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Politik: Haben Reformer Herz, Frau Künast?

Die grüne Ministerin über SPD-Rebellen, Träume von sozialer Politik, Wirtschaftshilfe für die Schweiz – und ihre diplomatischen Erfahrungen

Frau Künast, kennen Sie persönlich jemandem, dem es besser gehen wird, wenn die Bundesregierung ihr Reformpaket durchbringt?

So kann man die Frage nicht stellen, weil niemand behauptet, dass es einer bestimmten Person dann besser gehen wird. Es geht darum, ein System, das unter ganz anderen Voraussetzungen aufgebaut wurde, zukunftstauglich zu machen. Die Frage lautet nicht, ob Herr X oder Frau Y später einen Euro mehr oder weniger in der Tasche haben…

… aber vielleicht, ob sie einen Arbeitsplatz bekommen?

Ja, genau darum geht es. Wir wollen, dass die Regelungen unseres Sozialsystems nicht die Aufnahme von Erwerbsarbeit behindern. Es geht darum, die sozialen Systeme und den Arbeitsmarkt auf die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts umzustellen, Arbeitsplätze zu schaffen und eine Grundsicherung zu garantieren – das ist heute Gerechtigkeit.

Ist das nicht genau das Problem Ihrer Regierung, dass die Versprechen der Reformpolitik so wenig greifbar sind? Einschnitte drohen ganz real, aber die Leute wissen nicht, was ihnen die Reformen nützen.

Die Einschnitte muss man sich einmal aus ein paar Metern Distanz anschauen. Dann merkt man, dass diese Behauptung schlicht ausblendet, dass unser Sozialstaat so nicht mehr finanzierbar ist. Deshalb bauen wir auf der einen Seite das System des Förderns für den ersten Arbeitsmarkt aus, etwa durch die Verbesserung des Betreuungsschlüssels von Arbeitslosen, das heißt fördern. Erst wenn das steht, kürzen wir an den Leistungen, das heißt fordern. Selbstverwirklichung bedeutet eben auch mehr Selbstverantwortung. Fördern und Fordern. Wir müssen das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ins 21. Jahrhundert übersetzen. Reden wir vom Anspruchsdenken der siebziger Jahre, oder von einem aktivierenden Sozialsystem, das dann eben auch Druck macht? Hier geht es um das Gemeinwohl als Zielbestimmung.

Ist das die positive Botschaft der rotgrünen Regierung für die Bürger?

Wir sind mit sehr negativen Reaktionen konfrontiert. Mit Widerstand gegen jede Veränderung. Ich verstehe die Kritik und die Sorgen zum Teil. Der wichtigste Punkt aber ist, dass wir klarmachen: Wir haben ein Ziel, nämlich die Schaffung und Absicherung von Wohlstand. Das muss in sich gerecht zugehen. Das funktioniert aber nicht, ohne dass wir lieb gewonnene Gewohnheiten aus den reichen Jahren aufgeben.

Die Behauptung, wonach es im Reformpaket der Bundesregierung gerecht zugeht, wird von so vielen Abgeordneten der Regierungsfraktionen bestritten, dass gegenwärtig keine Mehrheit für die Agenda 2010 in Sicht ist.

Das bestätigt nur meine Aussage, dass wir noch einiges erklären müssen. Andererseits: Was an Gegenvorschlägen bisher zu hören war, ist nicht realitätstauglich.

Welche Gegenvorschläge meinen Sie?

Etwa die Debatte über die Vermögensteuer. Rein vom Gefühl her, vom Herzen sage ich auch: Das hört sich gut an. Wer sich das aber genauer anschaut, stellt schnell fest: Der bürokratische Aufwand ist enorm und der Ertrag gering. Allein die Diskussion darüber führt dazu, dass viele mittelständische Unternehmen ihr Geld lieber in die Schweiz bringen, als es im Inland zu investieren. Die Wirtschaftspresse dort feiert das schon.

Heißt das, die Rebellen aus der SPD-Linken um Ottmar Schreiner bringen vor allem die Wirtschaft in der Schweiz voran?

Dieser Vorwurf wird den SPD-Rebellen zwar wehtun. Aber es spricht viel dafür, dass genau dies der Fall ist.

Die Forderung nach einer Vermögensteuer ist auch in den Reihen der Grünen sehr populär.

Das stimmt. Aber wir müssen uns eben fragen: Was bringt dem Staat tatsächlich Geld? Welcher Vorschlag bringt mehr Gerechtigkeit? Es nützt doch nichts, wenn der Vorschlag gut gemeint ist, aber in der Praxis nicht zu Einnahmen führt, sondern dazu, dass die Leute ihr Geld ins Ausland tragen. Politik findet im richtigen Leben statt, nicht unter Laborbedingungen.

Sind die Forderungen der SPD-Linken und der grünen Basis sympathisch, aber unklug?

Wenn man sich die Vorschläge im Detail anguckt, stellt man fest, dass sich vieles davon am Ende überhaupt nicht rechnet. Oder erst so langfristig wirksam wird, dass es uns in den nächsten drei Jahren nicht hilft.

Warum wird dieser Pragmatismus nicht als gerecht empfunden?

Gerechtigkeit hat ja immer auch etwas Emotionales. Deshalb muss man miteinander sprechen und die Politik erklären. Wenn wir beispielsweise sagen, wir wollen, dass auch Freiberufler und Beamte in die Sozialkassen einzahlen, dann ist das eine brillante Idee . . .

Das sieht neuerdings auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch so.

Sie ist nur nicht zu Ende gedacht, weil uns dann Fachleute sofort vorrechnen, dass die Beiträge zwar für ein paar Jahre sinken könnten. Freiberufler und Beamte haben aber eine um einige Jahre höhere Lebenserwartung, und sobald sie nicht mehr nur einzahlen, sondern auch Leistungen aus den Sozialkassen beziehen, müssen die Beiträge wieder steigen. Dann hat man zwar mehr Gerechtigkeit gewonnen und das Solidarsystem auf eine breitere Basis gestellt, aber das Problem nicht gelöst. An solchen Beispielen sieht man, dass Gerechtigkeit nicht immer identisch ist mit dem, was mir die Emotion im ersten Moment sagt.

Eine andere Forderung lautet: Man könnte doch auch mehr Schulden machen.

Für eine Berliner Tageszeitung ein bemerkenswerter Vorschlag. Auch Schulden sind eine Frage der Gerechtigkeit. Wir müssen künftigen Generationen Spielräume erhalten. Das heißt, dass man nicht Haushalte übergibt, die so verschuldet sind, dass man weder einen Meter vorwärts noch rückwärts gehen kann. Wir sind im Augenblick bis in die Kommunen hinein fast bewegungsunfähig. Wir müssen die Kommunen wieder handlungsfähig machen, damit sie zum Beispiel in Bildung investieren können. Insofern ist eine höhere Verschuldung einfach Wahnsinn.

Wie wäre es mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer?

Alle reden darüber, dass der Mensch konsumieren muss, damit sich in der Wirtschaft etwas bewegt. Eine Mehrwertsteuererhöhung würde das genaue Gegenteil bewirken.

Diejenigen, die eine höhere Verschuldung fordern, argumentieren genauso: Lasst den Leuten mehr Geld, das geben sie dann aus, dann springt die Konjunktur an. Und dann wird alles gut.

Die Leute könnten eigentlich losgehen und kaufen. Die privaten Rücklagen sind enorm hoch. Viele sind aber verunsichert, was noch alles auf sie zukommen könnte, und halten deshalb ihr Geld zusammen. Es geht doch auch um mehr als um Geldbeschaffung, es geht darum, dass die sozialen Sicherungssysteme auf lange Sicht funktionsfähig bleiben. Dazu muss umgebaut werden. Geld reinpumpen und alles kann so weitergehen – das ist keine Lösung.

Freut es Sie als Grünen-Politikerin, dass es diesmal nicht Ihre Partei ist, die der eigenen Regierung mit Obstruktion droht?

Ich will nicht übermütig werden. Wir haben auch noch eine ganze Menge an Diskussionen vor uns. Vielleicht haben wir ein bisschen früher angefangen, wichtige Fragen zu debattieren. Schon in unserer Gründungszeit spielten die Zuwanderung, die demographische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf das Sozialsystem eine große Rolle. Schon damals haben wir darüber gestritten, dass man von dem alten Anspruchsdenken weg muss. Damals haben wir Teile dessen, was die SPD nun umtreibt, schon durchlitten.

Wird die Debatte bei den Grünen noch so konfrontativ werden, wie sie gegenwärtig in der SPD abläuft?

Nein, das glaube ich nicht. Das Ziel ist klar. Wir reden bereits über die Details.

Wie weit gehen die Grünen mit, wenn der Bundeskanzler den Kritikern in den eigenen Reihen durch Änderungs-Angebote entgegenkommt, um sein Paket durchzubringen?

Wir werden das gemeinsam zu einer Mehrheit tragen, weil wir an dieser Stelle zeigen wollen, dass wir gestalten können. Dazu gehört auch, dass wir weiterentwickeln, was wir beispielsweise bei den erneuerbaren Energien hingekriegt haben. Nämlich die Frage zu beantworten, wo neue Märkte und damit die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen.

Das Problem, das Sie den Bürgern vermitteln müssen, was gut für sie wäre, die das aber nicht einsehen wollen, haben Sie als Verbraucherministerin erst recht. Sind Sie nicht auf den guten Willen der Bürger angewiesen, damit Ihre Politik Erfolg hat?

Auch, aber nicht nur. Ich habe ja einen ganzen Werkzeugkasten zur Verfügung. Ich bin nicht nur auf den guten Willen der Bürger angewiesen. Wir können Angebote machen. Zum Beispiel Güte- oder Qualitätssiegel einführen. Wir können inzwischen das Nötige tun, wenn eine gesundheitliche Gefahr besteht, seien das Salmonellen oder BSE, und zwar im Bund wie in den Ländern. Bei Finanzdienstleistungen, E-Commerce oder Telekommunikationsdienstleistungen müssen wir erst einmal einen rechtlichen Rahmen setzen. Da geht es erst einmal nicht um Verbraucherverhalten. Die Bürger sollen in dem Maß geschützt sein, das wir bei Haustürgeschäften für selbstverständlich halten. Das nützt auch den Unternehmen. Denn nur so können die seriösen vor den unseriösen Anbietern geschützt werden. Der wirtschaftliche Verbraucherschutz ist für uns ein Grundsatzthema.

Da haben Sie bisher nur mit ihrem Wettern gegen Schnäppchen und ihrer Kritik am Bahn-Chef Schlagzeilen gemacht. Reicht Ihr Werkzeugkasten aus?

Ich glaube, da haben Sie einiges übersehen. Aber es stimmt. Man muss immer mal noch ein neues Werkzeug dazuholen. Außerdem arbeiten wir mit Qualitätswerkzeug, nicht mit dem billigen Schraubenzieher.

Sind Sie dann in Sachen Schnäppchen an billigen, verzogenen Schrauben gescheitert?

Gesellschaftliche Debatten schaffen Bewusstsein. Das Bewusstsein verändert das Verhalten.

Bei den Grünen wird derzeit allerorten über eine Zukunft ohne Joschka Fischer diskutiert…

Mit mir nicht!

Wäre Ihr Parteifreund Jürgen Trittin ein guter Außenminister?

(Prustet) Also… Im Englischen gibt es ein Sprichwort: We cross the bridge when we come to it. Ich sehe aber gar keine Brücke.

Als weit blickende Politikerin sehen Sie doch in die Zukunft und identifizieren schon heute die Probleme von morgen.

Dann kann man ja sagen: Wenn in vielen Jahren nicht mehr Joschka Fischer Außenminister wäre, dann müssen wir Personen als Alternative dastehen haben. Das ist zu schaffen.

Sind die Grünen denn vorbereitet auf einen solchen Führungswechsel?

Wir sind doch mitten drin im Generationenwechsel. Wenn Joschka gehen würde, dann würde man das auch vorbereiten. Aber ich sage noch mal: Ich sehe keine Brücke.

Und vorläufig sammeln Sie diplomatische Erfahrung im EU-Agrarrat und bei der Welthandelsorganisation?

Ich sammle überhaupt nichts. Ich mache meine Arbeit. In diesem Jahr stehen WTO und die Reform der EU-Agrarpolitik ganz oben auf der Agenda.

Das Interview führten Dagmar Dehmer und Hans Monath.

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