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UN Hosts International Aid Conference On Haiti

© AFP

Haiti-Geberkonferenz: Das Beben wirkt nach

Zweieinhalb Monate nach dem Erdbeben in Haiti, das Schätzungen zufolge 220.000 bis 300.000 Menschen den Tod brachte, berieten am Mittwoch in New York Vertreter der Weltgemeinschaft, wie viel Geld sie als Hilfe zur Verfügung stellen wollen. Und die Spendenbereitschaft war groß: Schon innerhalb der ersten Stunde sammelten die Vereinten Nationen doppelt so viel Geld wie erhofft ein.

Zweieinhalb Monate nach dem Erdbeben in Haiti, das Schätzungen zufolge 220.000 bis 300.000 Menschen den Tod brachte, berieten am Mittwoch in New York Vertreter der Weltgemeinschaft, wie viel Geld sie als Hilfe zur Verfügung stellen wollen. Und die Spendenbereitschaft war groß: Schon innerhalb der ersten Stunde sammelten die Vereinten Nationen doppelt so viel Geld wie erhofft ein. Von den mehr als 140 teilnehmenden Staaten hatten 16 Nationen und Institutionen bereits 7,81 Milliarden Dollar (5,8 Milliarden Euro) zugesagt. Die Gastgeber UN und USA hatten 3,9 Milliarden Dollar zum Ziel erklärt, diese Summe werde für den Wiederaufbau des Landes in den nächsten 18 Monaten gebraucht. Langfristig, gerechnet wird mit etwa zehn Jahren, seien 11,5 Milliarden Dollar nötig.

Drei Viertel des Geldes kamen von drei großen Spendern. US-Außenministerin Hillary Clinton sagte dem Land 1,15 Milliarden Dollar aus Washington zu. Für eine große Überraschung sorgte Venezuela, das fast doppelt so viel versprach: Fast 2,12 Milliarden Dollar will Caracas spenden, wenn auch knapp die Hälfte davon über zehn Jahre verteilt. Übertroffen wurde Venezuela von der Interamerikanische Entwicklungsbank: Die IDB will 2,2 Milliarden Dollar geben. Die Europäische Union stellt Haiti mehr als 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung, wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte. Für Deutschland weist die EU einen Anteil von 39,4 Millionen Euro aus. Im Redemanuskript des deutschen UN-Botschafters Martin Ney hieß es allerdings, Deutschland stelle für den langfristigen Wiederaufbau 55,2 Millionen Dollar Hilfe für den langfristigen Wiederaufbau bereit.

Die Helfer in Haiti planen inzwischen längerfristige Projekte – aber sie merken, wie schwierig es ist, in einem Land voranzukommen, in dem es praktisch keine offiziellen Strukturen gibt. Simon Gelzenleuchter ist seit Ende Januar in Port-au- Prince. Der Koordinator der Ärztehilfsorganisation Humedica und ein Teil seines Teams wohnen noch immer in einem Klassenzimmer der Quisquea-Schule, er schläft „irgendwo in der Gegend“, flüchtet sich nur in Regennächten unters Vordach. Die Preise für Häuser, die noch nutzbar und sicher wären, sind in die Höhe geschossen. „Von zwei-, dreitausend Euro im Monat bis – ach, ich kann gar keine Obergrenze nennen“, sagt Gelzenleuchter am Telefon. Viele Verletzte haben die inzwischen 83 Helfer seit Januar versorgen können, einige Patienten der ersten Tage kommen noch zur ambulanten Nachsorge ins Hospital Espoir, das Krankenhaus der Hoffnung. Aber weitgehend ist Alltag eingekehrt. Auch die haitianischen Ärzte und Schwestern haben ihren ersten Schock überwunden und arbeiten wieder. Anfragen auf Unterstützung bekommt Humedica viele. Aber oft sagen sie ab. „Man muss schon sehen, ob etwas überhaupt praktikabel ist“, sagt Gelzenleuchter. Inzwischen laufe die Koordination über die Weltgesundheitsorganisation recht gut.

Deutschland gibt 39,4 Millionen Euro

Mit bangem Blick schaut die Kindernothilfe nach New York. Sie hofft, dass zu dem bilateralen Schuldenerlass ein multinationaler durch den Weltwährungsfonds (IWF) kommt. „Der IWF hatte am Anfang schnell versprochen, Schulden zu erlassen, aber jetzt rudert er immer weiter zurück“, ärgert sich Sprecher Sascha Decker in Duisburg. „Die Politik des IWF ist ein Stolperstein. Die Konferenz ist wirklich wichtig für die Zukunft Haitis.“ Wo sollen, wo wollen die Menschen leben? Dafür ist ein mit den Haitianern abgestimmtes Konzept nötig. Die Zahl der Obdachlosen wird auf eine Million geschätzt. Die konkrete Planung „wird eine Zerreißprobe“, glaubt Decker. Da schwingt Misstrauen gegen den international erarbeiteten Masterplan für die Geberkonferenz mit.

Er weiß wie sein Kollege Jürgen Schübelin, der gerade wieder in Port-au-Prince ist, dass die Menschen so schnell wie möglich aus den Übergangslagern heraus müssen. Schübelin ackert von früh um fünf bis Mitternacht. Er sieht die Lager mit Sorge. „Schluss mit den Verteilaktionen“, schimpft er. Die raubten den Menschen ihren Lebensmut. Nötig seien Mittel zur Finanzierung von bezahlten Arbeitsprogrammen, die Menschen müssten „so viel Geld in die Hand bekommen, dass sie lokale Produkte kaufen und so die eigene Landwirtschaft fördern. Es gibt die Sachen ja hier.“ Die Hilfe, auch medizinische, dürfe nicht mehr gratis sein. Die Lage müsse sich normalisieren. Er hofft, dass die internationale Gemeinschaft erkennt, dass „die Haitianer selbst das Zepter in die Hand nehmen müssen“.

Die Kindernothilfe kümmert sich in zehn Zentren um 4300 Kinder, allein 165 sind es im Slum Wharf Jeremie am Hafen, wo auch die zehnjährige Sklavin Joanne und ihre Schwester Michelle-Ange leben. Hier haben Schübelins Leute mit Pastor Luckner Guervil die einsturzgefährdete Kirche und die Schule abgerissen und ein neues Zentrum errichtet. Schübelins Stimme schwankt zwischen Trauer und Stolz: „Das Beben hat neue Restavek-Kinder produziert.“ Aber mit der intensiven Arbeit in Jeremie haben sie auch eine psychologische Veränderung bei den Familien erreicht, in denen die Kindersklaven leben. In europäischen Ohren klingt es wie Hohn, für die Kinder ist es das einzige Fenster in die Zukunft: Sie dürfen sich die fünf Stunden im Kinderzentrum mit Unterricht durch harte Arbeit und noch früheres Aufstehen „erkaufen“.
Im Moment bieten die Mitarbeiter der Kindernothilfe 2500 dieser Kindersklaven ein kleines bisschen Leben. (mit dpa)

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