen, letzte Brücken eingerissen zu haben. Hat er Recht?
Natürlich ist das Verhalten von Herrn Tspiras unklug. Aber auch Sigmar Gabriel heizt mit seinen Äußerungen die Debatte emotional an. Wenn er davon redet, dass letzte Brücken eingerissen werden, trägt er selbst dazu bei. Der Vizekanzler sollte verbal lieber abrüsten. Seinen Antipathien freien Lauf zu lassen, ist unprofessionell. Es geht jetzt nicht um Befindlichkeiten, sondern darum, den Zerfall Europas zu verhindern.

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