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Katrin Göring-Eckardt.

© Mike Wolff

Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im Interview: „Ich halte Basta-Politik nicht für zeitgemäß“

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt spricht im Tagesspiegel-Interview über Führungsaufgaben bei den Grünen, die Außenpolitik der Linkspartei und die Zuspitzung der Ukraine-Krise.

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Frau Göring-Eckardt, Sie haben zu Ostern einen ungewöhnlichen Text geschrieben, in dem es heißt, das Scheitern sei ein ständiger Begleiter in der Politik. Wie gehen Sie selbst mit Scheitern um?
Der Text bezieht sich auf Karfreitag, den Tag, der uns an das Scheitern menschlichen Lebens erinnert. An Ostern wird dieses Scheitern überwunden. Meine Erfahrung ist: Erst wenn man sich über das Scheitern tatsächlich klar geworden ist, kann man gut nach vorn schauen und die Chance erkennen, etwas daraus zu lernen.

Sind die Grünen bei der letzten Bundestagswahl gescheitert?
Ja. Und ich trage einen Anteil daran. Ich habe aus dem Wahlergebnis gelernt, dass wir wieder das machen müssen, wofür wir stark und überzeugend stehen: Die Grünen müssen die große Perspektive aufzeigen, das Ganze im Blick haben und darüber reden. Ich glaube, dass wir im Wahlkampf den Fehler gemacht haben, uns in Kleinigkeiten zu verlieren.

Und wie sieht die große Linie der Grünen heute aus?
Unsere Aufgabe ist es, die notwendige Ökologisierung voranzutreiben, von der Wirtschaft bis zum Verkehr, von der Energieversorgung bis zur Landwirtschaft. Das ist die zentrale ökonomische und soziale Frage von morgen. Das ist die Lebens- und die Überlebensfrage, vor der wir stehen. Und davon versteht niemand mehr als wir Grüne.

In der neuen Grünen-Spitze gibt es niemanden mehr, der den Ton angibt. Braucht Ihre Partei nicht endlich Führung, wenn Sie mit Ihren Botschaften durchdringen wollen?
Meinen Sie wirklich? Ich halte Basta-Politik und Machtworte nicht für zeitgemäß. Ich stehe für einen modernen Führungsstil, der auf Kommunikation setzt und Stärken stark macht, weil es dem Ganzen nützt. In unserer Fraktion gibt es so viele kluge Leute, auch viele junge Abgeordnete. Die bringen eine Menge guter Ideen mit, es wäre verrückt, denen etwas vorzuschreiben, statt ihre Kreativität zu nutzen.

Und so wollen Sie die große Koalition wirklich das Fürchten lehren?
Die große Koalition verfügt über eine riesige Mehrheit, das macht sie bräsig. Egal ob in der Umweltpolitik, beim Haushalt oder bei der Rente: Union und SPD bedienen ihre eigenen Anhänger, sie versündigen sich an den Jungen, den Armen und an der Umwelt. Die große Koalition betreibt Politik zulasten der Zukunft. Das schadet dem Land, und das wird ihr auf die Füße fallen.

Die Grünen im Bund kritisieren die Energiewende, die grün regierten Länder wollen ihr im Bundesrat aber zustimmen. Wie geht das denn zusammen?
Das ist eine strategische Entscheidung. Die Länderminister haben an einigen Stellen Erfolge errungen. Im Gegenzug müssen sie jetzt im Bundesrat zustimmen, sonst hätte sich Gabriel nicht bewegt, so funktionieren Kompromisse. Auf Bundesebene haben wir keine Kompromisse verhandelt, wir sind die Opposition und bewerten das Gesamtpaket und da gilt: Unterm Strich bringt das Konzept von Gabriel nicht mehr Klimaschutz, sondern wir sollen in Deutschland weiter dreckige Kohle verfeuern. Das machen wir nicht mit. Da Grüne in Bund und Ländern unterschiedliche Aufgaben haben, ist es nur konsequent, der EEG-Reform im Bundestag nicht zuzustimmen.

Wer ist eigentlich Oppositionsführer im Bundestag: Gregor Gysi von der Linken, Ihr Parteifreund Anton Hofreiter oder Sie?
Gregor Gysi bestimmt nicht. Der klopft doch nur Sprüche. Und seine Fraktion macht, was sie will, vor allem in der Außenpolitik. Da mache ich mir wirklich Sorgen.

Inwiefern?
Die Linke betreibt eine europafeindliche Außenpolitik. Und in der Ukraine-Krise haben sich etliche Abgeordnete der Linkspartei als Lautsprecher von Wladimir Putins Annexionspolitik hervorgetan.

Wie soll der Westen auf die Krise reagieren?

Sie persönlich wurden aus der Linkspartei als naive Faschistenversteherin beschimpft. Wie können die Grünen da noch offen sein für eine Koalition mit dieser Partei?
Ich bin für harten Streit. Aber es ist absurd und unverschämt, Grüne als Nazi- Sympathisanten zu verunglimpfen. Wir kämpfen seit unserer Gründung gegen Rechtsextremismus.

Geht es nicht nur um einige wenige Außenseiter in der Linksfraktion?
So einfach ist das nicht. Keiner aus der Linkspartei widerspricht solchen Vorwürfen. Auch Gregor Gysi kritisiert solche Entgleisungen nicht, er drückt sich vor einer Klarstellung. Er duldet die Ambivalenz, offensichtlich will er auch die Wähler binden, die sich durch solche radikalen Töne angesprochen fühlen.

Wie wollen Sie dann 2017 ein rot-rot-grünes Bündnis hinbekommen?
Menschen können sich ändern. Parteien können ihren Kurs korrigieren. Aber ganz klar: Mit einer Linken, die in der Außenpolitik so unverantwortlich agiert, können wir keine Regierung bilden.

Reden wir noch einmal inhaltlich über die Ukraine: Wie soll der Westen auf die Krise reagieren?
Zunächst müssen die in der Ostukraine festgesetzten OSZE-Beobachter sofort freikommen. Klar ist auch, es muss weiter verhandelt werden – mit allen Seiten, mit Moskau und mit Kiew. Das Genfer Abkommen ist eine gute Grundlage. Während die Ukraine aber zumindest bemüht ist, es umzusetzen, versucht Putin, mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Drohungen weiter Druck auszuüben. Ich sehe nicht, dass er deeskalierend wirkt, im Gegenteil. Deshalb sind verschärfte Sanktionen, wie von den G-7-Staaten angekündigt, als Mittel der Deeskalation notwendig. Der Westen muss Putin klar machen, dass er bereit ist, für seine Werte einzustehen. Zu unseren Werten gehört auch die Möglichkeit, selbst über seine Zukunft zu entscheiden. Die Ukrainer müssen selbst entscheiden, wo sie hingehören und wie sie leben, wie sie ihren Staat organisieren wollen.

Sie glauben an die Wirkung von Sanktionen?
Russland ist auf den Export seiner Rohstoffe und auf westliche Investitionen angewiesen. Putin tut so, als sei ihm nichts anzuhaben. Das ist eine gespielte Stärke, er wird das nicht durchhalten können.

Aus der Union gibt es Kritik an Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Unions- Vizefraktionschef Andreas Schockenhoff hat ihm vorgeworfen, sein Russlandbild sei zu positiv. Teilen Sie die Kritik?
Nein. Steinmeier hat seine aus meiner Sicht problematische Russlandpolitik der ersten Amtszeit korrigiert. Damals glaubte er, Deutschland könne durch eine Modernisierungspartnerschaft einen demokratischen Aufbruch in dem Land anstoßen. Von dieser Illusion hat er sich befreit. Er hat nun eine realistische Perspektive auf Russland. Das hilft, eine gemeinsame Antwort aller 28 EU-Staaten auf die Ukraine-Krise zu finden.

Wie soll Europa auf die indirekte Drohung Putins reagieren, russische Gaslieferungen zu verringern?
Die Ukraine-Krise macht deutlich, wie dringend wir einen Aufbruch hin zu erneuerbaren Energien brauchen. Es war nicht klug, sich so stark von russischen Gaslieferungen abhängig zu machen. Je schneller wir auf erneuerbare Energien setzen, umso unabhängiger werden wir von außen- und sicherheitspolitischen Risiken.

Reden wir noch einmal über die Innenpolitik. Die SPD steht in den neuen Ländern, unter anderem in Ihrer Heimat Thüringen, vor der Entscheidung, ob sie möglicherweise als Juniorpartner einem Ministerpräsidenten der Linkspartei zur Macht verhelfen soll. Wie halten das die Grünen?
Die Grünen in Thüringen kämpfen eigenständig und schauen auf Basis des Wahlergebnisses, mit welchem Partner sie die meisten Inhalte umsetzen können. Sie müssen wissen: In diesem Land regiert die CDU seit 1990. Da kann ein Wechsel der Demokratie nur guttun. Die Linkspartei in Thüringen ist eine sozialdemokratische Partei und hat einiges zur Aufarbeitung ihrer SED-Vergangenheit getan. Ein linker Ministerpräsident wäre dort für die Grünen kein Tabubruch.

Sie waren Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Sie waren Bundestagsvizepräsidentin. Als Fraktionschefin einer Oppositionspartei sind Sie nun für Kritik zuständig. Vermissen Sie die Beschäftigung mit existenziellen Fragen, über die Sie früher häufiger gesprochen haben?
Die Fragen und das Nachdenken bleiben ja, das Reden oder Schreiben auch, obwohl seltener, wie zu Karfreitag. Aber Sie haben recht: Ich habe nun eine andere Rolle. Da geht es um Klarheit, um harte Auseinandersetzung, um Kritik. Aber ich will als Fraktionschefin gar nicht mit Hau-drauf-Rhetorik punkten. Das ist auch ein Grund, warum die Abgeordneten mich gewählt haben. Die Grünen wollen mit Konzepten und Alternativen überzeugen, nicht nur mit markigen Sprüchen. Die überlassen wir getrost Gregor Gysi.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Hans Monath. Das Foto machte Mike Wolff.

Politikerin: Katrin Göring-Eckardt führte die Grünen im vergangenen Jahr gemeinsam mit Jürgen Trittin als Spitzenkandidatin in die Bundestagswahl. Im Oktober wurde sie zur Fraktionschefin gewählt – ein Amt, das sie auch schon zu rot-grünen Regierungszeiten ausübte.

Thüringen: Göring-Eckardt wurde am 3. Mai 1966 in Friedrichroda geboren. Die heute 47-Jährige war zu Wendezeiten Gründungsmitglied von Demokratie Jetzt und Bündnis 90. Protestantin: Zwischen 2009 und 2013 war die gläubige Protestantin Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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