zum Hauptinhalt

Politik: Günter Schabowski hat umgedacht - trotzdem sollte er seine Strafe verbüßen (Meinung)

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe von Positionen zum Krenz-Prozess. Zuletzt nahmen der Bürgerrechtler Wolfgang Templin und der Rechtsprofessor Uwe Wesel Stellung.

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe von Positionen zum Krenz-Prozess. Zuletzt nahmen der Bürgerrechtler Wolfgang Templin und der Rechtsprofessor Uwe Wesel Stellung.

Es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben. An 8. November 1999, einen Tag bevor Deutschland den Fall der Mauer vor zehn Jahren feiert und Michail Gorbatschow in einem Rest von "Gorbimania" in den Himmel hebt, verurteilt der Bundesgerichtshof neben Egon Krenz und Günther Kleiber auch Günter Schabowski. Schabowski, ein Anhänger Gorbatschows, hatte in der bekannten Pressekonferenz vom 9. November 1989 von der Gewährung der Reisefreiheit berichtet und auf diese Weise den - unblutigen - Fall der Mauer mit herbei geführt.

Deutsche Politiker haben die Frage aufgeworfen, ob Schabowski zu begnadigen sei, also die Frage, ob die rechtskräftig verhängte dreijährige Freiheitsstrafe in diesem Einzelfall ganz oder teilweise zu erlassen, umzuwandeln oder ihre Vollstreckung auszusetzen ist.

In einem demokratischen Rechtsstaat wie dem unseren, der sich durch die gleichmäßige Anwendung des Rechts gegenüber jedermann auszeichnet, wird der Platz der Begnadigung zunehmend zweifelhaft. Sinnvoll und notwendig ist sie allenfalls dann, wenn es darum geht, eine rechtskräftige Strafentscheidung zu korrigieren, die auf einem auf andere Art und Weise nicht mehr behebbaren Fehler beruht oder die sich im Einzelfall als vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Härte der Rechtsanwendung darstellt. Sie mag geeignet sein, auf tiefgreifende Konflikte in der Gesellschaft befriedend zu wirken. Keiner dieser Fälle liegt vor

Das Landgericht Berlin, dessen Entscheidung vom 25. August 1997 der Bundesgerichtshof am 8. November 1999 nachdrücklich bestätigt hat, hat alles andere als, wie die SED - Nachfolgepartei PDS meint, "sich das Recht hingebogen und -gefeilt". Die Auffassung auch des Bundesgerichtshofs, Schabowski sei als mittelbarer Täter (nicht: Töter, wie es fälschlicherweise in einer Presserklärung des Bundesgerichtshofs heißt) mitverantwortlich für die Erschießung von Flüchtlingen, kann nur unsere Zustimmung finden.

Taten wegen offenkundiger Menschenrechtsverletzungen werden nach seiner, vom Bundesverfassungsgericht bestätigten, Rechtsprechung von niemanden gerechtfertigt werden können. Dies ist die Argumentation beispielsweise auch Spaniens und des Vereinigten Königreichs im Falle des ehemaligen chilenischen Diktatoren Pinochet - und darüber sind sich auch die zivilisierten Staaten dieser Welt einig.

Eine Befriedigung der meiner Auffassung nach allerdings überbetonten Konflikte zwischen den Bewohnern der östlichen und der westlichen Teile unseres Landes wird sich durch eine Begnadigung Günter Schabowskis nicht erreichen lassen. Die Begnadigung wird jene, die das Verfahren des Landgerichts als bloße "Farce" bewerten, nicht für den Rechtsstaat einnehmen. Sie wird nicht nur die Mauerschützen, die eine Gefängnisstrafe verbüßen, in ihrer Meinung bestärken, dass der Staat "die Großen" sowieso laufen lasse und alle die, die in der DDR für die bloße Äußerung ihrer politischen Meinung drakonische Strafen verbüßten und die mehr noch als Schabowski durch ihre Zivilcourage die Mauer zum Einsturz brachten, verzweifeln lassen.

Günter Schabowski wird - wegen seiner persönlichen Schuld - eine Gefängnisstrafe verbüßen. Es steht zu hoffen, dass die westlichen Demokratien ihre Haltung zu den Führern totalitärer Staaten nicht erst dann überdenken, wenn diese die Macht verloren haben. Der Autor ist Mitglied im Präsidium der CDU und Ministerpräsident des Saarlandes.

Peter Müller

Zur Startseite