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Klare Kante. Olaf Scholz wird in Berlin auch für die höchsten Bundesämter gehandelt. Viele trauen ihm Großes zu. Und er sich sowieso.

© dpa

Hamburgs Erster Bürgermeister: Der Hansehart

Daran muss er sich erst einmal selbst gewöhnen. Dass ein Olaf Scholz beliebt sein kann. In Hamburg stehen sie nach den Chaostagen fest zu ihrem Ersten Bürgermeister. Zweifel? Keine Spur. Der SPD-Politiker wirkt plötzlich wie angekommen. Man darf ihm bloß nicht mit Gefühlen kommen.

Er hat den Schlips weggelegt und seinen weißen Hemdkragen geöffnet. Olaf Scholz sitzt auf einem Lederstuhl in seinem Büro im Hamburger Rathaus, die Beine übereinandergeschlagen, und sieht sehr entspannt aus, mit sich im Reinen. Stimmt auch, sagt er.

Gerade ist der Erste Bürgermeister aus dem überfüllten Sitzungssaal 151 im Rathaus zurückgekehrt, in dem er Journalisten zwei Stunden lang sehr unterhaltsam ein ziemlich kompliziertes Thema erklärt hat. Die Stadt will ihr Stromnetz für 650 Millionen Euro zurückkaufen. Scholz war wegen des finanziellen Risikos gegen den Kauf, aber an einen Volksentscheid gebunden. Ein Verlierer will er jedoch nicht sein. Milde lächelnd sagt er: „Wir wollen nicht beweisen, dass wir Recht hatten, sondern Gewinne machen.“

Hamburg, war da nicht noch was?

Demonstrationen, Straßenschlachten, Verletzte, Schuldzuweisungen und Jugendliche, die sich mit Klobürsten bewaffnen. Der Kampf um die Rote Flora hatte vorm Jahreswechsel seinen Höhepunkt, niemand weiß, ob dauerhaft Ruhe einkehren wird. Am Wochenende demonstrierten wieder tausende Menschen für ein generelles Verbot der Gefahrengebiete. Auch wenn es weitgehend friedlich blieb, fragt sich die halbe Republik spätestens, seit die amerikanische Botschaft eine Reisewarnung für Hamburg herausgegeben hatte, was da im Norden wohl los ist.

Es könnte ganz nach oben gehen

Und welche Rolle der Erste Bürgermeister in dem Konflikt spielt. Scholz war, nachdem er im Februar 2011 sensationelle 48,4 Prozent für die SPD geholt hatte, die absolute Mehrheit, für alle Bundesämter gehandelt worden. Selbst für das Bundeskanzleramt. Glänzende Karriereaussichten. Niemand in der SPD zweifelte daran, dass Scholz für alle Führungsämter bereit wäre. Und er schon gar nicht.

Steht das gerade alles auf dem Spiel, seine ganzen beruflichen Hoffnungen?

Olaf Scholz, der gestandene Bundespolitiker, ehemals Generalsekretär und Bundesminister für Arbeit und Soziales, Erfinder der Kurzarbeit, schien geschrumpft auf den kleinen Ersten Bürgermeister einer Stadt, die ihre Problemchen nicht in den Griff bekommt.

Diesen Eindruck will er unbedingt vermeiden. Ende der Woche macht die SPD ihren Europaparteitag in Berlin. Scholz hasst es, zu solchen Terminen mit schlechter Presse anreisen zu müssen und nicht als Bundespolitiker mit Einfluss wahrgenommen zu werden.

Doch Scholz sieht hier in seinem Büro trotz aller Ereignisse aus wie einer, der angekommen ist. Er spricht ruhig, in kurzen Sätzen, er findet, er habe in den letzten Wochen alles richtig gemacht. Zweifel? Keine Spur!

Schlechter Schlaf? Niemals

Einem ehemaligen Ministerpräsidenten hat er mal erzählt, dass er stolz darauf sei, wegen Politik noch nie schlecht geschlafen zu haben. Olaf Scholz, seit seinem 17. Lebensjahr SPD-Mitglied, 55 Jahre alt, kann ein charmanter, schlagfertiger und sehr ironischer Erzähler sein, im kleinen Kreis, unter Menschen, denen er vertraut. Er gestikuliert dann viel und ausladend. Öffentlich macht er das nie, die Hände liegen da meist verschränkt auf dem Tisch, nur ein Daumen rotiert. Manchmal lacht er mitten im Satz auf, weil er seinen eigenen Witz super findet. Dann knautscht sich sein Gesicht zusammen, was wirklich lustig aussieht.

Gefühle? Das Lächeln erstarrt, die Augenbraue zuckt nach oben

In den vergangenen Wochen musste Olaf Scholz fürchten, dass er als Bürgermeister seine selbst gelegte Messlatte unter großem Getöse zu Boden reißen könnte. „Hamburg muss ordentlich regiert werden“, hatte er im Wahlkampf bei jeder Gelegenheit erklärt. Und damit, da sind sich die Meinungsforscher einig, die absolute Mehrheit gewonnen. Und jetzt das: Straßenschlachten zwischen Linken und Polizei, Schlagzeilen vom Roten Sheriff, Berichte über sein angebliches Trauma von 2001. Damals konnte der Rechtspopulist Schill aus dem Stand fast 20 Prozent der Stimmen einfahren, weil die SPD zu spät bemerkte, dass man das Thema Innere Sicherheit vernachlässigt hatte. Scholz wurde kurz vor der Wahl noch als Innensenator eingesetzt, verfügte eine harte Linie bis hin zum Brechmitteleinsatz. Vergeblich. Die SPD wurde abgewählt.

Das Verhältnis zu Merkel: solide

Der Spagat zwischen Hamburg und Berlin scheint ihm, der zu Generalsekretärszeiten noch als konturloser Kanzlerhelfer und „Scholzomat“ belächelt worden war, gut zu gelingen. Nach der Bundestagswahl war er bis in die kleinsten Details in die Verhandlungen um den Koalitionsvertrag eingebunden. Selbst Unionspolitiker loben ihn als einen ausgezeichneten Fachmann in allen relevanten Sachthemen: Arbeit, Rente, Soziales. Bis heute hat er ein solides Verhältnis zur Kanzlerin. Er stellt an sich den Anspruch, exemplarische Politik zu machen, Politik, die das Große und Ganze denkt und das ganze Land betrifft.

Trotzdem gehörte Olaf Scholz bundesweit nie zu den geliebten Genossen, maximal zu den respektierten. Beim letzten Parteitag hat er, der einzige Sozialdemokrat mit absoluter Mehrheit im Land, klägliche 67 Prozent bei der Vizewahl bekommen. Vielleicht liegt das auch daran, dass Scholz sich weigert, über Emotionen zu sprechen. Fragt man ihn doch danach, geht er auf Distanz. Eine Augenbraue zuckt nach oben, das Lächeln erstarrt, und Scholz fährt sich in den Kontrollmodus. Über Gefühle redet er nicht, weil sie Angriffsflächen bieten. Scholz ist ein Mensch, der permanent sein eigenes Tun und Reden analysiert, wie ein Computerprogramm, das auf der Suche nach Fehlern ist. Bis heute hält sich die Wahrnehmung, es fehlten ihm Ausstrahlung, Charisma, Herzlichkeit. Wenn Scholz mal wieder schlecht gelaunt ist, frotzeln seine Genossen: „Na Olaf, biste heute wieder mal so hanseatisch drauf.“

Die Zahlen konnte er kaum glauben

Die Anspannung der vergangenen Wochen, die ihn und seine Mitarbeiter gefangen hatte, ist Scholz nicht anzumerken. Das hat mit ein paar Zahlen zu tun, die der NDR und das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap veröffentlichten. Diese erste Umfrage nach den Hamburger Chaostagen haben aus einem mit der Situation still hadernden Scholz einen, wie ein Mitarbeiter sagt, „sehr bewegten und nie so erleichtert aussehenden“ Mann gemacht. 69 Prozent der Hamburger würden ihn trotz der Ereignisse erneut wählen. Er konnte es zunächst selbst nicht glauben, es betätigt auch sein Ego.

Ein Genosse unkt: Jetzt glaubt Olaf noch, er könnte übers Wasser gehen

Ein stolzes Ergebnis, zumal sein Herausforderer Dietrich Wersich, CDU-Fraktionschef, nur auf 13 Prozent kommt. Die absolute Mehrheit ist zunächst passé, mehr als 42 Prozent der Hamburger stehen nach wie hinter der SPD. Scholz ist noch eine Zahl wichtig: 57 Prozent finden die umstrittenen Gefahrenzonen, in denen die Polizei Menschen auch ohne konkreten Verdacht kontrollieren darf, verhältnismäßig. Wer glaubt, dass diese vor allem Scholz zu verdanken ist, irrt: Seit 2006 hatte die Polizei bereits 51 Mal Gefahrenzonen eingerichtet, fast ein Dutzend von ihnen unter Schwarz-Grün.

2015 wird wieder gewählt

Die Umfragen sind für Scholz der Beleg: Alles richtig gemacht! Während der politische Gegner, Linke und Grüne, findet, er habe den Bezug zum Volk verloren. In der Hamburger SPD gehen sie jetzt jedenfalls davon aus, dass 2015 die absolute Mehrheit wieder erreichbar ist. Einer seiner Bezirksfürsten unkt: „Jetzt glaubt Olaf auch noch, er könnte übers Wasser gehen.“

Scholz kennt sein Hamburg, er ist hier aufgewachsen, die Familie stammt aus Altona, wo er noch heute wohnt, Eltern und Großeltern waren Eisenbahnbeamte, der Vater ein Aufsteiger durch Bildung und Fleiß. Die Stadt, immer geradeaus und nach außen zurückgenommen, auch wenn es innen pulsiert, passt zu Scholz. Das einflussreiche Bürgertum will vor allem, dass die Dinge laufen oder in Ordnung kommen – ohne viel Brimborium. Scholz hat die SPD deshalb auch wieder da verankert, wo sie jahrzehntelang stark war: in der Kaufmanns- und Bürgerschicht. Für ihn ist das kein Widerspruch, wirtschaftsnah und sozial. Das hat er schon immer so gesehen und gesagt. Als Anwalt für Arbeitsrecht hat er einst hunderte Arbeitnehmer in Kündigungsschutzklagen vertreten.

Scholz sagt: Ich habe keine Angst

Scholz glaubt selbst, dass er mittlerweile mehr in sich ruht, er formuliert das natürlich allgemeiner: „Ich bin schon eine Weile in der Politik. Das macht gelassen. Ich habe keine Angst vor politischen Konflikten.“ Hört man ihm zu, lernt man etwas vom politischen Kernanliegen dieses Mannes.

Zum Beispiel in der Hamburger Handwerkskammer. Am letzten Donnerstag versammeln sich 300 Gäste, darunter alle hochrangigen Vertreter der Wirtschaft im Großen Saal, um den Hauptgeschäftsführer in den Ruhestand zu verabschieden. Ein Heimspiel für Scholz, der neben einer riesigen Festtagstorte aus spanischer Vanillecreme steht, alle sind ihm hier wohlgesonnen. Und trotzdem gibt es Momente, in denen er mitten in der Menge alleine steht. Erst wenn andere auf ihn zugehen, wird dieser hilflos wirkende Zustand beendet. Scholz gibt sich keine Mühe beim Small Talk, weil er sich verstellen müsste.

Er fremdelt beim Empfang. Seine Rede aber ist voller Leidenschaft

Für einen als spröde geltenden Politiker redet er dann im offiziellen Teil aber mit viel Leidenschaft, ohne Manuskript, und mit geballter linker Faust. Das Handwerk, findet Scholz, sei wichtig für die „Moral unserer Gesellschaft“. Dass man etwas können müsse, einen Beruf ausüben, sei eine Tradition, die „wir in Deutschland retten müssen“. Arbeitsmoral ist für Scholz der Grundstein für soziale Moral, ja Wirtschaftsmoral, also auch für das Zusammenleben. Hier ist plötzlich der Antrieb des fleißigen Herrn Scholz greifbar.

Das Kernthema, Ethos der Arbeit als gesellschaftliche Grundlage, findet sich bei ihm in vielen Facetten wieder, in Reden, Aufsätzen und praktischer Politik. Seine jahrelange Forderung, dass etwa ausländische Jugendliche automatisch bleiben dürfen, wenn sie einen deutschen Schulabschluss machen, ist gespeist aus diesem emanzipatorischen Gedanken.

Bei den Migranten ist er wirklich gerührt

In diesem Sinne kann der Technokrat, der, der Politik macht wie ein Schachspieler, immer einen Zug voraus, sehr sinnstiftend sein. Scholz hat in Hamburg eine Einbürgerungswelle ausgelöst, indem er die 137 000 Migranten angeschrieben und gebeten hat, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Was paternalistisch klingt, schafft in der Praxis Identitäten. Die Einbürgerungsfeiern im Rathaus sind ein Schulterschluss zwischen Neubürgern und Staat, mit amerikanisch anmutendem Pathos gefüllt. Diese Festakte sind seltene Momente, in denen der harte Olaf Scholz wirklich gerührt ist.

Wenn er sich für das Ethos der Arbeit als gesellschaftliche Grundlage einsetzt, sagt Scholz, müsse er „persönlich das Beste leisten“. Und Scholz hält sich für einen der besten Politiker, vielleicht sogar für den besten. Doch er hält zu wenig von anderen. Das limitiert ihn, diese kühle Aura. Vielleicht ist das sein größtes Problem: Dass er warm sein kann, man das aber nicht spürt.

Einer der Strippenzieher in Hamburgs Wirtschaft, der Scholz schon deshalb toll findet, „weil er der einzige Ministerpräsident ist, der selbst in der Lage ist, ein Gesetz zu schreiben“, sagt: „Er entscheidet immer sehr analytisch, was der richtige Moment für ihn ist. Der kann nach der nächsten Wahl auch außerhalb Hamburgs liegen.“

„Existenziell humorlos“, nennt ihn einer

Einer der hanseatischen SPD-Granden ist eher der Ansicht, dass Scholz seine „gespielte Arroganz“ bewusst einsetzt, sie sei ein „Führungsinstrument“. Er sei ein harter Organisierer, ein Stratege, der seinen Machtbereich dorthin ausdehnt, „wo andere zu harmoniesüchtig sind“. Scholz, sagt ein ehemaliger SPD-Ministerpräsident, sei „viel sensibler, als er öffentlich wirkt, man kann mit ihm nahe beieinander sein“. Andere halten ihn für „existenziell humorlos“ oder „verschlagen“. Vieles davon ist unfair. Richtig ist wohl, dass Scholz sich alles zutraut, nur offenbar Zwischenmenschliches nicht.

Er selbst äußert sich nicht zu seinen Karriereabsichten, weil er nicht will, dass öffentlich der Eindruck erweckt werde, sie beschäftigten ihn. In seinem Büro beugt sich Scholz jetzt ein gutes Stück nach vorn, und es blitzt sehr ernst in seinen Augen, dann sagt er: „Es gibt in Deutschland zu viel virtuelle Politik. Das heißt: Es wird oft darüber diskutiert, was man machen müsste. Es gibt auch gute Ideen. Sie werden aber nicht umgesetzt, es wird zu wenig gehandelt. In Hamburg machen wir, was wir sagen. Was wir uns vorgenommen haben, wollen wir so gut machen, dass alle anderen es zumindest interessant finden. Unsere Jugendberufsagentur zum Beispiel ist im Koalitionsvertrag der großen Koalition gelandet.“

Bevor der Erste Bürgermeister sich seinen Schlips wieder umbindet und zum nächsten Termin eilt, ringt er sich doch noch einen Satz zu den jüngsten Umfragen ab. „Die Zustimmung berührt mich.“

Auch für ihn ist neu, dass ein Olaf Scholz populär sein kann. Zumindest schon mal in Hamburg.

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