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Politik: Grünen-Parteitag in Münster: Die Spätzle-Connection

Ein Beziehungsgeflecht hatte Gunda Röstel nicht, als sie ins höchste Parteiamt der Grünen kam. Kurz vor Weihnachten 1996 wählte ein Bundesparteitag im thüringischen Suhl die Sonderschullehrerin aus Flöha bei Chemnitz zur neuen Vorstandssprecherin - eine Kandidatin, die bis dahin über die sächsische Landespolitik nicht hinausgekommen war.

Von Matthias Meisner

Ein Beziehungsgeflecht hatte Gunda Röstel nicht, als sie ins höchste Parteiamt der Grünen kam. Kurz vor Weihnachten 1996 wählte ein Bundesparteitag im thüringischen Suhl die Sonderschullehrerin aus Flöha bei Chemnitz zur neuen Vorstandssprecherin - eine Kandidatin, die bis dahin über die sächsische Landespolitik nicht hinausgekommen war. "Ich habe mir zu wenig Mühe gegeben, ein Netz zu stricken", sagt die 38-jährige Röstel jetzt kurz vor ihrem Abgang aus der Parteiführung. Größten Wert habe sie auf die Außenwirkung gelegt, die innerparteilichen Seilschaften "unterschätzt".

Diesen Fehler will Fritz Kuhn nicht wiederholen will. Der 44-jährige Dozent für Kommunikationswissenschaft, bis vor wenigen Wochen noch Chef der Stuttgarter Grünen-Landtagsfraktion, bewirbt sich in Münster als Parteichef - doch über ein funktionierendes Beziehungsgeflecht in der Partei verfügt er schon lange.

Der quirlige Schwabe gehört zu einem Männerbund, dem wohl mächtigsten informellen Gremium der Öko-Partei. Die wichtigsten Akteure der "Spätzle-Connection" neben Kuhn: der seit der von Rot-Grün gewonnenen Bundestagswahl 1998 amtierende Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch und Außenminister Joschka Fischer, seit Jahren heimlicher Parteichef der Grünen. Verstärkt wird das Realpolitiker-Trio von Reinhard Bütikofer aus Heidelberg, der an diesem Sonnabend auf dem Parteitag erneut für das Amt des Bundesgeschäftsführers kandidiert.

Schlauch, der lange Jahre gemeinsam mit Bütikofer und Kuhn die Landtagsbank in Stuttgart drückte, ist im schwäbischen Gerabronn geboren - das hat er mit dem lange Jahre in Hessen lebenden und dort politsch aktiv gewordenen Joschka Fischer gemeinsam. Der Clique um Fischer arbeitete über Monate dafür, dass Kuhn, eigentlich im baden-württembergischen Landtag mit sicherem Auskommen, den Schritt an die Berliner Parteispitze wagt. Gemeinsam setzte sich die Seilschaft dafür ein, dass Kuhn kandidierte, auch nachdem der Grünen-Bundesparteitag im März die Trennung von Amt und Mandat für die Parteichefs bestätigt hatte. Der ehemalige Chef der baden-württembergischen Landtagsfraktion wird sein Abgeordnetenmandat nach seiner Wahl in Münster also niederlegen müssen.

Grünen-Spitzenmann Fischer traut Kuhn zu, die Professionalisierung der Partei deutlich voran zu treiben. Doch die Protektion wird in der Partei mit Argusaugen beobachtet. "Fischers Fritz", spotteten die eigenen Leute schon lange vor dem Wahlparteitag über den mutmaßlichen Aufsteiger aus Stuttgart. Ein Etikett mit zweifelhaftem Wert: Fischer und viele seiner Freunde gelten an der Basis schon lange als abgehoben und zu wenig grünen Grundsätzen verpflichtet. Als undurchschaubar gilt für die meisten zudem das Geflecht von Zuarbeitern der Seilschaft - meist Referenten und Mitarbeiter in den Diensten von Bundestagsfraktion oder Auswärtigem Amt.

Dennoch, der schwäbische Männerbund macht Politik: Zwar ist klar, dass Kuhn seit seiner Bewerbung die baden-württembergischen Grünen nicht mehr in den Landtagswahlkampf im Frühjahr 2001 führen kann. Im Gegenzug aber hat Fischer zugesichert, die Südwest-Partei kräftig zu unterstützen. Das wäre neu: Vor den Landtagswahlen 1999 in Brandenburg, Thüringen und Sachsen hatte sich der Grünen-Vormann kaum blicken lassen. Die Stuttgarter Landtagsgrünen sollen ein zweistelliges Ergebnis verteidigen. Die "Spätzle-Connection" will den seit der Bundestagswahl andauernden Abwärtstrend stoppen.

Ob die realpolitische Verbindung stets mit einer Stimme sprechen wird, muss sich erweisen. Gleich nach seiner Kandidatur hat Vordenker Kuhn zu erkennen gegeben, dass er einen eigenen Kopf hat. "Fischers jetzige Rolle ist gefährlich. Einen virtuellen Vorsitzenden darf es nicht länger geben", betonte der Schwabe. Und auch für Fraktionschef Schlauch ist der Wechsel Kuhns nach Berlin Hilfe und Bedrohung zugleich: Anders als es Röstel und ihrer Ko-Sprecherin Radcke gelungen ist, will Kuhn die Partei zu einem neuen Kraftfeld ausbauen.

Die Linken in der Partei beobachten die Zusammenballung realpolitischer Macht mit Skepsis - ein vergleichbares Gegengewicht haben sie nicht. Der linke Parteiflügel ist zersplittert. Gemäßigten Linken wie Schlauchs Ko-Sprecherin Kerstin Müller stehen radikale Linke gegenüber, unter ihnen die Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und Hans-Christian Ströbele. Auch Renate Künast, derzeit noch Berliner Fraktionschefin und wie Kuhn Kandidation für den Grünen-Parteivorsitz, gehört zum Spektrum Mitte-Links. Und versichert an die Adresse des Realo-Netzwerks: "Die brauchen die Mitte."

Röstel allerdings ahnt, welch starke Männer-Runde auf dem Vormarsch ist. Die Frau aus der grünen Diaspora sagt: "Ohne einen starken Landesverband im Rücken lassen sich Entscheidungen schwer durchsetzen." Wie gut für Fischers Freunde, dass Baden-Württemberg Stammland der Grünen ist.

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