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Streitbar. Giulio Andreotti soll in viele Affären verstrickt gewesen sein. Foto: dpa

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Politik: Gut und böse in einer Person

Italiens langjähriger Regierungschef Giulio Andreotti stirbt im Alter von 94 Jahren – er gilt als größter Geheimnisträger des Landes.

Rom - Zurück bleiben allzu viele offene Fragen. Und das Schweigen, in das Giulio Andreotti zuletzt wegen seiner zunehmenden Taubheit immer mehr versunken war. Am Montag ist der langjährige italienische Regierungschef im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Rom gestorben. Mehr als vier Jahrzehnte lang verkörperte Giulio Andreotti die Macht der italienischen Christdemokratie. Er stand aber wie kaum ein anderer auch für Italiens Intrigen- und Klientelpolitik, die sich über Jahre hielt und unersetzbar erschien.

Sieben Mal war der gebürtige Römer Ministerpräsident – so häufig wie keiner außer ihm. 23 Ministerposten hat Andreotti bekleidet: Verteidigung, Äußeres, Finanzen, Kultur und anderes. 1946 saß er in der Verfassunggebenden Versammlung, danach ununterbrochen im Parlament. 1991 stieg Andreotti zum Senator auf Lebenszeit auf, ausgerechnet kurz bevor der großen Parteispenden- und Bestechungssumpf „Tangentopoli“ öffentlich wurde.

Andreotti, politisch wendig, fintenreich und undurchschaubar, kungelte mit allen: mit dem Vatikan und mit Bankern genauso wie mit der sizilianischen Mafia (dem Gerichtsurteil dazu entging er nur wegen Verjährung). Im Kalten Krieg wusste er alles über den Aufbau einer dubiosen antikommunistischen Geheimarmee („Gladio“), natürlich auch über so manche zwielichtige Aktivität der Geheimdienste. Als 1973 die italienischen Christdemokraten mit den Kommunisten Enrico Berlinguers zu einer Regierung des „Historischen Kompromisses“ zusammenfanden, da duldete Washington nur Andreotti als Ministerpräsidenten: Der von Terroristen später ermordete Aldo Moro galt als unzuverlässig.

In jenen, noch heute von allzu viel Geheimnis umwaberten italienischen Zeiten waren zahlreiche Politiker in alles mögliche verstrickt. Andreotti wusste das und führte Buch. Sein persönliches Archiv, geheimer als das Geheimarchiv des Vatikans, ist im Laufe der Zeit zu 600 Laufmetern Papier angewachsen. Andreotti nutzte es als Drohmittel gegenüber seinen Widersachern; vielen galt oder gilt die Aktensammlung noch heute als „Sprengkammer der Republik“. Wobei: Manches Geheimnis, so hat Andreotti schon vor Jahren angekündigt, werde er lieber „mit ins Paradies nehmen“.

Als der „Göttliche Julius“ galt Andreotti seinen Freunden, als „Beelzebub“ seinen sozialistischen Gegnern. Beide Bezeichnungen hörte er nicht ungern. Einen ausgeprägten Sinn für Ironie hatte Andreotti sowieso. Und auch wenn er als tiefgläubiger Katholik jeden Morgen die Messe besuchte, hatte er doch eine gefürchtete, bis zum Zynismus scharfe Zunge.

Für „Italiens Eintritt nach Europa“ unterschrieb Andreotti den Vertrag von Maastricht. Mit dem vereinigten Deutschland kam er aber nicht zu Rande. Noch 2001 sagte er: „Ich liebe Deutschland. Deshalb hätte ich gerne immer zwei davon.“ Sein christdemokratisch-politisches Credo hat Andreotti in zwei Aphorismen zusammengefasst, die in Italien längst zu geflügelten Worten geworden sind. „Schlecht über jemanden zu denken“ oder „jemandem Böses zu unterstellen“, pflegte Andreotti zu sagen, „das ist zwar eine Sünde, aber gewöhnlich kommt man ihm damit auf die Schliche.“ Auch sagte er, aus langer politischer Erfahrung natürlich: „Die Macht verschleißt. Den, der sie nicht hat.“ Auch im Lichte dieses Spruchs ist bemerkenswert, welches Alter Andreotti erreicht hat. Paul Kreiner

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