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Hamburger Schulreform: „Scheitern wäre ein herber Rückschlag“

Die Hamburger Schulsenatorin Goetsch verteidigt das schwarz-grüne Reformprojekt der Primarschule.

Ihre Schulreform in Hamburg ist heftig umstritten, am Sonntag steht ein Referendum darüber an. Haben Sie bei der Entwicklung der Reform Fehler begangen?

Konzeptionell würde ich sagen: nein. Was wir aber unterschätzt und im vergangenen Jahr nicht genügend kommuniziert haben, war die Frage des Elternwahlrechts – das jetzt erhalten bleibt – und die emotionale Bedeutung dieses Punkts.

War die Auseinandersetzung mit der Elterninitiative „Wir wollen lernen“ fair?

Es war bedauerlich, dass von der Volksinitiative durch unrichtige Behauptungen immer wieder Ängste geschürt und Verunsicherung betrieben wurde. Nur ein Beispiel dafür ist die Falschinformation, dass es angeblich keine Klassenlehrer mehr geben soll.

Ministerkollegen von CDU und CSU haben zuletzt die Schulreformpläne in Hamburg scharf getadelt. Was entgegnen Sie Ihren Fachkollegen?

Als stellvertretende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) hat mich das doch sehr befremdet. Die Kritik hatte nichts mit genauer Kenntnis unserer Schulreform zu tun, zumal wir hier in Hamburg neben der Struktur die pädagogischen Konzepte umsetzen wollen, die die meisten Länder im Konsens in der KMK fordern.

Bundesweit einmalig haben Sie für die Schulreform einen Pakt mit allen Parteien in der Bürgerschaft hinbekommen. Trotzdem zeichnet sich für Sonntag eine enge Entscheidung ab. Wie erklärt sich das?

Warten wir mal ab, wie groß am Ende die Beteiligung sein wird. Wir bleiben zuversichtlich. Trotzdem kommt es jetzt in der Endphase tatsächlich noch einmal darauf an, so viele Wahlberechtigte wie möglich zu mobilisieren. Ich hoffe, dass auch ältere oder kinderlose Bürgerinnen und Bürger das Thema wichtig finden, denn unterm Strich geht es um die Zukunftsfähigkeit der Stadt.

Ist der Tag der Volksentscheidung ein Tag wie jeder andere, oder welche politische Bedeutung ist dem Ausgang der Abstimmung beizumessen?

Ein Scheitern wäre ein herber Rückschlag für Hamburgs Schulen und Schüler. Aber es wäre auch ein schlechtes Signal in die bundesweite Bildungslandschaft, denn man würde einmal mehr eine Chance auslassen, den Anschluss an Europa zu schaffen.

Setzen sich die Reformgegner durch, kann der Senat dann den politischen Alltag so weiter bestreiten, als sei nichts passiert, oder hätte das Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Senats – mithin auf die schwarz-grüne Koalition?

Schwarz-Grün hat in dieser Sachfrage keinen Streit. Es ist keine Bürgerschaftswahl, keine Personenwahl. Demnach müssten in der Schweiz bei erheblich mehr Volksbefragungen ständig Koalitionen zerbrechen. Ich will aber nicht abstreiten, dass die Schuldebatte im Koalitionsvertrag ein wichtiges Projekt darstellt. An allen weiteren derzeit kursierenden Spekulationen beteilige ich mich nicht.

Schließen Sie persönliche Konsequenzen also aus?

Es geht um das Thema Schule und die Zukunftsgestaltung unserer Kinder und nicht um meine Person. Ich trage eine Verantwortung und werde nicht so einfach hinwerfen.

In Hamburg ist noch nie so viel über Schule gesprochen worden. Das kann einer Schulsenatorin doch nur recht sein, oder?

In dieser Intensität ist das tatsächlich neu. Aber schließlich geht es um das Thema Bildung und die Zukunft der jetzigen und der folgenden Generationen. Da ist es nur gut, wenn sich jeder damit auseinandersetzt.

In Zeiten knapper Kassen nimmt Hamburg im Schulbereich so viel Geld wie sonst nirgendwo in die Hand. Tickt die Schuldenuhr in der Elbmetropole anders?

Haushaltsgestaltung ist auch immer eine Frage der Schwerpunktsetzung. Zu kleineren Klassen, der Ganztagsschule, individualisierter Förderung und einer Fortbildungsoffensive haben wir uns bereits 2009/2010 mit entsprechenden finanziellen Investitionen bekannt. Aktuell halten wir hier nur Kurs, denn all das Geld ist sinnvoll angelegt in die Lebens- und beruflichen Perspektiven.

Hauptstreitpunkt rund um die Schulreform ist die Einführung der Primarschule, von der Sie sagen, es handele sich mitnichten um eine sechsjährige Grundschule.

Viele sprechen irrtümlich von einer Verlängerung der Grundschulzeit, dabei ist das längere gemeinsame Lernen speziell in den Klassen vier bis sechs eine Optimierung der Unterrichtsqualität, weil Fachlehrer der weitergehenden Schulen in den Primarschulen zum Einsatz kommen. Es ist eine Kombination, die doppelt greift und fruchtet: Leistungsstarke Kinder bekommen dadurch die nötige Aufmerksamkeit, genau wie zunächst noch leistungsschwächeren Kindern wertvolle Brücken gebaut werden.

Bildungsforscher unterstützen Ihre Pläne etwa in dem Maß, wie andere Experten diese kritisieren. Sorgt das nun für Aufklärung oder doch eher für Verwirrung?

Es bringt wohl tatsächlich nicht so viel, uns gegenseitig die Bildungsstudien um die Ohren zu hauen. Nicht die Herkunft, sondern die Leistung wird immer in den Vordergrund gerückt. Der Begriff Längeres gemeinsames Lernen ist ja nicht nur eine Formel oder Floskel, er wird in Hamburg für eine neue Lernkultur und neue Unterrichtsqualität stehen.

Das Gespräch führte Dieter Hanisch.

Christa Goetsch (57) ist seit Mai 2008 Schulsenatorin in Hamburg. Die Grünen- Politikerin arbeitete 22 Jahre lang als Lehrerin, bis sie 2002 Fraktionschefin in der Bürgerschaft wurde.

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