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Politik: Gute Nazis, böse Nazis – bei der Stasi

Berlin - Hinter der Fassade vermeintlich konsequenter Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verbarg sich in der DDR ein hochgradig instrumentelles Spiel: Auf der einen Seite Vorzeigeprozesse mit drastischen Strafen, um sich gegenüber der bundesdeutschen Justiz zu profilieren, auf der anderen Seite Anwerbung belasteter Personen als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi sowie zögerliche oder niedergeschlagene Ermittlungen gegen angesehene DDR-Bürger. So kommt eine neue Studie der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen zum Umgang der DDR-Staatssicherheit mit NS-Tätern zu dem Schluss, dass der Antifaschismus in der DDR nicht primär auf die Ahndung von Verbrechen gerichtet war.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Hinter der Fassade vermeintlich konsequenter Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verbarg sich in der DDR ein hochgradig instrumentelles Spiel: Auf der einen Seite Vorzeigeprozesse mit drastischen Strafen, um sich gegenüber der bundesdeutschen Justiz zu profilieren, auf der anderen Seite Anwerbung belasteter Personen als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi sowie zögerliche oder niedergeschlagene Ermittlungen gegen angesehene DDR-Bürger.

So kommt eine neue Studie der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen zum Umgang der DDR-Staatssicherheit mit NS-Tätern zu dem Schluss, dass der Antifaschismus in der DDR nicht primär auf die Ahndung von Verbrechen gerichtet war. Vielmehr sei es darum gegangen, den Hauptfeind, die Bundesrepublik, zu bekämpfen. Für die Studie, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde, hat Autor Henry Leide zum Teil bislang unerschlossene Aktenbestände aus der MfS-Abteilung IX/11, die das NS-Sonderarchiv verwaltete, ausgewertet. Anhand von 35 Fallstudien zeigt Leide, wie die Stasi nach dieser aus politischen Gründen streng differenzierten Strategie vorging.

Die Anwerbung von NS-Belasteten als Stasi-IM in Ost und West erfolgte „auf der Basis der Wiedergutmachung“ oder mit direkter Erpressung. Der Ertrag war in der Regel dürftig: Statt in die Beziehungsnetze der einstigen Eliten des „Dritten Reiches“ vorzudringen, lieferten die auf Selbstschutz bedachten Angeworbenen meist kleinkarierte Berichte aus dem Lebensalltag. So war das MfS auf den in Sachsen lebenden Josef Settnik aufmerksam geworden, der nach Zeugenaussagen als Angehöriger der „Politischen Abteilung“ in Auschwitz an Selektionen, Vergasungen und Folterungen beteiligt gewesen war. Für die Aufklärung der Vorwürfe tat die Stasi nichts. Sie warb den Mann an, der als IM „Erwin Mohr“ bis 1971 über die katholische Kirche berichtete. Settnik starb unbehelligt 1986.

Belastete Westagenten des MfS spielten dagegen eine größere Rolle. So der ehemalige SS-Obersturmführer Hans Sommer, der 1954 von einem bereits in MfS-Diensten stehenden SD-Kameraden angeworben wird. Die Staatssicherheit erfährt viel über die alten Kameraden und die „Organisation Gehlen“. Dass Sommer 1941 in Paris an der Sprengung von sieben Synagogen beteiligt war, interessiert die Stasi hingegen nicht. Nachdem 1971 der Kontakt zu ihm abgebrochen worden war – er hatte dabei mehr als 180000 Mark verdient –, benutzte die Stasi seine NS-Vita, um seine Tätigkeit für den Sicherheitsapparat der Bundesrepublik anzuprangern.

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