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© dpa

Guantanamo-Häftlinge: Hoffnung nur in Thomson

Die Guantanamo-Häftlinge sollen nach Illinois verlegt werden – aber der Umzug ist umstritten, viele US-Bürger fürchten Anschläge.

Fragt man die Amerikaner nach dem Plan der Obama-Regierung, Guantanamo- Häftlinge in ein Hochsicherheitsgefängnis in Illinois zu bringen, dann fürchtet eine Mehrheit, die Gefahr von Terroranschlägen in den USA werde steigen. Der Mehrheit der knapp 600 Bewohner von Thomson (Illinois) tanzen bei der Aussicht hingegen Dollarscheine vor den Augen. Sie hoffen auf eine Rettung ihrer Landgemeinde am Mississippi vor dem langsamen Sterben, auf Jobs und den Zuzug neuer Bürger. Ebenso denken die Politiker und Geschäftsleute in den umliegenden Landkreisen.

In beiden Fällen spielen je ein Ereignis des Jahres 2001 sowie die Folgeentwicklung in den Jahren darauf die Schlüsselrolle. Die US-Bürger stehen bis heute unter dem Schock des Terrorangriffs auf New York und Washington mit gekaperten Flugzeugen am 11. September 2001. Präsident George W. Bush begann einen Krieg in Afghanistan zum Sturz des Taliban-Regimes, unter dessen Schutz Al Qaida dort seine Ausbildungslager führte. Terrorverdächtige, die in den Kämpfen festgenommen wurden, ließ er vom Frühjahr 2002 an in ein speziell dafür eingerichtetes Lager auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo auf Kuba bringen. Diese Menschen, so versicherte er in den Folgejahren immer wieder, seien die Schlimmsten der Schlimmsten und die Gefährlichsten der Gefährlichsten.

In Thomson hatte der Staat Illinois kurz zuvor ein Gefängnis für gewöhnliche Kriminelle gebaut: 1600 Betten, die sich über acht Gebäude verteilen. Kosten 120 Millionen Dollar. Es wurde 2001 eröffnet, sollte Arbeitsplätze in der strukturschwachen Agrarregion im Westen des Staates schaffen und die Abwanderung der jungen Leute bremsen. Doch seither standen sieben der acht Trakte leer. Nur die Zellen im Gebäude mit der niedrigsten Sicherheitsstufe waren von 2006 an gut belegt, im Schnitt 150 dieser 200 Betten. Nun hoffen die Menschen in Thomson und Umgebung, dass das Versprechen des Aufschwungs durch Arbeitsplätze doch noch in Erfüllung geht.

Präsident Obama stammt aus Illinois, seine Regierung will das ganze Gefängnis kaufen, verurteilte Straftäter des Bundesjustizsystems dort unterbringen und den Hochsicherheitstrakt an das Pentagon vermieten, das formal für Guantanamo-Häftlinge zuständig ist. Das ist Teil seines Plans, das Lager auf Kuba zu schließen, das zu einer Belastung des US-Ansehens in der Welt geworden ist.

„Acht Jahre lang war das Gefängnis eine einzige Enttäuschung, nun werden Wärter und Militärs mit ihren Familien hierherziehen, Steuern zahlen und die Schulen neu beleben“, sagt Rick McGinnis, Besitzer von „Kyle’s Bar“, Reportern, die sich nach Thomson aufmachten. „Das ist eine Gelegenheit zur ökonomischen Entwicklung für Nordwest-Illinois, wie man sie gewöhnlich nur einmal im Leben bekommt“, ergänzt Russ Simpson von der regionalen Wirtschaftsförderung. US-Zeitungen zitieren Prognosen, wonach die Nutzung des Gefängnisses durch die Bundesregierung 800 bis 900 Arbeitsplätze schaffen und mit der Zeit bis zu 3000 Jobs in der Umgebung durch den wachsenden Bedarf an Dienstleistungen nach sich ziehen werde.

Solche Zahlen verfolgen die Einwohner von Thomson noch etwas ungläubig. Die Erfahrung hat sie vorsichtig gemacht. „Hoffen wir mal, dass es ein schönes Weihnachtsgeschenk bleibt“, sagt Bürgermeister Jerry Hebeler.

Obama und die hoffnungsvollen Bürger von Thomson haben freilich nach wie vor die Stimmung im Land gegen sich. Die Furcht vor den „Gefährlichsten der Gefährlichen“, die Bush jahrelang geschürt hatte, um Guantanamo zu rechtfertigen, sitzt tief. Der Augenschein spricht zwar dagegen, dass dies auf alle Häftlinge dort zutrifft. Vermutlich gilt es nicht einmal für die Mehrzahl. Nur wenige von ihnen sind bisher rechtskräftig wegen Terroraktivitäten verurteilt worden.

Ein Großteil der rund 750 Menschen, die seit Frühjahr 2002 dorthingebracht und zum Teil über Jahre gefangen gehalten wurden, sind in ihre Heimatstaaten oder andere Länder abgeschoben worden. Derzeit sind noch 210 Insassen dort. 116 von ihnen haben die internen Überprüfungskommissionen ebenfalls zur „Entlassung“ vorgesehen – was in der Regel die Verlegung in ihre Heimatstaaten bedeutet oder die Suche nach einem anderen Aufnahmeland.

„Weniger als hundert“ würden am Ende in Thomson landen, versucht Dick Durban, demokratischer Senator von Illinois, die Gemüter zu beruhigen. Kein Guantanamo-Insasse solle sich nach Ende der Haft legal in den USA aufhalten dürfen, versichern andere Demokraten.

Vorsichtig muss sich freilich auch der Republikaner Mark Kirk verhalten, der den Senatssitz für Illinois erobern möchte, der durch Obamas Wahl zum Präsidenten freigeworden ist. Er darf sich nicht rundheraus gegen das Vorhaben stellen, denn dann würde man ihm vorwerfen, er handele gegen die Wirtschaftinteressen des Staates. Also kritisiert er, man dürfe den Plan nicht durchpeitschen, sondern müsse eine öffentliche Anhörung zum Sicherheitsrisiko für die Bürger anberaumen. Seine konservativen Parteifreunde auf Bundesebene laufen Sturm gegen die Verlegung von Guantanamo-Häftlingen nach Illinois.

Obama hatte im November eingestanden, dass er seine Zusage vom 22. Januar, Guantanamo innerhalb eines Jahres zu schließen, nicht werde einhalten können. Sein Justizminister Eric Holder sagt nun, der Sommer oder Herbst 2010 sei ein realistischer Zeitpunkt. Thomson ist der Schlüssel dazu. Die meisten verbleibenden Häftlinge will Obama unter Anklage stellen – entweder vor einem regulären Strafgericht oder vor Militärtribunalen, deren Verfahrensregeln freilich mit Blick auf die Praxis unter Bush abgemildert wurden. Einige Verdächtige, das hat auch er klar gesagt, werden ohne Prozess im Gefängnis bleiben. Das beträfe Insassen, gegen die keine ausreichenden gerichtsfesten Beweise vorliegen, die die Behörden aber dennoch als gefährlich einstufen. Die Kriegsvollmachten als Präsident gäben ihm das Recht dazu.

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