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Bundespräsident Joachim Gauck während seiner Rede am 1. September in Danzig.

© dpa

Halbzeit als Bundespräsident: Joachim Gauck nimmt sich die Freiheit

Diplomatisch tritt Bundespräsident Joachim Gauck nicht immer auf, aber die Bürger haben wieder ein Staatsoberhaupt, auf das sie stolz sind. Zur Halbzeit seiner ersten Amtsperiode lässt sich sagen: Es waren gute zweieinhalb Jahre. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Zweieinhalb Jahre ist Joachim Gauck am heutigen Donnerstag Hausherr im Schloss Bellevue. Das ist erst die Hälfte der fünfjährigen Amtszeit eines Bundespräsidenten, aber die Spanne war lang genug, um nicht nur Akzente zu setzen, sondern auch, um deutlich zu machen, dass die Bundesrepublik Deutschland in Gauck das politischste Staatsoberhaupt seit langem hat.

Als Gegenpol zu einer Bundeskanzlerin, deren ganzer Rede- und Aktionsstil eher von Zurückhaltung und abtastender Vorsicht bestimmt wird, ist der manchmal geradezu spontan-explosive, und eigentlich immer ziemlich deutliche Bundespräsident durchaus eine Bereicherung. Die Gewichtsverteilung ist in der Verfassung so nicht unbedingt angelegt, aber im konkreten Fall – einer Einlassung Gaucks zu rechtsradikalen Politikern – haben Deutschlands oberste Richter dem höchsten Repräsentanten dieses Staates zugebilligt: Er dürfe „grundsätzlich selbst“ entscheiden, wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfülle. Joachim Gauck hatte vor Berliner Schülern gefordert, man müsse rechtsradikalen „Spinnern“ entgegen treten, die NPD fühlte sich von dieser Formulierung betroffen.

Was die Karlsruher Richter im Einzelfall befanden, darf als ihre Handreichung zur Arbeit des Bundespräsidenten allgemein durchgehen. Der protestantische Pfarrer aus der ehemaligen DDR hat den Begriff der Freiheit zum bestimmenden seiner politischen Arbeit gemacht, und da gehört dann auch immer Gerechtigkeit dazu, auch Schamgefühl angesichts deutschen Versagens und deutscher Verbrechen. Wie er in Griechenland in Lyngiades und Ioannina der 1700 Opfer nazideutscher Gräueltaten gedachte, wie er im italienischen Sant’ Anna an die Toten eines von der SS angerichteten Massakers erinnerte, hat in beiden Ländern tiefen Eindruck gemacht. Gauck muss sich nicht vorwerfen lassen, er reise ins Ausland, um deutsche Schuld anzuprangern. Gerade hat er vor dem Juristentag in Hannover den lustlosen, geradezu vertuschenden Umgang der deutschen Justiz mit den Untaten der Nazizeit angeprangert.

Die größte Gefahr ist sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein

Um Freiheit und Menschenrechte ging es auch, als er bei einem Staatsbesuch in der Türkei dem damaligen Regierungschef Recep Erdogan die Meinung zur Einschränkung von Bürgerrechten sagte, und erneut vor wenigen Tagen in Danzig, als er im Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit Blick auf Russland mahnte: „Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern.“ Dass Deutschland sich heute angesichts des Unrechts in der Welt nicht vor seiner Verantwortung wegducken dürfe, ist ein anderes, immer wieder kehrendes Element in Gaucks Reden, zuerst in München bei der Sicherheitskonferenz.

Diplomatisch mag manches in seinen Reden nicht gewesen sein, aber es trug zur Festigung seines Ansehens vor allem in Deutschland bei. Die Bürger haben endlich wieder ein Staatsoberhaupt, auf das sie stolz sind. Die größte Gefahr für diesen Bundespräsidenten ist denn auch weniger seine ungeschnörkelte Direktheit als sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das im Amt noch gewachsen ist. Vielleicht hilft dem Theologen Gauck ein gelegentlicher Blick in die Bibel bei der eigenen Erdung.

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