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Mirlande Manigat gilt als Favoritin der Wahl.

© REUTERS

Haiti: Wahlen in Zeiten der Cholera

Erdbeben, Wirbelstürme, Cholera - Haiti kommt nicht zur Ruhe. Am Sonntag sind Wahlen. Ein neuer Präsident soll dem Land Stabilität bringen.

Seit drei Tagen schon kommt Aude Ebry zur Registerstelle in Petionville, der Oberstadt von Port-au-Prince. Die Schlange ist immer so lang, dass die 27-jährige Verkäuferin nach einiger Wartezeit entmutigt von dannen zieht. Aude will einen neuen Personalausweis beantragen, den alten hat sie in den Wirren des schweren Erdbebens im Januar verloren. Das Dokument ist Voraussetzung für die Teilnahme an der Wahl am Sonntag.

1,3 Millionen Haitianer wurden bei dem Beben obdachlos, der Großteil lebt noch immer in Zeltstädten. Danach zogen Wirbelstürme über das Land, jetzt ist die Cholera ausgebrochen, an der inzwischen rund 1200 Menschen starben und mehr als 12 000 erkrankten. Die Epidemie ist nicht unter Kontrolle. Ohne stärkeren Einsatz der internationalen Gemeinschaft könnten bis zu 400 000 Menschen in Haiti an der Cholera erkranken, warnen die Vereinten Nationen. Inmitten des Chaos sollen jetzt rund 4,6 Millionen Wahlberechtigte einen neuen Präsidenten und neue Abgeordnete wählen.

Unterstellungen der Regierung, die Cholera sei durch nepalesische Blauhelme eingeschleppt worden, sorgten in den vergangenen Tagen für gewalttätige Proteste gegen die UN-Truppen und Hilfsorganisationen. Sie sind nach der Ansicht von UN-Diplomaten politisch motiviert. Ein altbekanntes Spiel: Je weniger Menschen aus Angst vor Ausschreitungen zur Wahl gehen, desto größer ist der Spielraum für Manipulationen. Die Verlockung, politische Differenzen wieder einmal mit Waffengewalt auszutragen, ist groß. Immerhin wird die nächste Regierung zehn Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe verwalten, die die internationale Gemeinschaft zugesagt hat.

18 Kandidaten bewerben sich um die Präsidentschaft. Als Favoritin geht die 70-jährige Mirlande Manigat ins Rennen. Dass sie allerdings die für den Wahlsieg in der ersten Runde nötige absolute Mehrheit erhält, gilt als unwahrscheinlich. Haiti ist ein Land der Clans und der Instabilität.

Wenn Präsident Rene Preval im Januar seinem Nachfolger die Amtsschärpe umlegt, wird dies erst die zweite, reguläre Amtsübergabe seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990 sein. Ginge es nach ihm, würde er am liebsten Jude Celestin zu seinem Nachfolger machen. Der ehemalige Präsident der staatlichen Baubehörde ist mit Prevals Tochter verbandelt, seine Gegner halten ihn für eine korrupte Marionette Prevals, der sich durch sein zögerliches Verhalten bei den diversen Katastrophen unbeliebt gemacht hat.

Mit Plakaten in grellen Farben und verheißungsvollen, kreolischen Slogans werben die Kandidaten um die Stimmen der Wähler, die seit Januar unter noch prekäreren Bedingungen leben als vorher schon. Ohne Strom, die meisten ohne fließendes Wasser, inmitten von Trümmern und Zeltlagern, umgeben von Notlazaretten für die Cholerakranken. Haben sie einen Kopf für den Wahlkampf? Aude lächelt. „Ich weiß nicht, ob und wen ich wählen werde, es ändert sich ja doch nichts“, sagt sie resigniert.

Die internationale Gemeinschaft sieht das anders. Sie hofft auf eine hohe Wahlbeteiligung und darauf, dass Preval einen aktiveren Nachfolger bekommt, mit dem das Wiederaufbauprogramm umgesetzt werden kann. „Diese Wahlen werden sicher nicht perfekt, aber sie werden besser als die von 2005, die wiederum besser waren als die im Jahr 2000“, sagt der UN-Repräsentant in Haiti, Edmond Mulet.

Die Kandidaten wettern fast unisono gegen die ausländischen „Besatzer“. Der Großteil der Bevölkerung zeigt aber wenig Fremdenfeindlichkeit. „Die Einzigen, die sich um uns kümmern, sind die ausländischen Hilfsorganisationen“, sagt Bernadette Alexandre, die im Vorort Carrefour mit 22 000 weiteren Obdachlosen im Flüchtlingslager Grace Village lebt. „Von der Regierung ist hier noch nie jemand aufgetaucht. Nur jetzt kommen die Kandidaten und machen große Versprechungen“, sagt die 41-jährige Lehrerin.

Haiti hängt seit 20 Jahren am Tropf ausländischer Hilfe, eine Abhängigkeit, die durch das Beben noch verstärkt wurde. Die versprochenen zehn Milliarden – von denen freilich erst 800 Millionen ausgezahlt wurden – wecken Begehrlichkeiten. Haiti gehört zu den korruptesten Ländern der Welt. Der Staat behindere den Wiederaufbau, klagen die Nichtregierungsorganisationen. Die Ausländer hätten Haiti in eine „Republik der Nichtregierungsorganisationen“ verwandelt, erwidert die Regierungsseite.

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