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Politik: Handkes Preis

Von Caroline Fetscher

Im Goethejahr 1949 packte Thomas Mann im kalifornischen Pacific Palisades die Koffer, um den Atlantik zu überqueren. Zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren im Exil besuchte er Deutschland – um in Ost wie West zum zweihundertsten Geburtstag des Altmeisters zu sprechen. „Goethe und die Demokratie“ nannte Mann seine Rede im zertrümmerten Land, die er in der Paulskirche in Frankfurt am Main hielt und im Nationaltheater von Weimar. Freilich war es nicht so leicht, den autokratischen Dichterfürsten posthum zum Demokraten zu erklären. Aber: Dass Goethe stets Pragmatiker blieb, dass er kein schwärmerischer Romantiker war, machte ihn für Mann zumindest zum tauglichen Vorfahr von Demokraten.

Auch Heinrich Heine, Sohn der Stadt Düsseldorf, die in seinem Namen einen Preis für „Völkerverständigung“ verleiht, war kein Romantiker, sondern ein melancholischer Ironiker mit realistischer Zivilcourage, ein von Preußens Obrigkeit verfolgter Freigeist, der Citoyen sein wollte, nicht Untertan. Am 20. Mai, vor knapp zwei Wochen also, beschloss eine Jury, diesen Heine-Preis dem Autor Peter Handke zuzuerkennen, der wie Heine „Eigensinn“ beweise. Sein Eigensinn hatte ihn etwa auf einen Friedhof in Serbien geführt, wo er, eine romantische Rose in der Hand, am Grab eines Massenmörders Vages über seine Ahnungen äußerte, etwa dass die „so genannte Welt keine Welt sei“, dass er die Wahrheit nicht kenne, jedoch „zuhört, schaut und fühlt“, und „glücklich“ sei, „Slobodan Milosevic nahe“ zu sein.

Mit diesem Auftritt am Grab eines wegen Völkermordes Angeklagten hatte sich Handke für einen Preis zur Völkerverständigung diskreditiert. Das hätte eine Heine-Jury wissen müssen. Jetzt hat die Stadt Düsseldorf die richtige Konsequenz gezogen. Sämtliche Fraktionen verweigern dem Votum der Jury ihr Plazet, der Preis für Handke ist perdu. Gleich schwillt ein Gegenchor an, mit recht romantischem Pathos. „Zensur!“ Man dürfe einen Poeten nicht wie einen „Pestkranken“ behandeln: Als sei es ein Bannfluch, wenn ein viel gelesener Autor mal keinen Scheck erhält und ein Stadtrat von seinem Vetorecht Gebrauch macht.

Doch nein, die Handkegemeinde reagiert mit einem gehörigen Schuss an Autismus. Was ist eigentlich heute los mit dem Denken der auf Deutsch Dichtenden? In derselben Paulskirche, in der Thomas Mann die Demokratie pries, wünschte sich Martin Walser, es möge nun ein Ende haben mit dem dauernden Erinnern an den Faschismus, das seinen poetischen Sinn belästigt. Günter Grass wettert derweil so heftig gegen den Satan USA, dass es für dessen nichtdemokratische Widersacher ein Freudenfest bedeuten wird, und Handke deponiert eine Rose am Grab eines Massenmörders – ein kognitives Delirium nach dem anderen, anstatt Inspiration und Befreiendes.

Als seien die Abertausenden flüchtender Autoren vergessen, die im 20. Jahrhundert ins Exil gedrängt wurden, verzweifelt auf der Suche nach Pässen, Passierscheinen, Quartieren. Hunderten wie Alfred Döblin, Robert Musil, Egon Erwin Kisch oder Joseph Roth half – in den heute bei Schriftstellern so gern gehassten USA – die „American Guild for German Cultural Freedom“. Allen Autoren aber, die Wertvolles hinterlassen haben, ging es um das Aufbegehren gegen Tyrannei und Mythen. Und um die freie Rede. Die soll weiter frei sein, so frei wie irgend möglich. Ob wirr oder klar. Nur darf sie nicht in jedem Fall erwarten, einen Preis zu erhalten.

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