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Sprache kann das Land in ein „wir“ und „ihr“ zu zerteilen – wo es nur ein „Wir“ geben sollte.

© Nicolas Armer/dpa

Hanau – die Angst ist zurück: Wird das je aufhören?

Der rassistische Angriff von Hanau sorgt für Wut, Misstrauen und Angst. Mit ihr zerrinnt der Gemeinschaft das Fundament unter den Füßen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Angst, Misstrauen und Verzweiflung, das kennen heute viele Communities derer, die durch den Cocktail aus Paranoia, Gewalt, Kalkül und Reflexionsarmut als „andere“ markiert werden. Am Mittwoch ermordete ein Rassist in Hanau zehn Menschen.

Die Frage, die jetzt durch das Land hallt, lautet: „Werden wir die Nächsten sein?“, und sie wird gestellt von Menschen, die türkische Namen tragen oder kurdische oder arabische. Menschen, denen für immer angeheftet wird, dass ihre Großeltern mal von irgendwoher einwanderten. Entkommen unmöglich.

Manche sind wütend. Andere nur noch erschöpft. Sie fragen: Wird das je aufhören? Kann man noch sorglos in Shisha-Bars gehen? In Moscheen? Auf türkische Gemüsemärkte? Kann man seine Kinder allein auf die Straße schicken, soll man vorsichtiger sein, muss man sich wappnen? Vor was, gegen wen? Angst schafft Misstrauen, und mit dem Misstrauen zerrinnt der Gemeinschaft das Fundament unter den Füßen. Terroristen wissen das und machen sich das zunutze.

Die Ausgegrenzten ziehen sich weiter zurück. Diese Spirale der Angst zu lösen, ist Aufgabe aller in der Demokratie.

Die Angst ist zurück

Deutschland hat das schon einmal erlebt. Aus Rassefantasien wurde rassistische Sprache. Aus rassistischer Sprache wurden rassistische Übergriffe, aus Einzeltaten wurde ein System, ein mörderischer Staat. Dessen Politiker, Beamte wie Akademiker, planten einen Genozid; Polizei und Militärs setzten ihn um. Begonnen hatten die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus mit der eskalierenden Diskriminierung von Juden, Roma, Sinti, Sozialisten und Homosexuellen. Ihr Leben war Tag und Nacht durchtränkt von wachsender, existenzieller Panik.

Diese Angst ist zurück. Es ist Realangst. Und doch ist sie anders. Die Gewalt geht nicht aus von einem mörderischen Staat, sie ist diffus. Es braucht heute keine Rassegesetze, damit Menschen mit türkischen oder arabischen Namen es schwerer haben, eine Wohnung zu finden, oder Restaurants und Clubs nicht besuchen können. Und doch findet diese Ausgrenzung statt. Es braucht keine SS-Schergen, um die Angst zu schüren: Seit der Wende haben Neonazis 200 Menschen ermordet. Private Massenmörder wie das „NSU-Trio“ waren über Jahre unerkannt am Werk, die jüngst verhaftete Gruppe „Harter Kern“ wollte morden, der Antisemit in Halle die Gemeinde einer Synagoge auslöschen.

Wo Angst geschürt wird

Geschürt wird die Angst auch im Parlament. Wie soll ich es als Muslim auffassen, wenn im Bundestag gegen „Messermänner“ und „Kopftuchmädchen“ gehetzt wird? Wenn gewählte Politiker von „Umvolkung“ und „Massenabschiebung“ fantasieren oder Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklären?

1949 stellte die Verfassung der Bundesrepublik den Artikel zur unantastbaren Würde des Menschen über alle anderen, damit es zu genau solcher Angst nie mehr kommt. Dieser Artikel muss gelebt werden. Vor allem muss es um klarere Sprache gehen. Schon durch den gut gemeinten Aufruf gegen „Fremdenfeindlichkeit“ wird man zum „Fremden“ gemacht, ohne es zu sein. Grotesk ist auch die Rede von „Biodeutschen“, als wären sie eine genetisch definierbare Spezies.

Spaltend wirkt ein klobiger Begriff wie „Migrationshintergrund“. Das setzt ein mit Sprache, die das Land nicht in „wir“ und „ihr“ zerteilt – wo es nur ein „Wir“ geben sollte.

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