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Politik: Gut gebuhlt ist halb gewonnen

DIE WELT FOLGT BUSH

Von Malte Lehming

Sie waren gekommen, um Nähe zu suchen. Seine Nähe. Mit wem spricht er, wem klopft er auf die Schulter, wen nennt er einen Freund? Das waren die Fragen, die die weltwichtigsten Staatschefs auf ihrem Treffen in Evian beschäftigten. Sie wetteiferten um das Wohlwollen des USPräsidenten. Selbst die arabischen Despoten buhlten kräftig mit. Und George W. Bush tat, was Stars gerne tun, um ihren Wert weiter zu steigern: Er machte sich rar. Vorzeitig verließ er die Versammlung. Stars dürfen sich wie Diven benehmen. Doch wie soll man das Verhalten der Zurückgebliebenen nennen: Ist es neuer Realismus oder peinliche Rückgratlosigkeit?

Die USA sind das mächtigste Land der Welt und der Geschichte. Ihr Vorsprung in den Bereichen Militär, Technologie und Wirtschaft ist erdrückend. Seit dem Ende des Sowjetkommunismus gibt es kein Bündnis mehr, das den Einfluss Amerikas begrenzen kann. Regiert wird das Land von Bush. Nach seiner Pfeife wird getanzt. Er ist der mächtigste Mann der Welt. Ginge es nach den Europäern, dürfte es einen mächtigsten Mann der Welt gar nicht geben. Macht gehört stets ausbalanciert, eingebunden, kontrolliert: Diese Erfahrung haben sie mit ihrer eigenen Geschichte gemacht. Ein gütiger Riese, der seine Muskeln zum Wohle aller spielen lässt, kam darin nicht vor. Entweder überfraßen sich die Führer – siehe Napoleon, Stalin, Hitler –, oder die von ihnen errichteten Gebilde zerfielen wie das Römische Reich. Sollte trotzdem ein Mächtigster der Welt existieren, muss er eine Mischung aus Albert Einstein und Albert Schweitzer sein. Bush erinnert weder an den einen noch den anderen.

Wie verhält man sich zu einem unheimlich machtvollen Herrscher, der viele internationale Verträge missachtet und in zwei Jahren zwei Kriege vom Zaun gebrochen hat? Bislang pendeln die Gefühle der Europäer – zwischen Verachtung und Anbiederung, Rebellion und Unterwerfung. Der Wunsch, Bush an die Gurgel zu gehen, paart sich mit dem Zwang, ihm seine Cowboystiefel lecken zu müssen. Besonders augenfällig wurde das Gefühlschaos vor der Irak-Intervention. Das Urteil der meisten Europäer stand fest: Dieser Krieg ist falsch. Doch die Regierungen waren gespalten. Es gab Mitläufer und Verweigerer. Mit dem Ende des Irak-Krieges wurde die Spaltung überwunden. Nun gibt es nur noch Mitläufer. Denn Amerika hatte im Handumdrehen nicht nur einen nahöstlichen Diktator gestürzt, sondern auch einen alteuropäischen Aufstand gegen seine uneingeschränkte Gestaltungsfähigkeit niedergeschlagen. Der Versuch von Frankreich, Russland und Deutschland, sich als Gegengewicht zu den USA zu positionieren, ist gescheitert. Der Gaullismus, die europäische Selbstbehauptung gegen den amerikanischen Hegemon, hat sich als untaugliches Konzept erwiesen.

Was Europas Regierungen bleibt, ist das zum Teil zähneknirschende Sich-fügen in die unabänderlichen Kräfteverhältnisse. Regierungen sind dem Wohl ihres Landes verpflichtet. Deshalb dürfen sie nicht weiter auf Konfrontation zu den USA gehen. Wer einen Kampf führt, den er schon einmal verloren hat und sicher wieder verlieren wird, ist in der Politik ein verantwortungsloser Narr. Außerhalb der Politik freilich sieht das anders aus. Da gelten Begriffe wie Selbstachtung, Recht und Moral. Und da schallt es immer lauter: Ausgerechnet jetzt! Ausgerechnet jetzt, wo die Zweifel an der Logik des Irak-Krieges täglich aufs Neue bestätigt werden, gehen unsere Regierungen auf Schmusekurs zur Bush-Administration. Weder sind Massenvernichtungswaffen gefunden worden, noch konnten bedrohliche Kontakte zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden nachgewiesen werden.

Der Kopf sagt „Kusch!“, das Herz brüllt „Nein“. Diesem Dilemma entkommt Europa nicht. Im Verhältnis zur amerikanischen Hypermacht müssen die Regierungen einen Kurs einschlagen, den ein Großteil ihrer Völker als würdelos empfindet. Gerhard Schröder, der ein gutes Gespür für Stimmungen hat, dürfte diesen Spagat als besonders schmerzhaft empfinden. Er ist eingekeilt zwischen einerseits Habermas und Stammtisch, andererseits Merkel und Staatsräson. Er muss zu Bush eine Nähe suchen, die ihm selbst innerlich zuwider ist. Mitleid hat er dafür nicht verdient. Zu beneiden ist er noch weniger.

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