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Politik: Gunda Röstel bleibt auch nach der öffentlichen Demontierung im Amt

Gunda Röstel hat noch das gleiche graue Kostüm an, mit dem sie am Vorabend in Dresden die Wahlniederlage ihrer Partei in Sachsen erklärt hat. Sie ist fest entschlossen, von ihrem Amt als Bundesvorstandssprecherin zurückzutreten, als sie am frühen Morgen zu den Gremiensitzungen ihrer Partei im Berliner Ibis-Hotel in Reinickendorf eintrifft.

Von Matthias Meisner

Gunda Röstel hat noch das gleiche graue Kostüm an, mit dem sie am Vorabend in Dresden die Wahlniederlage ihrer Partei in Sachsen erklärt hat. Sie ist fest entschlossen, von ihrem Amt als Bundesvorstandssprecherin zurückzutreten, als sie am frühen Morgen zu den Gremiensitzungen ihrer Partei im Berliner Ibis-Hotel in Reinickendorf eintrifft. Bei unter drei Prozent will sie ihr Spitzenamt aufgeben, so hatte sie selbst die persönliche Schmerzgrenze bestimmt. In der Nacht hat der Landeswahlleiter das vorläufige amtliche Endergebnis der Grünen auf 2,6 Prozent beziffert. Die Sitzung am Montag in der Hauptstadt soll die letzte sein, die sie als Parteichefin leitet.

Es ist dann ausgerechnet Joschka Fischer, der das Blatt an diesem Tag noch einmal wendet und Gunda Röstel zum Weitermachen bewegt. Fischer, dem alle an diesem Tag mit vorwurfsvollen Blicken begegnen, weil er wenige Tage vor der Sachsen-Wahl die grüne Doppelspitze der Partei aus dem Hintergrund angegriffen hat. Oder besser: Über seine "Spin doctors" hat angreifen lassen. Am vergangenen Donnerstag abend in Leipzig hat der Ober-Grüne die Sächsin Röstel nach einem Wahlkampfauftritt in Leipzig über seine Pläne für eine Strukturreform der Partei unterrichtet. Am nächsten Morgen muss die Parteichefin dann in der "Bild"-Zeitung lesen, dass ihre Ablösung und die ihrer Ko-Chefin Antje Radcke beschlossene Sache sei. Ein Foul der eigenen Parteifreunde, Röstel kann es noch immer nicht fassen.

Jetzt sitzt die sächsische Lehrerin mit ihrem Parteifreund, dem Außenminister, im Salon Bellevue im fünften Stock des Konferenzhotels. Zehn Minuten sprechen die beiden unter vier Augen, von Freundschaft kann keine Rede sein. Fischer wird so laut, dass sein Schreien durch die geschlossene Flügeltür zu hören ist. Es ist genau fünf Minuten vor zwölf, als der Außenminister mit ernster Miene den Raum verlässt. Doch sein Ziel, so kurios es den versammelten Beobachtern auch erscheint, hat er erst einmal erreicht. Röstel bleibt im Amt, im Prinzip tritt sie vom Rücktritt zurück. Die realpolitische Sächsin hat noch Tränen in den Augen, als sie auf dem Balkon die Hamburgerin Radcke vom linken Flügel umarmt. Joschka Fischer, schon lange der heimliche Parteichef, kneift, wieder einmal. Wo war plötzlich der Putsch, den alle hatten kommen sehen? Da musste es sich wohl um ein Versehen handeln.

Joschka Fischers Versuche, seine Partei zu erziehen - notfalls mit dem Rohrstock der veröffentlichten Meinung -, haben eine lange Geschichte. Zuletzt wollte er ihr auf dem Erfurter Parteitag im Frühjahr eine Strukturreform verordnen: weg mit der Trennung von Amt und Mandat, Abschaffung der Doppelspitze. Gerade erst war die rot-grüne Regierung im grünen "Stammland" Hessen abgewählt worden. Und der stärkste Mann hatte dort einen Landesverband in schwächstem Zustand hinterlassen.

Die Folge von Fischers Vorstoß in Erfurt war allerdings eher eine Verschärfung der Krise. In keiner Partei lässt sich der Mittelbau der Funktionäre gern via Medien mitteilen, wie er sich denn zu verhalten habe. Wolfgang Ullmann aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung und Fraktionssprecherin Kerstin Müller fanden für den Unmut über Fischers angeblichen Verstoß gegen grünes Selbstverständnis damals die richtigen Worte - und schon war der Versuch der Parteireform gescheitert.

Diesmal hatte es anders werden sollen. Eigentlich. Joschka Fischer sprach demonstrativ oder diskret mit Exponenten des linken Flügels. Sie sollten eingebunden werden. Reform der Grünen an Häuptern und Strukturen, so die Einsicht, geht nur, wenn alle mitmachen. Und für viele Elemente seines Konzeptes bekam er auch Zustimmung. Diese Art des kommunikativ-integrativen Vorgehens schuf jedoch ein Problem. Je mehr Mitwisser es gibt, umso mehr potentielle Quellen für die Medien tun sich auf. So sickerte immer mehr durch.

Dass dem heimlichen Vorsitzenden die beiden tatsächlichen Parteisprecherinnen eher unheimlich sind, daraus hatte er allerdings schon zuvor keinen Hehl gemacht. Der "Spiegel" hatte die Sache dann zugespitzt und zum Ultimatum gemacht: die oder ich. Erschreckt über das zu erwartende Echo lastet Fischer die Indiskretion, so heißt es, nun seinem "Umfeld" an - also jenen Mitarbeitern und Freunden, die normalerweise ziemlich selbstlos die Ideen ihres Chefs durchstechen. Reinhard Bütikofer war so ein Opfer. Obwohl Fischer - und andere - selbst nicht recht aufgepasst hatten, wurde dem Schwaben das Debakel des Magdeburger Parteitags angelastet, wo die Grünen den berüchtigten "Fünf-Mark-fürs-Benzin"-Beschluss fassten und auf einer reinen Blauhelm-Truppe für Bosnien bestanden. Aus all dem, so schien es, hatte Fischer lernen wollen. Aber irgendwie kam es anders. Die Systematik seines Tuns erwies sich als begrenzt. "Er ist und bleibt halt ein Sponti", seufzt ein bekannter Realo über den Mann, der gleich nach seinem Auftritt vor den Parteigremien wieder auf Reisen ging. Diesmal ist New York angesagt. Vor der Uno will der Außenminister eine lang vorbereitete, große programmatische Rede halten.

Aber noch muss sich der Außenminister mit seiner Basis auseinandersetzen. Denn die Teilnehmer des Parteirats, der am Mittag tagt, sind auf Krawall gebürstet. Bevor die Sitzung beginnt, lässt fast jeder Teilnehmer seine Wut auf Fischer heraus. "Wir haben eine extrem dünne Personaldecke. Darum müssen wir vorsichtig mit unseren Leuten umgehen", sagt die ehemalige Bundesgeschäftsführerin und jetzige Europaabgeordnete Heide Rühle. "Sehr undiplomatisch" findet die Berliner Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig den Außenminister. "Wir brauchen keine feindliche Übernahme, sondern eine sachliche Debatte", erklärt die sachsen-anhaltinische Landessprecherin Undine Kurth.

Der Auslöser des Zoffs, die geplante Ablösung der Parteisprecherinnen, soll bei Beginn der Sitzung des Parteirats nun plötzlich nur erfunden sein. Als Formelkompromiss liegt ein Antrag des Bundesvorstandes auf dem Tisch, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben und den uneffektiv wirkenden Parteirat durch ein Präsidium nach Vorbild der etablierten Parteien zu ersetzen. Die Doppelspitze bleibt.

Es gibt anhaltenden Applaus für die Erklärung von Röstel, dass sie im Amt bleiben werde - offenbar gilt es, Fischer wenigstens auf diesem Weg einen Denkzettel zu verpassen. Der Außenminister versichert, den Rücktritt von Röstel nie gefordert zu haben. Er sei froh, dass sie nicht zurücktreten wolle. Die Gesichter der Teilnehmer bleiben ungläubig. Vorbehalte gegen die Parteistrukturen bestreitet Fischer nicht. Er wisse nicht, ob die Partei mit ihnen den Wechsel von der Oppositions- zur Regierungspartei schaffe, ob sie wieder kampagnenfähig werde. Aber, berichtet er in der geschlossenen Sitzung, er selbst wolle kein Amt in der Partei.

Die Parteiratsmitglieder bleiben dennoch verbittert. Bleich ist Kristin Heyne, die parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. Wortkarg der sonst so kumpelhafte Fraktionschef Rezzo Schlauch. "Ich wünsche nichts zu kommentieren", sagt in scharfem Ton Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Wenigstens nach außen soll alles wieder in Ordnung sein. Nur gemeinsam lasse sich der Weg aus dem Tal der Tränen finden, versichert Röstel. "Und ich werde dazu gehören." Fischer redet die "sehr offene Diskussion" als "bitter notwendig" schön. Strukturelle Reformen der Partei seien dringend geboten, aber "nicht gegen den jetzigen Bundesvorstand". Der Außenminister als Krisenmanager: "An meinem Einsatz wird es nicht fehlen. Ich weiß, was ich mir da zumute." Der Auftritt der beiden Politiker wirkt wie gespielt: "Sollen wir uns mal drücken - ja, ist das o.k.?", sagt Röstel im Blitzlichtgewitter.

Alle sind auf einmal sicher, dass im Hau-Ruck-Verfahren bei den Grünen nichts umzustricken ist. Für die notwendigen Änderungen der Satzung sei doch sonst nie die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit auf einem Parteitag zu bekommen, meint die Berlinerin Renate Künast. "Ist doch logisch." Wenigstens sie, die als Nachfolgerin von Röstel gehandelt worden war, verlässt die Sitzung entspannt: "Ich mache hier Wahlkampf, bin guter Dinge und lasse mich auch von niemandem irgendwo hinziehen, auch nicht in die schlechte Stimmung."

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