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Haft für Rückfalltäter: Länder gegen Bund

Mit Bedenken und teils heftiger Kritik haben die Justizminister zahlreicher Bundesländer auf den Koalitionskompromiss zur Sicherungsverwahrung reagiert. Sie halten das Konzept von Union und FDP für widersprüchlich und rechtlich angreifbar.

Berlin - Mit Bedenken und teils heftiger Kritik haben die Justizminister zahlreicher Bundesländer auf den Koalitionskompromiss zur Sicherungsverwahrung reagiert. Neben Zweifeln am verfassungsrechtlichen Bestand der Neuregelung äußerten sie vor allem die Sorge, dass damit das Problem von Gewalttätern, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, nicht gelöst werde.

Dem Kompromiss zufolge soll die bisherige Praxis nachträglich verhängter Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter, wie sie vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof beanstandet worden war, abgeschafft werden. Gleichzeitig soll es eine neue therapieorientierte Form der Unterbringung aber ermöglichen, bereits verurteilte „psychisch gestörte Gewalttäter“ nach der Haft weiterhin in geschlossenen Einrichtungen festzuhalten.

Die heftigste Kritik an der geplanten Neuregelung kam aus Nordrhein-Westfalen. Weil sich Union und FDP in Berlin nicht einigen könnten, hätten sie „sich um eine verfassungsrechtlich tragfähige Regelung für die sogenannten Altfälle herumgedrückt“, sagte Justizminister Thomas Kutschaty (SPD). Stattdessen werde „auf Druck der Union ein fragwürdiges Konstrukt für sogenannte psychisch gestörte Straftäter aufgenommen, von dem nicht einmal die Bundesjustizministerin sagen kann, ob es einer gerichtlichen Überprüfung standhält“.

Auch der Vorsitzende der Justizministerkonferenz der Länder, Hamburgs Justizsenator Till Steffen, kritisierte die Eckpunkte. Der Vorschlag sei „in großem Maße in sich widersprüchlich, weil er sich zwischen den Bereichen Strafrecht, also Bundesrecht, und Gefahrenabwehr, für die die Länder zuständig sind, hin und her bewegt“, sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel. „Die Bundesregierung verheddert sich dabei in den rechtlichen Rahmenbedingungen.“ Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) sprach von einer „rechtlichen Gratwanderung“. Und Schleswig-Holsteins parteiloser Justizminister Emil Schmalfuß sagte, es gebe das Risiko, mit der Regelung Schiffbruch zu erleiden und „womöglich viel Geld in dann nutzlose Einrichtungen für die Therapie-Unterbringung gesteckt zu haben“.

„Klärungsbedarf“ meldeten am Freitag fast alle Justizminister an. So stellte Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) infrage, ob die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ausreiche, um Freiheitsentzug zu rechtfertigen. Es fehle eine Definition, was unter „psychisch gestörten“ Gewalttätern zu verstehen sei, sagte sie dem Tagesspiegel. Auch müsse der Bund „klar beschreiben, wie er sich eine ,geschlossene Einrichtung‘ vorstellt, die nicht Justizvollzugsanstalt und auch nicht psychiatrische Anstalt ist, und in der dieser Personenkreis unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden soll“.

Nach Einschätzung des Tübinger Rechtswissenschaftlers Jörg Kinzig können die Regierungspläne kaum verhindern, dass man Gewalttäter entlassen müsse. Er gehe davon aus, dass die Mehrheit der sogenannten Altfälle von mindestens 80 Gewalttätern trotz der Neuregelung auf freien Fuß kommen werde. Die Mehrheit der Altfälle sei weder psychisch krank noch psychisch gestört, sagte der ehemalige Bundesrichter und Linken-Politiker Wolfgang Neskovic. „Diese Straftäter darf man auch nicht zu Gestörten erklären, nur um sie wegsperren zu können. Das ging zwar in der Sowjetunion, nicht aber im Rechtsstaat.“ Der Kompromiss sei „eine Nullnummer“ und werde der Regierung „bald um die Ohren fliegen“, sagte Neskovic.

Auch die Grünen nannten die Pläne eine „Mogelpackung“. Die SPD kündigte an, sie mitzutragen. Wenn der Gesetzentwurf halte, was die Minister angekündigt hätten, werde die SPD ihn „konstruktiv begleiten“, sagte Fraktionsvize Olaf Scholz der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

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